Kolumbiens Staatschef verliert die Kontrolle. Die Vermittlung durch Präsident
Chávez im Konflikt des Nachbarlandes zeigt erste Ergebnisse. Ein Treffen
mit FARC-Vertretern steht bevor.
Alvaro Uribe, Kolumbiens Präsidenten, verfolgt dieser Nächte ein Alptraum: Vertreter der »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« – jener Guerillagruppe also, die von Brüssel über Bogotá bis Washington als »terroristische Organisation« gebrandmarkt wird – fahren in einer schwarzen Limousine durch Caracas. In Anzug und Krawatte steigen sie vor dem Palast Miraflores aus, um vom Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez, empfangen zu werden. Allein dieser Moment würde fünf Jahre von Uribes Kriegspolitik zunichte machen. Fünf Jahre, in denen der konservative Hardliner jeden Kontakt mit den »Terroristen« der FARC strikt abgelehnt hat, um sie kompromisslos bekämpfen zu lassen.
Chávez lud FARC-Chef ein
Dieses Szenario aber könnte bald wahr werden. Binnen weniger Wochen, das erklärte Chávez unlängst im Beisein seines kolumbianischen Amtskollegen, werde er sich mit Vertretern der FARC-Guerilla treffen. Uribe konnte dagegen keinen Einspruch erheben, denn er selbst hatte im August die Senatorin der Liberalen Partei, Piedad Córdoba, beauftragt, sich für ein Abkommen zum Austausch der Gefangenen von Staat und Guerilla einzusetzen. Córdoba flog daraufhin nach Caracas, um ihrerseits Chávez einzuschalten. Damit war das Dilemma für Uribe perfekt. Sein linker Gegenspieler in der Region handelt nun quasi im Auftrag Bogotás. Es geht dabei zunächst zwar nur darum, 45 Gefangene der FARC gegen rund 500 inhaftierte Guerillakombattanten auszutauschen. Kommt das Abkommen aber zustande, wäre der Primat der Politik wieder hergestellt, der durch Uribes Strategie der »demokratischen Sicherheit« - ein Euphemismus für den militärischen Lösungsversuch des Konflikts - zerstört wurde.
In offizieller Mission hat der venezolanische Präsident nun den FARC-Gründer Manuel Marulanda – in Uribes Augen den Terroristen Nummer eins – nach Caracas eingeladen. Mit dieser Dynamik habe in Bogotá niemand gerechnet, vermutet Michael Shifter von der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Interamerican Dialog. »Wir dachten am Anfang, Uribe wisse, was er macht«, sagte Shifter der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo: »Aber offensichtlich hat er die Kontrolle verloren«.
Nach anfänglicher Kooperationsbereitschaft versuchen Vertreter Kolumbiens daher, Fortschritte bei den politischen Gesprächen zu behindern. Anfang des Monats lehnte die Regierung in Bogotá eine Zusammenkunft zwischen FARC-Vertretern und Chávez in Kolumbien ab. Auch ein für den 8. Oktober in Caracas anvisiertes Treffen musste »aus Sicherheitsgründen« abgesagt werden. Der Verteidigungsminister Kolumbiens, Juan Manuel Santos, hatte nach der Bekanntgabe des Termins erklärt, die FARC-Vertreter müssten »auf eigene Verantwortung« nach Caracas reisen. Die Äußerung wurde als indirekte Drohung aufgefasst. In Kolumbien gebe es offensichtlich Interessen, die einem politischen Abkommen entgegenstünden, sagte Chávez daraufhin.
Keine militärische Lösung
Das trifft nicht nur auf das Bürgerkriegsland zu. Mit einem Zeitungsinterview schaltete sich am Montag der US-Botschafter in Bogotá, William Brownfield, ein. Auch die Moderation Chávez' werde keinen Gefangenenaustausch ermöglichen, sagte er, der sein Land zuvor in Caracas vertreten hatte. Dafür nämlich seien »konkrete Schritte« der FARC nötig. Ungewollt erkannte der US-Diplomat damit den ersten Erfolg von Caracas an: Brownfield schloß einen Kontakt mit den FARC nicht mehr grundsätzlich aus. Nachdem deren Sprecher Raul Reyes über einen Beitrag in der deutschen Zeitung „Junge Welt“ im Mai ein Verhandlungsangebot an die USA richtete, hatte die US-Botschaft in Bogotá Gespräche noch kategorisch abgelehnt. »Wir verhandeln nicht mit Terroristen«, hieß es damals.
Daß sich die Meinung sowohl in Kolumbien als auch in den USA ändert, ist dem internationalen Druck geschuldet. Kolumbiens Anrainerstaaten Brasilien und Ecuador unterstützen Chávez' Initiative, und auch aus Frankreich und Spanien wird Druck ausgeübt. Diese vier Staaten erkennen an, was allen Beteiligten klar sein muß: Der kolumbianische Konflikt hat soziale Ursachen und wird nicht militärisch gelöst werden können. Ein Ende der Auseinandersetzungen kann nur auf diplomatischem Weg eingeleitet und durch einen neuen sozialen Ausgleich im Land erreicht werden.
Diese Erkenntnis steht im direkten Widerspruch zu dem verheerenden Plan der kolumbianischen Eliten und ihrer US-amerikanischen Bündnispartner, den sozialen Widerstand, dessen Ausdruck der Kampf der Guerilla ist, militärisch zu zerschlagen. |