Samstag, 24. Januar 2009
 
Haider lebt – ein Mythos wird geschaffen PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Sonntag, 19. Oktober 2008

Der stahlblaue, wolkenlose Himmel über dem herbstlichen Klagenfurt, sichtlich ergriffene Menschen, die die Straßen säumten und das strenge Zeremoniell eines offiziellen Trauerakts boten den Rahmen, in dem am Samstag ein Mythos gewoben wurde.

Trauer in Kärnten                                                   Fotos: Ralf Leonhard

Der Mythos Jörg Haiders, seine Verklärung als gütiger Landesvater, der stets nur im Interesse seines Volkes gewirkt und höchstens in der gesunden Gebirgsluft an der Seite seiner engsten Familie und seiner Wanderkameraden einmal an sich selbst gedacht habe, wurde schon nach dessen Unfalltod am 11. Oktober ins Leben gesetzt und durch die Trauerfeier nur mehr zementiert. Der ORF, der die Trauerfeier live übertrug, versuchte sich durch distanzierte Kommentierung vom Vorwurf reinzuwaschen, die Vergötterung des Toten noch zu fördern.

Das Lichtermeer, das man aus den Fernsehbildern kannte, gibt es wirklich. Es sind sogar mehrere: vor dem Regierungsgebäude, vor dem Lindwurmdenkmal, an der Unfallstelle, wenige Kilometer südlich von Klagenfurt. Vor dem Landhaus in Klagenfurt, wo der Landtag sitzt, stehen noch immer Tausende Friedhofskerzen, dazwischen Bilder vom Verstorbenen und handgeschriebene Grußbotschaften. Mächtige Kränze säumten Freitag abend die Breitseite des Vorplatzes, an der noch einige hundert Menschen Schlange standen, um im Wappensaal, dem historischen Zeremonienraum des Landhauses, von ihrem Landeshauptmann Abschied zu nehmen. Jörg Haider lag dort aufgebahrt, der Sarg mit roten Rosen bedeckt. Am Fußende eine purpurne Trauerschleife der Witwe: „In Liebe Claudia“. „Wir werden länger als bis 22 Uhr offen halten, verspricht ein Ordner all jenen, die fürchten, keinen Einlaß mehr zu finden. Erst um 2:00 morgens wurden die Pforten geschlossen.


Schon in der Nacht vor der Trauerfeier sperrte die Polizei aus Sicherheitsgründen die gesamte Klagenfurter Innenstadt für den Verkehr. Die Straßen, auf denen der Trauerkondukt vom neuen Platz zum Dom ziehen sollte, wurden mit Sperrgittern abgeriegelt. Auch der neue Platz vor dem Rathaus, wo das Wahrzeichen der Stadt, der steinerne Lindwurm aus dem 16. Jahrhundert, steht, war für die offiziellen Gäste reserviert.

Trachtengruppen hatten sich da eingefunden: Männer in Lederhosen oder braunen Kärntner Anzügen, Frauen in schwarzen Kleidern und schwarzen Hüten oder Goldhauben. 600 Chöre aus ganz Kärnten sollen eingeladen worden sein, verteilten sich aber über die ganze Stadt. Die Freiwillige Feuerwehr hatte Aufstellung genommen, die Rauchfangkehrer standen in Reih und Glied. Die Gemeinde Friesach  hatte eine Mittelalter-Gruppe entsandt: Burgfräulein und Männer in Kettenhemden und mit Hellebarde.  Corporierte Studenten mit runder Mütze, Schaftstiefeln und Degen an der Seite wollten ihrem Bundesbruder die letzte Ehre erweisen. Aus Italien standen Abordnungen am Rande: Jesolo, Tarvis, Venetien mit dem geflügelten Markuslöwen auf dem Banner… Aus Ungarn war eine Delegation mit der nationalistischen Arpad-Fahne angereist, aus Oberitalien padanische Separatisten. Der von manchen befürchtete Aufmarsch von Rechtsextremen fand aber nicht statt. Jean-Marie Le Pen soll auf Wunsch der Familie zu Hause geblieben sein. Einziger prominenter Gast aus dem Ausland war deshalb Saif al Islam Gaddafi, der Sohn des Wüstencaudillos, der seit seinem Studium in Wien mit Haider befreundet war.

Angetreten war auch die Spitze der Republik. Allen voran Bundespräsident Heinz Fischer,  Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Molterer. SPÖ-Chef Werner Faymann und ÖVP-Chef Josef Pröll, die in diesen Tagen Koalitionsverhandlungen für die nächste Regierung aufnehmen werden, marschierten Seite an Seite. Die Landeshauptleute traten geschlossen auf, zahlreiche Minister und Ex-Minister stellten sich ein. Herbert Haupt, einst kurze Zeit Vizekanzler von Haiders Gnaden, erschien mit der Mütze seiner deutschnationalen Studentenverbindung. Im Hintergrund hielt sich diesmal Haiders Begleiter und „Lebensmensch“ Stefan Petzer, der in letzter Zeit zu viele peinliche und tränenreiche Interviews gegeben hatte. Er durfte auch an der Verklärung von der Rednertribüne nicht teilnehmen.

Das besorgten andere, unverdächtigere Vertraute: Bergkamerad Teddy Inthal, der sich an seine Wandertouren mit Haider erinnerte, appellierte an den Toten: „Erlaube uns hemmungslose Trauer, das tröstet ein wenig“. Dieter Böhmdorfer, Ex-Justizminister und Haider-Anwalt, registrierte „eine Welle von Trauer“, die „Österreich in dieser Intensität noch nicht gekannt hat“. Klagenfurts Bürgermeister, als ÖVP-Politiker eigentlich ein politischer Rivale, trauerte um „einen, wie er schon genannt wird, Landeshauptmann der Herzen“ und rückte den Verblichenen damit in die Nähe von Lady Diana. Die Karten im politischen Spiel würden jetzt vielleicht neu gemischt, aber „Herzkönig und Trumpfas sind nicht mehr im Spiel“.

Einer nach dem anderen versuchte den Vorredner an Superlativen zu übertreffen. Uwe Scheuch, seit einigen Tagen BZÖ-Chef in Kärnten, wurde von der Todesnachricht bei einem Familienausflug nach Wien überrascht. Sein elfjähriger Sohn soll ungläubig gesagt haben: „Papa, das kann nicht sein. Unser Landeshauptmann kann nicht sterben“.  Jeder wisse, so Scheuch, „dass er über 38 Jahre lang die Kärntner Politik, die Bundespolitik, ja die europäische Politik gestaltet hat“. Kärnten sei unter Haider gerechter, traditioneller und “ein gutes Stück besser geworden“.

Gerhard Dörfler, der in den nächsten Tagen vom Kärntner Landtag zum Nachfolger Haiders als Landeshauptmann gewählt werden soll, wiederholte seinen Spruch: „In Kärnten ist die Sonne vom Himmel gefallen und die Uhren sind stehen geblieben. Das war keine Übertreibung“. Er behauptete: „Über all seinem Tun ist Fairness gestanden“, was zahlreiche politische Gegner oder die Vertreter der slowenischen Minderheit in Kärnten so sicher nicht bestätigen können. Letztere ließen sich auf der Trauerfeier im Übrigen nicht blicken. Auch Haiders Nachfolger haben ja gelobt, dass sie die Politik ihres Vorbilds fortsetzen werden. Das verheißt Stillstand in der Frage der zweisprachigen Ortstafeln, die längst in mehreren gemischten Gemeinden aufgestellt sein sollten, und harte Hand gegen Asylwerber, die bei geringstem Verdacht auf Fehlverhalten abgeschoben oder auf einer entlegenen Alm interniert werden.

Einzig Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, SPÖ, bemühte sich um eine differenziertere Würdigung des Toten. Er sei einer gewesen, „der niemanden kalt gelassen hat, im Positiven wie im Negativen“. Haider habe Kritik an Verhältnissen geäußert, die veränderungswürdig waren“. Seine Antworten seien aber „nicht alle allgemein anerkannt“ gewesen. Es sei aber ein Fehler seiner Gegner gewesen, die Kritik zu kritisieren nur weil sie von Haider gekommen sei. Gerade das hat ihn ja stark gemacht, wie Gusenbauer nicht hinzufügen musste. Das einzig Tröstliche am Tod sei, „dass er etwas versöhnt, was im Leben nicht zu versöhnen war“.

Nach der Bundeshymne erklang noch die Kärntner Landeshymne, deren Text erklärt, warum es in Kärnten noch immer so leicht ist, die Mehrheit gegen die slowenische Minderheit aufzuhetzen: "Wo Mannesmut und Frauentreu' die Heimat sich erstritt auf's neu', wo man mit Blut die Grenze schrieb und frei in Not und Tod verblieb; hell jubelnd klingt's zur Bergeswand: das ist mein herrlich Heimatland!"

Es ist nicht der Politiker Jörg Haider, den die Menschen im Herzen behalten, denn das politische Erbe des notorischen Populisten ist mager. Und keiner der Redner hielt es für angebracht, die Verschärfung der Fremdengesetze und Schikanen für Angehörige der Minderheiten als Verdienste seines unermüdlichen Wirkens zu preisen. Vielmehr weiß fast jeder von einer persönlichen Begegnung zu berichten, die ihn beeindruckt habe. „Er hat mich mit dem Regenschirm über den Zebrastreifen begleitet“, erzählt der 17jährige Bürolehrling Matthias Köhldorfer, dem vor Rührung noch fast die Stimme versagt. Und ein etwa 40jähriger Finanzbeamter, der sich nicht als uneingeschränkter Fan outet, hält Haider für einen einmaligen Politiker, „weil er Österreich in gewissem Maße verändert hat“. Er habe allerdings auch Schwächen gehabt: „Er hat polarisiert“.


Ganz Kärnten scheint zu trauern. Ganz Kärnten? Man muss nur vom Landhaus ums Eck biegen, um auf das Lokal „La Vida“ zu stoßen. La vida, das Leben, ist hier nicht erloschen. Der verblichene Landeshauptmann ist hier kein Thema. Kein Thema ist er auch im Schwulentreff „Zum Stadtkrämer“, wo Jörg Haider die letzte Stunde seines Lebens verbracht haben soll. Es ist nämlich bis 20. Oktober „wegen Umbau“ geschlossen. Offensichtlich wollten zu viele Journalisten und Neugierige wissen, was sich zwischen Haiders Abschied von einer Party in Velden am Wörthersee und seinem Unfalltod auf der Landstraße wirklich getan hat und wie er es schaffte, von Velden scheinbar nüchtern wegzufahren und zwei Stunden später 1,8 Promille im Blut zu haben. Eine Zeitung brach die stillschweigende Übereinkunft der Medien, über diese private Seite des öffentlichen Menschen nicht zu berichten und veröffentlichte ein Foto, das Haider mit einem anonymisierten jungen Mann an der Bar vor einer Batterie Gläser zeigt. Das Nachrichtenmagazin Profil will von einer Flasche Wodka wissen. Haiders Nachfolger als BZÖ-Obmann und „Lebensmensch“ Stefan Petzner, gab sich zu diesem vermutlich etwas schmuddeligen Thema wortkarg. Was er als Privatmann gemacht habe, gehe niemanden etwas an. Die Familie wird zu verhindern versuchen, dass sich die Nebel lichten und das Image des untadeligen Familienmenschen angekratzt wird. Staatsanwalt Gottfried Kranz, der die Information über die Blutwerte bestätigt hatte, bekam eine Anzeige wegen Bruchs des Amtsgeheimnisses an den Hals. Die Aufklärung der Todesumstände des Landeshauptmanns, der kurz nach diesem letzten Stelldichein mit 170 Sachen gegen die Böschung fuhr und sich dreimal überschlug, würde am sorgsam gestrickten Mythos kratzen. Die Kapelle im Haiderschen Bärental, wo die Urne mit den eingeäscherten Überresten des Toten beigesetzt wird, soll ja zur Pilgerstätte werden.


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