Nach 7 Jahren Experimenten muss Projekt “Bürgerkarte” als endgültig gescheitert angesehen werden. Wahrscheinlich wird es genau deswegen verlängert.
Österreich hat rund 25.000 Behörden und Körperschaften öffentlichen Rechts, etwa 470.000 Bedienstete, etwa 50 Millionen Rsa/Rsb-Briefe jährlich, knapp eintausend unterschiedliche Behördenabläufe sind allein auf help.gv aufgelistet, täglich werden etwa 1,5 Millionen Verwaltungsakte durchgeführt .
Jährlich dürften etwa 250 Millionen behördliche Personentransaktionen anfallen (das sind alle Verwaltungsschritte multipliziert mit der jeweils betroffenen Personenzahl). Die Zahl je Staatsbürger ist dabei höchst unterschiedlich. Während kinderlose urbane unselbständig Beschäftigte ohne Immobilienbesitz etwa mit jährlich 3-5 Transaktionen rechnen müssen, steigert sich das bei Eigenheimbesitzern rasch auf 20-30 Amtsfälle, im gewerblichen Bereich sind 3-500 Amtsfälle im Jahr auch keine Seltenheit.
Seit 2001 hat sich eine winzige Technokratengruppe im Bundeskanzleramt in den Kopf gesetzt, mittels eines komplizierten elektronischen Systems den Bürgern den Zugang zu den Behörden drastisch zu erschweren.
Mit dem 2004 in Kraft getretenen eGovernment-Gesetz wurde eine ganze Nation in Geiselhaft genommen. Innerhalb von drei Jahren sollten alle Behördenwege elektronisch mittels einer Bürgerkarte “einfacher” und “billiger” abgewickelt werden können, so die euphorische Selbstbeweihräucherung. 2007 läuft diese Übergangsfrist aus.
Während in allen anderen Bereichen elektronische Anwendungen und Internetdienste boomen, dümpeln die Bürgerkartenanwendungen dahin. Onlinebanking nutzen drei Millionen Kunden, selbst eCommerce und Online-Shopping wurde 2006 laut einer KMU-Studie von ca.1,8 Mio. Österreichern genutzt. In bestimmten Bereichen, wie Flug- und Bahnreisebuchungen, Verkauf von Veranstaltungskarten oder Hotelreservierungen liegt der Onlineanteil mittlerweile zwischen 50 und 90% aller Bestellungen/Reservierungen. Soziale und berufliche Netzwerke sind ohne Web2.0-Anwendungen nicht mehr denkbar.
Anlässlich der im Parlament geplanten Prolongierung des eGovernment-Gesetzes lohnt es sich Ankündigungen und Ergebnisse zu vergleichen. http://help.gv.at, die offizielle eGovernment-Plattform der Bundesregierung, listet etwa 1000 verschiedene Behördengänge auf, etwa das 2-3fache gibt es zusätzlich in Österreich. Nur knapp mehr als 100 Behörden, darunter etwa 70 Gemeinden (von 2350), bieten überhaupt irgendeinen Bürgerkartendienst an. Österreichweit werden nur 6 Anwendungen angeboten, 36 weitere Anwendungen nur in bestimmten Orten.
Die bundesweiten Dienste betreffen Pensionsanträge, ZMR-Meldebestätigung, Kinderbetreuungsgeld, FinanzOnline und zwei Dienste für Heeresangehörige.
Zum Finanzamt ohne Karte
Wie dramatisch gescheitert die Bürgerkartenlösungen sind, wird am Beispiel FinanzOnline deutlich. FinanzOnline wird sowohl klassisch, mit Benutzerkennung und Passwort, als auch als Bürgerkartenlösung angeboten. Nach einer Auskunft des BMF nutzen 2006 mehr als eine Million Menschen FinanzOnline, diese stellten seit 2003 rund 15 Millionen Anträge und führten 23 Millionen Transaktionen durch, gerade 3.500 Teilnehmer hatten auch einen Einstieg mit Bürgerkarte versucht. “Auf Grund der Erfahrungen”, so das BMF, “wird es auch nach 2008 den Zugang ohne Bürgerkarte geben.”
Der Anteil an Bürgerkartentransaktionen an allen Behördenanwendungen liegt bei weniger als einem Promille, wobei die Österreicher als durchaus aufgeschlossen gegenüber Online-Behördendiensten zu bezeichnen sind. Regelmäßig benötigte Dienste, wie der jährliche Finanzausgleich werden von weit über einer Million Österreicher online erledigt, aber eben nicht mit der Bürgerkarte, sondern mit einem ausreichend sicheren Loginverfahren, das wesentlich einfacher zu nutzen ist und auch besser durchschaubar ist.
Selbst geschenkt ist zu teuer, so könnte man alle bisherigen Förderversuche zusammen fassen. Eine 2005 durchgeführte Förderaktion des BMF, die den Ankauf des Kartenlesers subventionierte blieb bei einem Bruchteil der geplanten 200.000 Förderungen hängen (Ende 2006: ca 10.000 Fälle).
Das Projekt ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen höchst bedenklich. Private Anwendungen, wie Onlinebanking, Musikdownload, Kartenbestellung oder Online-Shopping, sind durch Wahlfreiheit und Wettbewerb gekennzeichnet. Diese sind bei Behördenanwendungen nicht gegeben. Mit Behörden hat man in der Regel zwangsweisen Kontakt. Behördenanwendungen, Formulare und Kontaktmöglichkeiten müssen sich daher nach den Möglichkeiten der einfachen Bürger orientieren und dürfen keine Spezialkenntnisse voraussetzen.
Werden technische, administrative oder organisatorische Hürden errichtet, wie das mit der Bürgerkartentechnik der Fall ist, dann widerspricht das dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot. Wenn bestimmte Anliegen nur mehr mit Bürgerkarte oder ansonsten mit Zusatzkosten erledigt werden können, wäre ein derartiges Gebot verletzt.
Datenverknüpfung bis zum Abwinken
Aus Datenschutzsicht ist das Konzept abzulehnen, da es auch die Möglichkeit zum gläsernen Bürger schafft. Bisher wurden Behördenvorgänge mittels Aktenzahlen erledigt, der Bürger konnte sicher sein, dass seine Daten nur bei der zuständigen Behörde abrufbar waren. Mit dem Stammzahlen- und Bereichszahlensystem soll es aber in Zukunft möglich sein, verschiedenste Verwaltungsschritte beliebig miteinander zu verknüpfen.
Wird das Projekt weiter verfolgt, wird es in Zukunft möglich sein, völlig unterschiedliche Bürgerinteressen miteinander zu verknüpfen. Kirchenaustritt, Bauansuchen, Parkpickerl, chefärztliche Bescheinigung, Beihilfeantag für den Musikschulbesuch, Meldung von Veranstaltungen, Exekutionsanträge, Eheschließung, Fahrtenbeihilfen, Autowrackentsorgung, Flohmarktmeldungen, Verlustmeldungen, Steuererklärungen, Sozialhilfeantrag, Fischerkarte, Kindergartenmeldung, Lenkerauskunft, Mietzins- und Studienbeihilfe, Verlustmeldungen und das Anmelden zum Verteilen von Flugblättern und noch vieles mehr könnte dann miteinander verknüpft werden und Anlass für Spekulationen über den bürgerlichen Lebenswandel führen.
Was versprach Josef Cap 2006, als sich das Scheitern der Bürgerkarte immer deutlicher abzeichnete, sinngemäß: “Wenn die SPÖ einmal etwas zu reden hat, dann wird es dieses Gesetz nicht mehr geben.” (ftp://ftp.freenet.at/beh/cap-buergerkarte.pdf).
Unheimliche Black Box
Auch vom Standpunkt der IT-Sicherheit weist das Konzept schwere Mängel auf. Installiert man das Bürgerkartensystem, dann ist man mit einer Fülle von Fehlermeldungen und Warnhinweisen konfrontiert. Die verwendeten Zertifikate werden von vielen Internet-Browsern nicht richtig erkannt, trotz angeblich verschlüsselter Seiten werden Daten unverschlüsselt übertragen und es müssen eigene Internet-Ports (3495/3496) geöffnet werden, dies bietet weitere Angriffsmöglichkeit.
Vom Bürger wird das Gegenteil von dem verlangt, was in allen Sicherheitsbroschüren empfohlen wird. Er kann entweder alle Warnungen ignorieren, dann weiß er nicht mehr, ob das System sicher ist oder er muss die Bürgerkarte sofort wieder deinstallieren. Der Benutzer wird entmündigt, er kennt nicht einmal alle Daten, die er bei der Bürgerkartennutzung verwenden muss, insbesondere ist ihm die Datei zur Erstellung der eigenen Signatur unbekannt.
Die Bürgerkarte emtpuppt sich auch als die klassische Einstiegsmöglichkeit für den berüchtigten Polizeitrojaner. Es passt ins Bild, dass sich das Innenministerium für die Verbreitung der Bürgerkarte stark macht. Es passt auch ins Bild, dass die Basisprogramm-Module nicht offen gelegt werden und dieselben Personen, die diese Programme entwickelt haben und zu BMI und BKA ein außergewöhnliches Nahverhältnis haben, auch gleichzeitig als “unabhängige” Prüfstelle für eGovernment-Anwendungen fungieren.
Tatsächlich ist eGovernment auch ohne das komplizierte und bedenkliche Bürgerkartensystem möglich. Es gibt keinen vernünftigen Grund nicht auch im Online-Verfahren mit Aktenzahlen zu arbeiten. Keinen Grund, außer natürlich, dass die Verknüpfbarkeit der Bürgerdaten nicht mehr gegeben wäre und die Datenschutzinteressen der Bürger gewahrt blieben.
eGovernment-Europameister?
Während sich Österreich laufend als eGovernment-Europameister beweihräuchert, entpuppt sich die Spitzenstellung als politische Mogelpackung. Die unbestrittenen Erfolge im Verwaltungsbereich, etwa das elektronische Rechtsinformationssytem RIS, die elektronische Gesetzespublikation, der Behörden-Portalverbund oder FinanzOnline wurden nicht wegen des eGovernment-Gesetzes erreicht, sondern trotz dieses Gesetzes. Alle diese Anwendungen widersprechen im Kern den Anforderungen des eGovernment-Gesetzes.
Kurz zusammen gefasst, dort wo die eGovG-Bestimmungen angewandt werden herrscht Chaos, Akzeptanzprobleme und fehlende Nutzung, dort wo eGovernment funktioniert wird das eGovG ignoriert. Wie lange wird der österreichische Steuerzahler das missglückte Konzept “Bürgerkarte” noch finanzieren?
Nach sieben Jahren Experimentieren und Scheitern kann wohl nicht mehr von Anfangsschwierigkeiten gesprochen werden. Jetzt aufzuhören wäre aber immer noch die kostengünstigste und bürgerfreundlichste Lösung. Doch am Mittwoch wurde die Verlängerung im Parlament abgenickt.
Quelle: http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php? q=PUB-TEXT-ARGEDATEN&s=45653gzg (Bearbeitete Version für akin 29/2007)
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