Die Befreiung von Ingrid Betancourt und den vierzehn anderen Geiseln
ist gleichzeitig ein politischer Triumph für Präsident Alvaro Uribe und
ein empfindlicher Schlag für die FARC, die älteste und größte Guerilla
Lateinamerikas.
Anders als bisherige Kommandoaktionen ist die Operation
unblutig über die Bühne gegangen. Die Guerilleros wurden überlistet.
Für die stolzen Freischärler, die vor wenigen Jahren noch ein Viertel des Landes mehr oder weniger kontrollierten, war es die größte Niederlage in einem an Rückschlägen reichen Jahr. Anfang März wurde Raúl Reyes, die Nummer 3 der FARC, in einem Lager in Ecuador von der kolumbianischen Armee im Schlaf überrascht und mit seinen Leuten getötet. Wenige Wochen später starb der greise Oberkommandierende Manuel Marulanda eines natürlichen Todes. Zwei weitere wichtige Comandantes wurden durch Verrat ermordet oder ausgeliefert.
Nach der Befreiung von Ingrid Betancourt, drei US-amerikanischen Söldnern und elf Soldaten haben die FARC nur mehr zwei Dutzend Geiseln, die als austauschbar gelten: drei ehemalige Politiker und 22 Militärs, darunter sechs Offiziere. Die übrigen ca. 700 Verschleppten sind politisch wertlos und für Lösegeld zu haben.
Präsident Uribe, vor allem international höchst umstritten, sieht sich in seiner Politik der harten Hand bestätigt. Eine zweite Wiederwahl, die von der Verfassung verboten ist, scheint jetzt politisch möglich. Außer den Verfassungsrichtern leistet kaum jemand Widerstand gegen eine dritte Amtsperiode. Der Coup, der durch die Abhörlogistik der USA ermöglicht und von unerschrockenen Soldaten ausgeführt wurde, lenkt gleichzeitig von allen Skandalen ab, in die der Präsident und sein engstes Umfeld verwickelt sind. Da sind die Enthüllungen über Stimmenkauf bei der Wiederwahl vor zwei Jahren und Prozesse gegen eine Anzahl von Parteikollegen des Präsidenten, denen enge Verbindungen zu rechten Paramilitärs nachgewiesen werden konnten. Einige wurden bereits verurteilt.
Die Menschenrechtsbilanz Alvaro Uribes ist bestenfalls durchwachsen. Zwar ist die Anzahl der Massaker deutlich zurückgegangen, doch hat sich die politische Kontrolle von Paramilitärs und Spekulanten über die wirtschaftlichen Hoffnungsgebiete verstärkt. Die Kleinbauern, die dort lebten, wurden ermordet oder vertrieben. Millionen Hektar haben dadurch den Besitzer gewechselt. Obwohl die Gerichte die Rückgabe fordern, tut die Regierung nichts, um den Bauern zu ihrem Recht zu verhelfen. Bodenschätze, umweltschädliche Ölpalmenplantagen oder die Aufwertung durch Infrastrukturprojekte versprechen enorme Gewinne. Die Repression ist heute selektiver. Als Gewerkschafter oder Menschenrechtsaktivist lebt man nach wie vor gefährlich. Die Morde bleiben praktisch alle ungesühnt.
Nachdem Uribe jahrelang jeden Dialog mit den FARC abgelehnt hat, ließ er jetzt eine Einladung zu Friedensverhandlungen an die neue Kommandantur der Guerilla ergehen. Ein politisch und militärisch geschwächter Gegner, so das Kalkül, kann bestenfalls die Bedingungen seiner Aufgabe aushandeln. Doch darauf wird der neue FARC-Chef Alfonso Cano kaum eingehen können. Zwar träumt er längst nicht mehr von der Diktatur des Proletariats, doch selbst bescheidene Reformvorstöße stoßen in Kolumbien auf Granit. Im Dialog mit Uribes Vorgänger Andrés Pastrana hatte man einen Forderungskatalog vorgelegt, der aus dem Parteiprogramm europäischer Sozialdemokraten kopiert sein könnte.
Für die FARC ist der Krieg längst ein modus vivendi geworden. Drogengeschäfte und Erpressungen sichern die wirtschaftliche Unabhängigkeit. In den kleiner gewordenen Einflußgebieten genießt man Respekt bei der Bevölkerung. Und die Geschichte hat gelehrt, dass das zivile Leben gefährlicher sein, als der bewaffnete Kampf. Als die FARC in den 1990er Jahren als Ergebnis eines Dialoges mit der Unión Patriótica einen politischen Arm gründeten, der vor allem bei Kommunalwahlen sehr erfolgreich war, wurden nach und nach über 4000 Aktivisten ermordet. Darunter ein Senator und zwei Präsidentschaftskandidaten. Staatliche Garantien erwiesen sich als genauso wirkungslos wie Leibwächter. Eine Rückkehr ins Zivilleben ist also für die Anführer also ebenso wenig attraktiv, wie für die meisten kleinen Guerilleros, die nichts anderes gelernt haben, als den Umgang mit der Waffe.
Ein militärischer Sieg über die FARC ist auch schwer vorstellbar. In den 44 Jahren ihrer Existenz hat die ehemalige kommunistische Bauernmiliz auch schon härtere Zeiten durchgemacht. Zu einem großen Vergeltungsschlag, sei es um ihre Stärke zu beweisen oder Ersatz für die wertvollen Geiseln herbeizuschaffen, dürfte die Guerilla derzeit nicht in der Lage sein. Aber wer die jüngsten Ereignisse als Anfang vom Ende des bewaffneten Konflikts in Kolumbien sieht, sitzt einer Illusion auf.
|