Kommentar von Leo Gabriel, Rostock
Gewalt erzeugt immer auch Gegengewalt! Diese Erkenntnis der globalisierungskritischen Friedens- und Antikriegsbewegungen, die sich mit 124 Netzwerken sozialer- und ökologischer Bewegungen anlässlich des G8-Gipfels in Rostock zusammengeschlossen hatten, ist nicht neu. Sie aber bloß mit den Steine werfenden, vermummten Jugendlichen der so genannten autonomen Szene zu assoziieren, die bei der Großdemo von 80.000 Menschen ein einziges Auto angezündet hatten, ist unobjektiv und einseitig. Denn bei dieser Einschätzung wird der im Nachkriegsdeutschland beispiellose Großeinsatz von an die 20.000 Polizisten und Sicherheitskräften mehr oder weniger absichtlich ausgeblendet und im Nachhinein gerechtfertigt, was im Vorhinein bereits geplant war.
Es geht auch nicht um das abgestellte Polizeiauto, das den jugendlichen Hitzköpfen den Anlass geboten hatte, den mit Pfeffergas und Wasserwerfern ausgerüsteten Polizisten eine Schlacht zu liefern, die insgesamt etwa 1000 Verletzte gefordert haben soll ("soll" deshalb, weil die offizielle Zahl der verletzten PolizistInnen eigenartigerweise in genau dem Maße stieg, in dem das verheerende Ausmaß an Verletzten unter den DemonstrantInnen bekannt wurde); sondern es geht um das gesamte weltpolitische Umfeld, das diesen G8-Gipfel von vorneherein überschattet.
Dieses weltpolitische Umfeld ist nun einmal von Kriegen wie dem im Irak gekennzeichnet, der bisher mehr als eine halbe Million Tote gefordert hat, vom Einmarsch der libanesischen Armee in die Flüchtlingslager der Palästinenser und von den Rückzugsgefechten der NATO in Afghanistan. Angesichts dieser monumentalen Tatsachen mutet der Schlagabtausch zwischen Angela Merkel und George W. Bush über den Klimaschutz wie ein Sandkastenspiel an, das voraussichtlich damit enden wird, dass die nach Heiligendamm geladenen Gäste einmütig ihr nur allzu bekanntes Loblied auf den Wirtschaftsliberalismus anstimmen werden und außer der enormen Spesenrechnung von über 100 Millionen Euro, die zu 70 Prozent vom ärmsten Bundesland Deutschlands bezahlt wird, nichts hinterlassen werden.
Aus diesen Gründen stellte der globalisierungskritische Analytiker Walden Bello vom thailändischen Think-Tank "Focus on the global South" bei seiner Schlussrede am Hafen von Rostock auch mit Recht fest, dass es einen fundamentalen Unterschied in der Haltung der Bewegungen zu den vorangegangenen G8-Gipfeln gebe: "Während wir früher an die G8 die Forderung stellten, ihre Politik zu ändern, sagen wir ihnen heute: Geht uns aus dem Weg!" Denn dieser Weg, der eine andere, bessere Welt möglich macht, kann und wird angesichts der gegenwärtigen weltpolitischen Rahmenbedingungen nicht von den Herrschenden der Industrienationen angezeigt, geschweige denn begangen werden.
Das ist – jenseits der Diskussionen um gerechtfertigte und ungerechtfertigte Gewalt bei Demonstrationen –,, die eigentliche Botschaft von Hunderten der zivilgesellschaftlichen Netzwerke aus aller Welt, die sich derzeit in Rostock versammelt haben.
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