Jörg Haider, der Landeshauptmann der schneller abschiebt als der Innenminister, genügt der Schatten eines Verdachts.
An Jörg Haiders rhetorische Beiträge zur ethnischen Säuberung Kärntens („Kärnten wird einsprachig“, „tschetschenenfreies Kärnten“ usw.) hatte man sich schon gewöhnt. Aber am 7.Januar 2008 hat Haider in der Praxis eine ethnische Säuberungsaktion gesetzt, die einen Dammbruch darstellt. Parallel zu einer Pressekonferenz unter dem Motto „Gewalttätige tschetschenischen Asylwerber werden aus Kärnten abgeschoben“ wurden tschetschenische Familien aus Villach (insgesamt 18 Personen) überfallsartig in Busse verfrachtet und ins Flüchtlingslager Traiskirchen abtransportiert. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass Mitglieder dieser Familien an den „jüngsten Gewaltexzessen“, d.h. einer Silvesterschlägerei in Villach teilgenommen hätten. Dabei sind die Haupttäter laut Auskunft des Villacher Polizeikommandanten noch gar nicht identifiziert. Auch wer begonnen hat, ist noch nicht klar. Haider und der Leiter des Flüchtlingsreferats Gernot Steiner haben mit ihrer Strafmaßnahme offenbar völlig an der Polizei vorbeiagiert.
Betroffen ist u. a. die siebenköpfige Familie S., die wir in unserer Kärntner Traumatherapie- Einrichtung ASPIS seit eineinhalb Jahren begleiten. Die beiden angeblich gewalttätigen halbwüchsigen Söhne der Familie (14 und 16 Jahre alt) wurden allerdings – im Unterschied zu anderen Jungen – wegen der Schlägerei noch nicht einmal von der Polizei einvernommen. Der Vater glaubt nicht, dass die Söhne an der Schlägerei beteiligt waren. Offenbar hat Herr Steiner selbst ermittelt bzw. dem Landeshauptmann auf dessen Wunsch hin einfach eine Familie genannt, die aus seiner Sicht abtransportiert werden kann. In der Gruppe der „gewalttätigen tschetschenischen Asylwerber“ befindet sich auch das fünf Monate alte Baby der Familie S. Mehrere Familienmitglieder wurden während der letzten eineinhalb Jahre in unserer Einrichtung psychotherapeutisch behandelt. Sie sind durch den Krieg und infolge von Folter traumatisiert. Die Therapien sind nun abgebrochen. Einer der Söhne wurde im Herbst 2006 in Kärnten auf offener Straße durch einen „Inländer“ mit Messerstichen beinahe ermordet und leidet unter einer zusätzlichen Traumatisierung. Ärzte und Therapeuten sind vor dem Abtransport der Familie natürlich nicht konsultiert worden. Der Landeshauptmann und das Flüchtlingsreferat übernehmen die Verantwortung für eine mögliche Gesundheitsgefährdung.
Wir haben im Land Kärnten entsprechend den Regeln einer modernen Demokratie gut funktionierende Einrichtungen, die für die Aufklärung und rationale Bearbeitung von Jugendkriminalität zuständig sind: Die Polizei, die Jugendstaatsanwaltschaft, Gerichte, Bewährungshilfe, Jugendämter usw. Der Villacher Polizeikommandant hat sich noch am 7.1. an einem runden Tisch in vorbildlicher Weise um Verständigung mit tschetschenischen Eltern und Jugendlichen bemüht.
Haider hat sich aber offenbar entschieden, den starken Führer zu spielen, dessen Handeln keine polizeilichen und juristischen Beweise, keine unabhängige Faktenüberprüfung benötigt: „Unter meiner Führung wird Kärnten auch ein sicheres Land bleiben. Jemand, der sich nicht anpassen kann und sich nicht an unsere Spielregeln hält, hat bei uns nichts verloren. Daher habe ich die sofortige Abschiebung der gewalttätigen tschetschenischen Asylwerber veranlasst.“ Spielregelexperte Haider macht sich selbstherrlich zum Ermittler, Richter und Exekutor zugleich und hofft auf den Applaus des Publikums. Wahrscheinlich geht es auch darum, die aufgebrachte Stimmung in Bezug auf aggressive ausländische Jugendliche, die gerade aus Deutschland zu uns herüber kommt, parteipolitisch zu nutzen. Der Rechtsstaat bleibt auf der Strecke, die Flüchtlingsverwaltung spielt mit, die Zeche zahlen Menschen, die als Mitglieder einer ethnischen Gruppe kollektiv verdächtigt und abtransportiert werden. Die Grenze zu einer autoritären Säuberungsaktion ist überschritten.
Wir fordern die Rückkehr der abtransportierten Familien nach Kärnten, eine Aufklärung und Behandlung der Silvestervorfälle nach den Regeln unseres Rechtsstaats und eine Wiedergutmachung der möglicherweise entstandenen gesundheitlichen und psychischen Schäden bei den Betroffenen.
Klagenfurt, den 8.1.2008
O. Univ. Prof. Dr. Klaus Ottomeyer Obmann von ASPIS. Forschungs- und Beratungszentrum für Opfer von Gewalt Mag. Maria Lind Leiterin des Therapieprojekts bei ASPIS
Kontakt: Aspis. Forschungs- und Beratungszentrum für Opfer von Gewalt. Alpen Adria Universität Klagenfurt, Studentendorf Haus 10, Universitätsstraße, A – 9020 Klagenfurt. Tel. 0463/2700 1673, http://www.aspis.at/ |