Die Koka-Pflanzen ist den indigenen Völkern des Andenhochlands heilig. Aus Koka kann man nicht nur Kokain gewinnen, sondern auch zahlreiche medizinische und kosmetische Produkte. Doch deren Export ist dank internationaler Konventionen genauso verboten, wie der von Kokain.
"Die Menschen bringen Koka-Blätter, wenn ein Kind geboren und wenn es getauft wird, wenn jemand Matura macht oder zum Militärdienst eingezogen wird. Wenn ein Mann um die Hand einer Frau anhält, bringt er Kokablätter mit", erzählt Beatriz Chambilla von der Geschichtswerkstatt Taller de Historia Oral Andina. "Von unserer Geburt an und sogar bis über unseren Tod hinaus begleitet uns die Koka-Pflanze: Beim Totenfest, zu Allerseelen, bringen wir Koka-Blätter auf den Friedhof."
Koka ist ein zentrales Element der Andenkultur. Seit Tausenden von Jahren werden bei den Hochlandbewohnern in Argentinien, Bolivien, Ecuador und Peru Kokablätter gekaut. In solch einer unwirtlichen Natur hilft das akulliku (Kauen) gegen Kälte, Müdigkeit und Hunger. "Während der Kolonialherrschaft der Spanier spendete das Koka-Blatt den zur Arbeit in den Minen gezwungenen Menschen Trost", so Chambilla weiter. "Wir benutzen Koka außerdem bei religiösen Ritualen, als Medizin und kauen es beim Plaudern. Unseren Besuchern bieten wir Koka-Blätter als Zeichen unserer Gastfreundschaft an."
Das UN-Abkommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen aus den Jahr 1988 führt das Koka-Blatt in der Liste 1 auf, als eines der Rauschmittel, die einer strikten Kontrolle unterworfen sein müssen und beschränkt dessen traditionellen Gebrauch als Kulturpflanze auf die Länder Bolivien und Peru. Es unterstützt insofern die im 1961 in New York verabschiedeten Einheitsabkommen und im Wiener Abkommen über psychotrope Stoffen aus dem Jahr 1971 ausgedrückten Einschätzungen.
In den 80er und 90er Jahren wurde der Kampf gegen den Kokaanbau auf Betreiben der USA von den damaligen Regierungen angeführt. Die Kokabauern organisierten sich, um gegen die Ausrottung der Kokapflanze zu kämpfen, und bezahlten dabei nicht selten mit ihrem Leben. Nicht zuletzt war es die Bewegung der Kokabauern, die Evo Morales, einem ihrer Anführer, zu seinem heutigen Amt als Präsident von Bolivien verhalf.
Seit Morales im Januar vergangenen Jahres sein Amt antrat, spricht man nicht mehr von einer Totalausrottung der Koka-Pflanze, sondern vom Kampf gegen den Drogenhandel und einer Wiederaufwertung der Kokablätter. Statt von "Ausrottung" ist nun von "Reduktion" die Rede; das dahinter befindliche Konzept sieht die Zerstörung der Kokafelder mit Zustimmung der Bauern vor. Allen Mitgliedern einer Koka-Gewerkschaft steht das Recht zu, ein "Cato", das heißt, ein Feld in einer Größe von 40x40 Metern als Kokapflanzung zu nutzen. "Um Kontrolle über den Kokaanbau zu gewinnen, vergeben wir offizielle Herstellerausweise an die gewerkschaftlich organisierten Koka-Bauern. Wer nicht organisiert ist, darf die Kokapflanze weder anbauen noch verkaufen", erklärt Richard Pérez, Leiter des Vizeministeriums für soziale Verteidigung.
Seit Beginn der Morales-Regierung hat das Ministerium etwa 80 Prozent der Kokabauern der zentralen Chapare-Region erfasst und 42.400 organisierte Koka-Bauern registriert, die den Seis Federaciones de Productores de Coca del Trópico de Cochabamba ("Sechs Verbände der Tropen von Cochabamba") angeschlossen sind. Nun müssen noch der Rest von Chapare und die Region Los Yungas im Norden von La Paz, das zweite große Koka-Anbaugebiet des Landes, erfasst werden. Das Vizeministerium für soziale Verteidigung arbeitet nicht mit eigenen Statistiken über die Gesamtgröße des Koka-Anbaugebiets im Land, sondern stützt sich auf die Angaben der Vereinten Nationen, die von 27.400 Hektar ausgehen. Das entspräche 171.250 Catos, was wiederum die Zahl der Kokabauern ganz erheblich übersteigt.
Drogenhandel ist in Bolivien ein ausgesprochen heikles Thema. Nach Aussagen René Sanabrias, Leiter der Spezialeinheit zur Bekämpfung des Drogenhandels (Fuerza Especial de Lucha contra el Narcotráfico FELCN), wurden unter der aktuellen Regierung mehr Drogen beschlagnahmt als zuvor. "Möglicherweise hat der Drogenhandel zugenommen, aber wir beschlagnahmen mehr, weil mehr getan wird und wir effektiver arbeiten. Eine unsere Strategien ist es, die Einfuhr der Chemikalien zu unterbinden, die für die Kokainproduktion benötigt werden. Wir wollen den Drogenhandel bekämpfen, nicht die Kokabauern." So erfolgreich seien die Operationen zur Bekämpfung der Einfuhr der besagten Chemikalien, dass viele Drogenhändler inzwischen auf die Produktion von Marihuana umgesattelt hätten, weil man dazu keine Chemikalien brauche, so Sanabria.
Die Regierung hingegen beschloss, die industrielle Produktion der Jahrtausende alten Pflanze zu fördern, um Tees, Cremes, Spirituosen und andere Produkte, die auf Kokabasis hergestellt werden, für den Export zu fertigen. Es existiert eine enorme Vielfalt an Koka-basierten Produkten, die innerhalb des Landes verkauft werden. Germán Casassa, Diplomlandwirt, ist einer der Begründer des Kekse herstellenden Kleinbetriebs "Coca Cookies", dessen Produkte zu 8 Prozent aus Kokamehl und zu 92 Prozent aus Weizen bestehen. Der Betrieb produziert monatlich rund 4.500 Kekse in Kokablattform. Zwölf Stück kosten vier Bolivianos (0,50 US-Dollar). "Unsere Kunden sind Touristen, junge Leute und Studenten. Sie bilden die Zielgruppe, die neuen Produkten am aufgeschlossensten gegenübersteht", so Casassa. "Die Menschen kennen Koka als Medizin, aber über ihre Eigenschaften als Nahrungsmittel wissen sie praktisch nichts. Die Regierung müsste eine intensive Kampagne starten, um bekannt zu machen, wie nahrhaft Kokablätter sind. Das würde den Absatz unserer Kekse sicher steigern, denn viele Leute mögen das Kauen der Kokablätter nicht."
Der inländische Markt ist sehr schwach. Coca Cookies kommt über eine kostendeckende Fertigung kaum hinaus. Um rentabel zu arbeiten, müsste der Betrieb seine Produkte exportieren können. Das ist jedoch nicht möglich. "Wir haben Anfragen aus Russland, China und Indien, die gern unseren Tee auf Kokabasis importieren würden. Solange die Kokapflanze auf der Liste 1 gefährlicher Rauschmittel der Wiener Konvention stehen, kommt ein Export nicht in Frage." Seit letztem Jahr versucht die bolivianische Regierung, die internationale Staatengemeinschaft davon zu überzeugen, dass die Kokapflanze in ihrem Naturzustand nicht zu den Drogen gehört. Die Forderung, sie von der Liste 1 der Wiener Konvention zu nehmen, wird im Jahr 2008 vorgelegt. Pérez ist optimistisch: "Wir denken, dass die Legalisierung der Kokapflanze im Bereich des Möglichen liegt."
|