Am Nachmittag des 7. Oktober wurde Anna Politkovskaja mit vier Schüssen in den Kopf im Aufzug in ihrem Moskauer Wohnhaus förmlich hingerichtet. Dass eine Pistole des Typs Makarov neben ihrer Leiche gefunden wurde, ist für den stellvertretenden Chefredakteur Vitaly Yaroshevsky der regierungskritischen Zeitung Nowaja Gaseta, für die Politkovskaja arbeitete, ein klarer Hinweis auf einen Auftragsmord.
Putins Äußerung zum Mordfall, anlässlich des Besuchs in Dresden am 10.10.: "Die Bluttat schadet Russland und der Regierung in Tschetschenien viel mehr als die Veröffentlichungen Politkowskajas". Interessant, dass dieser Klartext Putins nicht hinterfragt wurde, weder Merkel noch irgendein Journalist hakten ein! Putin sagt doch in aller Deutlichkeit, dass die Veröffentlichungen Politkovskajas ganz selbstverständlich als schädlich für das Image Russlands betrachtet wurden und seine Äußerung impliziert Maßnahmen zur Beendung von "schädlichen" Veröffentlichungen - wenn auch Mord als mögliche Maßnahme "noch schädlicher" sei.
Selten ist solche Offenheit und Putin muss sich sehr sicher sein, dass die Interessen Europas am guten Einvernehmen und am ungehinderten Gas- und Ölfluss auch die Wahrnehmung und die Lesart alles Gesagten bestimmen. Und da hat er ja ganz recht. Der Tagesordnungspunkt "Mord an Journalistin" und "Freie Meinungsäußerung" war damit absolviert, zur allseitigen Zufriedenheit. Merkel und Putin lächeln entspannt und glücklich in die Kamera und lasen ihre auswenig gelernten Sätze ab, während die Schreie "Mörder, Mörder" aus dem Off tönen, für beide anscheinend unhörbar.
Anna Politkowskaja gehörte zu den wenigen Journalisten, die während desTschetschenien-Krieges bewusst kontinuierlich und im Widerspruch zur offiziellen Darstellung aus der Krisenregion berichteten. Als Mitarbeiterin der oppositionstreuen Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta galt sie im Westen als unabhängige und kritische Journalistin, während sie in der Heimat schon seit Jahren mit Verfolgung und Morddrohungen fertig werden musste. Sie war die im Westen wohl bekannteste Journalistin und Menschenrechtlerin Russlands, die sich bei der Schilderung der Vorgänge im Tschetschenien-Krieg und bei der Darstellung seiner Hintergründe und der Nennung seiner Drahtzieher und Profiteure niemals ein Blatt vor den Mund genommen hatte.
Sie bezog ihre Kenntnisse über die Vorgänge aus erster Hand, reiste immer wieder nach Tschetschenien und hielt Beziehungen zu allen Betroffenen und auch zu den wichtigen Politikern des Landes aufrecht. Sie hatte Maschadow und Bassajew (beide wurden ermordet) gekannt und interviewt, sie kannte Angehörige der verschiedenen Rebellengruppen und Warlords in diesem undurchsichtigen Gewirr von Gewalt und Gegengewalt, Rache, Vergeltung, Erpressung und verschiedenster Interessen - politischer sowie ökonomischer Art. Immer wieder hat sie die Verbrechen und die Foltermethoden der russischen Armee und des Geheimdienstes angeprangert und genau geschildert und immer wieder hat sie die Mechanismen der Entführungsindustrie geschildert - dieser brutalen Geldbeschaffungspraktiken der Warlords, die sich gegen jede und jeden richten - Arme, Frauen, Kinder, Reiche, Ausländer, Moslems, Christen, Tschetschenen.
Aber nicht nur das: Sie berichtete auch von den Vorgängen innerhalb der russischen Armee, der Rechtlosigkeit und dem Ausgeliefertsein der gewöhnlichen Soldaten, die oft genug zum Tod der Rekruten führen - und der Verzweiflung und der Anstrengungen der Soldatenmütter.
Sie selbst war unbestechlich und das wurde ihr zum Verhängnis. Im Oktober 2002, als tschetschenische Terroristen hunderte Besucher des Moskauer Musical-Theaters "Nord-Ost" als Geisel nahmen, bot sie sich aufgrund ihrer Popularität und des Vertrauens, das die Tschetschenen in sie setzten, als Vermittlerin an. Sie wurde von den Geiselnehmern als Unterhändlerin für die Verhandlungen akzeptiert, konnte aber den Sturm der russischen Armee nicht verhindern, den Tod von beinahe 200 Menschen. Die Aufdeckung der groben Fehler, die damals von der russischen Armee und dem Geheimdienst gemacht wurden, und die erst zur totalen Eskalation geführt haben, hat sie beim Regime nicht beliebter gemacht.
Im Jahr 2004 behauptete sie, bei ihrem Flug nach Beslan zu den Geiselopfern des Anschlags, Opfer eines Giftanschlags gewesen zu sein. Sie hatte sich schon seit Jahren angewöhnt, nicht mehr in der Öffentlichkeit zu essen, doch im Flugzeug hatte sie doch einen Tee bestellt und musste daraufhin lange an den Folgen des Giftanschlags laborieren.
Doch sie hat nicht nur Russland beschuldigt, in Tschetschenien Völkermord zu betreiben, sie verzweifelte ebenso an der elenden Doppelmoral des Westens und seinen geschmeidigen Politikern. "Europa gewährt uns das Recht, unter Putin allein vor uns hin zu sterben", schrieb sie wütend in ihrem Buch, das bislang in Russland nicht erschienen ist. "Wir wollen aber nicht sterben, wir schlagen um uns, wir versuchen, freizukommen, zu überleben, unsere neu gewonnene Demokratie zu retten. Wir wollen nicht länger Sklaven sein. Wir bestehen auf persönlicher Freiheit. Wir fordern sie. Wir lieben sie so sehr, wie sie sie lieben."
Anna Politkowskaja war mutig, aber nicht todesmutig, sie liebte das Leben. "Ich möchte in einer Welt leben, in der jedes Individuum geachtet ist", sagte sie einmal. Vertreter der USA und des Europarats fordern eine lückenlose Aufklärung des Mordes, den der ehemalige Präsident der UdSSR, Michail Gorbatschow, der an der Nowaja Gaseta beteiligt ist, als "grausames Verbrechen" bezeichnete. Der Mord sei ein Schlag gegen die gesamte demokratische und unabhängige Presse, so Gorbatschow.
(Zitate nach "Stern" und "Wikipedia")
Literatur:
Anna Politkovskaja: Tschetschenien - Die Wahrheit über den Krieg. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003, 336 S., ISBN 3-8321-7832-5.
Anna Politkovskaja: In Putins Russland. DuMont Literatur und KunstVerlag, Köln 2005, 314 S., ISBN 3-8321-7919-4
Weblinks: http://www.zeit.de/2001/10/200110_tschetschenien.xml Im Bunker der Folterer
http://www.greenpeace-magazin.de/magazin/reportage.php?repid=1970 Eine tschetschenische Tragödie
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