Stellungnahme der Werkstatt Frieden & Solidarität zur österreichischen Beteiligung am EUFOR-Einsatz
Die Schlappen rund um das Tschadabenteuer der österreichischen Bundesregierung nehmen immer groteskere aber auch bedrohlichere Formen an. Die österreichische Regierung wurde offensichtlich nicht über den Vormarsch der Rebellen auf die tschadische Hauptstadt N'djamena informiert, obwohl dieser frühzeitig von der französichen Luftaufklärung bemerkt werden musste. Ausgesandt, um Frieden und Humanität zu stiften, sind österreichische SoldatInnen plötzlich unmittelbar in einen Bürgerkrieg mit dem Potential zu einem zwischenstaatlichen Krieg mit überregionalen Verwicklungen involviert. Die Regierung hat keinerlei Kontrolle über die Situation und gibt Durchhalteparolen aus. Anstatt Flüchtlinge zu schützen, sind die österreichischen SoldatInnen zunächst dazu gezwungen, sich selbst zu schützen. Jenseitig mutet die Stellungnahme des Bundeskanzlers an: "Strikte Neutralität ist das Gebot der Stunde!" (BK Gusenbauer, orf.at, 4.2.2008)
Frankreich hat 48 Stunden gewartet, wer bei dieser militärischen Auseinandersetzung die Oberhand behält und sich dann doch auf die Seite Präsident Idris Debys geschlagen. Die Rebellen haben schon am 4.12.2007 angekündigt, daß sie alle militärischen Kräfte, die das Regime Debys unterstützen, als Kriegsgegner betrachten, auch Österreich. Die Bundesregierung hat in all den Wochen keinerlei eigene Kontakte oder gar eine Gesprächsbasis mit den Streitparteien hergestellt. Sie ist in der Beurteilung der Lage und ihren Entscheidungen vollständig von der französischen Führung abhängig. In Wahrheit ist die nachhaltige Beschädigung der Neutralität Österreichs wesentliches Ziel des Tschad-Abenteuers.
Die Antwort auf die Frage, was die Bundesregierung zu diesem Kurs treibt, findet sich im EU-"Reformvertrag". Im Art. 42 VEU Abs. 6 ist geregelt, dass "die Mitgliedsstaaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander festere Verpflichtungen eingegangen sind, ... eine strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Union..." begründen können. In einem eigenen Protokoll zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) ist festgelegt, dass ein Staat, der sich "verpflichtet, a) seine Verteidigungsfähigkeit durch Ausbau seiner nationalen Beiträge und gegebenenfalls durch Beteiligung an multinationalen Streitkräften, an den wichtigsten europäischen Ausrüstungsprogrammen und an der Tätigkeit der Agentur für ... (Verteidigungsagentur) intensiver zu entwickeln ..." an der SSZ teilnehmen kann. Alle Parlamentsparteien wollen, dass Österreich bei der Bildung des militärischen Avantgardeeuropas vorne mit dabei ist. Bis jetzt verließ man sich darauf, über die Patronanz Deutschlands einen fixen Startplatz innezuhaben. Durch den Ankauf der Eurofighter wurde eine Voraussetzung erfüllt. Mit der Beteiligung am Tschadabenteuer hofft man auch auf die Fürsprache Frankreichs, eines big players in der europäischen Militärpolitik. Präsident Sarkozy hat bereits angekündigt, dass die französische Ratspräsidentschaft unter dem Titel der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik stehen werde. Etwaigen Einwänden, dass das nach wie vor rechtsgültige Neutralitätsgesetz einer Beteiligung an der SSZ im Wege stehe, soll mit dem deutlichen Signal, dass man sich an allen Einsätzen beteiligen wolle, frühzeitig begegnet werden.
Frankreich übt eine postkoloniale Kontrolle über den Tschad aus, hat substanzielle wirtschaftliche und politische Interessen in der Region und wird nicht als neutraler Friedensstifter wahrgenommen. Mit dem hektischen Aktivismus Frankreichs in Afrika soll auch sein Gewicht im EU-Machtgefüge nach der Osterweiterung aufrechterhalten werden. Ein militärisches Abenteuer an der Seite Frankreichs im Tschad steht in klarem Widerspruch zur Neutralität, das aktive Betreiben dieser Beteiligung ist Neutralitätsgefährdung. Österreich hat genügend andere Möglichkeiten, sich auf der Basis aktiver Neutralitätspolitik an humanitären Hilfsaktionen zu beteiligen.
Die aktuellen Entwicklungen im Tschad bestätigen den Befund der Werkstatt Frieden & Solidarität über den EU-Integrationsprozess: "Der Preis für die Supermacht EU ist die Spaltung Europas. Wenn wir heute die Selbständigkeit der Republik, Neutralität, Staatsvertrag, Gemeinwirtschaft, eine solidarische Gesellschaft zugunsten einer angeblich zusammenwachsenden EU aufgeben, finden wir uns morgen an der Seite einer Hegemonialmacht im Kampf um die Vorherrschaft in Europa wieder." (Für eine Friedensrepublik, Programm der Werkstatt Frieden&Solidarität) Was heute als Farce aufgeführt wird, kann morgen schon in einer Katastrophe münden.
Die Werkstatt Frieden&Solidarität fordert deshalb:
Sofortige Beendigung der Tschadmission – Rückholung aller SoldatInnen Keine Beteiligung an den EU-Battle Groups, Austritt aus der Rüstungsagentur, Abschaffung des Art. 23f der BVG (Kriegsermächtigungsartikel) Genereller Rückzug von allen Kolonialmissionen der EU, auch am Balkan. Keine Ratifikation des EU-"Reformvertrages" – Volksabstimmung! Aktive Neutralitätspolitik statt Mitmarschieren – Ehrliche humanitäre Hilfe und internationale Solidarität
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