Samstag, 24. Januar 2009
 
Heikles Referendum in Ungarn PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Freitag, 7. März 2008

Den Todesstoß für die ungarische sozialliberale Regierung von Premier Ferenc Gyurcsány verspricht sich Oppositionsführer Viktor Orbán vom Refendum am kommenden Sonntag, das er initiiert hat.

Das Wahlvolk ist aufgerufen, über Gesundheits- und Studiengebühren zu entscheiden, die letztes Jahr eingeführt wurden. Angesichts der geringen Popularität dieser Abgaben ist am Ausgang der Volksabstimmung nicht zu zweifeln.

Die Gültigkeit einer Volksabstimmung hängt allerdings von der Beteiligung ab. Wenn nicht mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten zur Urne schreitet, ist das Ergebnis hinfällig. Das ist in den vergangenen Jahren bei mehreren Referenden passiert. Allerdings haben in Umfragen 46 bis 54 Prozent angekündigt, sie wollten abstimmen. Gyurcsány und seine sozialdemokratische MSZP werben daher weniger für ein Ja zu den Gebühren, als für die Stimmenthaltung.

Mit einer Praxisgebühr von umgerechnet 1,20 Euro pro Arztbesuch und Studiengebühren von rund 85 Euro ab dem kommenden Wintersemester versuchte die Regierung das schwer defizitäre Gesundheitssystem und die staatlichen Universitäten zu sanieren. Immerhin etwa 80 Millionen Euro wurden in einem Jahr in die Kassen der Ärzte und Spitäler gespült. Und obwohl die ungarischen Patienten regelmäßig mit viel höheren „Dankgeldern“ beim Gesundheitspersonal bessere oder schnellere Behandlung erwirken wollen, sträuben sie sich vehement gegen staatlich verordnete Zahlungen.

Premier Gyurcsány weiß, daß er beim Referendum nicht viel zu gewinnen hat und versucht zumindest sein Kabinett für die bevorstehende Krise fit zu machen. So setzte er im Februar Albert Takács, den erst ein Jahr vorher berufenen Minister für Justiz und öffentliche Ordnung, ab und ersetzte ihn durch seinen Vertrauten Tibor Draskovics. Den hatte er schon einmal als Finanzminister gefeuert. Der Regierungschef argumentierte den überraschenden Wechsel mit der Notwendigkeit, einen stärkeren Mann an seiner Seite zu haben, der dafür sorgen könne, daß sich Ausrutscher bei der Bewahrung der öffentlichen Ordnung nicht wiederholen. Bei teils gewalttätigen Demonstrationen im Vorjahr und 2006 hatte die Polizei teils zu spät, teils mit exzessiver Gewalt reagiert.

Neue Demonstrationen könnten demnächst ins Haus stehen. Es wird befürchtet, daß die Opposition den Staatsfeiertag am 15. März nach einem für sie erfolgreichen Referendum nutzen könnte, um eine landesweite Protestbewegung ins Leben zu rufen. Viktor Orbán, Chef der rechtspopulistischen Jungen Bürgerunion Fidesz, bestreitet derartige Absichten. Er schließt aber nicht aus, daß eine Schlappe bei der Volksabstimmung innerhalb der sozialdemokratischen MSZP zu einer Revolte führen könnte. Auch Gyurcsánys Vorgänger Péter Medgyessy sei ja 2004 nach einer verlorenen Europawahl abgelöst worden.

Orbán, der von der Regierung für die Ausschreitungen rechtsextremer Demonstranten in den letzten anderthalb Jahren mitverantwortlich gemacht wurde, versucht jeden Eindruck zu vermeiden, er rufe zur Gewalt auf. In einem Gespräch mit der Auslandspresse erklärte er das Ziel des Referendums folgendermaßen: „Viele, die meinen, Demokratie bedeute lediglich einen Urnengang alle vier Jahre, sollen sehen: Das Volk hat die Macht, Beschlüsse der Regierung rückgängig zu machen“.

Parolen, wie das Referendum sei eine Gelegenheit, „die Regierung zu verjagen“, machten aber deutlich, daß die Opposition auf Neuwahlen drängen wird. Die Regierungsparteien hätten da nämlich denkbar schlechte Karten. Während sich die Fidesz nach jüngsten Umfragen 35-39 Prozent ausrechnen kann, darf die MSZP mit nicht mehr als 17 Prozent der Wählerstimmen rechnen. Ihr kleiner Koalitionspartner, die liberale SZDSZ, die mit Ágnes Horváth die unpopuläre Gesundheitsministerin stellt, würde gar an der Fünfprozenthürde scheitern.

Um die Stimmung vor der Volksbefragung noch anzuheizen, verbreitet die Fidesz das Gerücht, die Praxisgebühren sollten demnächst verdreifacht werden. Einer Antwort auf die Frage, wie er die fehlenden Einnahmen ersetzen würde, weicht Viktor Orbán allerdings aus.

< zurück   weiter >