Österreich pflegte schon bisher einen lockeren Umgang mit Organspenden und Gewebeentnahmen. Weitgehend unbemerkt wird dieser lockere Umgang mit menschlichem Gewebe prolongiert.
Der Handel mit menschlichen Materialien wurde zu einem der lukrativsten Geschäftszweige im Health-Bereich. Viele denken dabei nur an Organtransplantationen, die aber nur als ultima ratio eines medizinischen Eingriffs anzusehen sind. Wesentlich verbreiteter, aber in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ist die industrielle Nutzung von Blut, Knochen und anderen Gewebeteilen. Beliebt sind etwa Human-Prothesen, die aus Leichenknochen gefräst sind. Leichen werden geradezu ausgehöhlt und dann mit Füllstoffen versehen den trauernden Verwandten übergeben. Zuletzt wurden derartige Fälle mitten in der EU, in Lettland, dokumentiert, beteiligt war eine deutsche Firma.
Österreich ist eines der Länder, welches hinsichtlich des Schutzes der Organe und Gewebe Verstorbener einen ziemlich lockeren Umgang an den Tag legt. Während in vielen europäischen Staaten die sogenannte „Zustimmungslösung“ gilt, setzt der österreichische Gesetzgeber auf die „Widerspruchslösung“, um eine ausreichende Versorgung mit transplantationsfähigen Organen zu ermöglichen.
Österreich im Vergleich - pro und contra
Mit der Widerspruchslösung befindet sich Österreich in der Gesellschaft von Luxemburg, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn. Die restlichen europäischen Staaten setzen dagegen auf erweiterte Zustimmungslösung bzw. erweiterte Widerspruchslösung, binden daher die Angehörigen in die Entscheidung – im Gegensatz zum österreichischen Gesetzgeber - ein. Während in der DDR auf die Widerspruchslösung gesetzt wurde, gilt in Deutschland heute die erweiterte Zustimmungslösung.
Gegner der Widerspruchsregelung verweisen darauf, dass es letztlich jedem selbst überlassen sei, ob er Organe spenden wolle oder nicht und das Recht, über den eigenen Körper zu disponieren, auch über den Tod hinaus Geltung haben sollte. Befürworter der Widerspruchslösung verweisen dagegen auf die langen Wartelisten bei Organspenden. Weiters wird an der erweiterten Zustimmungslösung kritisiert, dass lediglich ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung einen Spenderausweis ausgefüllt habe. Komme es zu der Situation,dass der Spender hirntot ist, seine Organe aber transplantiert werden könnten, müssten Ärzte die Angehörigen um eine Erlaubnis noch auf der Intensivstation fragen, was aus Pietätsgründen häufig nicht erfolge.
Gewebeentnahmen - Richtlinie 2004/23/EG
Die entsprechende Richtlinie 2004/23/EG regelt die Zulässigkeit der Entnahme und Verwendung von bestimmten menschlichen Geweben und Zellen. Nicht erfasst sind allerdings ausdrücklich Organe oder Teile von Organen, wenn sie zum gleichen Zweck wie das ganze Organ im menschlichen Körper verwendet werden sollen ("Transplantationsbestimmung"). Das bedeutet: Gewebe und Zellen, welche Teile eines Organs bilden, sind von den Bestimmungen der EG-Richtlinie nur dann ausgenommen, wenn sie – zusammen - den gleichen Zweck wie das gesamte Organ erfüllen sollen. Ansonsten fällt die Entnahme entsprechender Zellen und Gewebe unter diese Richtlinie.
Gewebeentnahmen - Handlungsbedarf in Österreich
Für die Richtlinie 2004/23/EG zur Gewebeentnahme gab es seit 2004 Handlungsbedarf, spätestens im April 2006 hätte eine Umsetzung erfolgen sollen. Österreich war - wieder einmal - säumig und hat erst im Dezember 2007 in einem Husch-Pfusch-Verfahren, als Tagesordnung unter vielen ein "Gewebesicherheitsgesetz - GSG" durchgedrückt.
Wesentlicher grundrechtlicher Kern der EG-Richtlinie sind die Einwilligungs- und Genehmigungsrechte. Offenbar sollen durch die Richtlinie die eingangs beschriebenen "lettischen Verhältnisse", bei denen Tote geradezu ausgeweidet werden, verhindert werden.
Artikel 13 der Richtlinie erklärt die Beschaffung von menschlichen Geweben oder Zellen nur dann als erlaubt, wenn sämtliche in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden zwingenden Vorschriften über die Einwilligung oder Genehmigung eingehalten wurden. Die Richtlinie erlaubt somit den Mitgliedsstaaten Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung in das nationale Recht.
Österreich hat sich mit dem Gewebesicherheitsgesetz zu einem grundrechtlich unzureichenden Weg entschlossen. Bei Lebendspendern ist zwar grundsätzlich eine schriftliche Einwilligung einzuholen (§4 GSG), aber selbst hier lässt sich der Gesetzgeber ein riesiges Schlupfloch. "Sofern der Spender zur Unterschriftsleistung nicht in der Lage ist, muss die Einwilligung vor einem Zeugen abgegeben werden, der die Einwilligung durch seine Unterschrift zu bestätigen hat." Der Zeuge ist nicht weiter qualifiziert und muss nicht eine Vertrauensperson oder ein naher Verwandter sein. So ist es ohne weiters denkbar, dass sich genau jenes Personal, das Interesse an der Gewebe-Entnahme hat, gegenseitig bestätigt, dass ja der Spender durch Handzeichen, Nicken oder ähnlichem zugestimmt hat.
Bei der Gewebeentnahme Toter gilt wieder die Widerspruchslösung im Sinne des § 62a des Kranken- und Kuranstaltengesetzes. Diese bezieht sich zwar ausdrücklich auf Transpalantationsfälle, ist daher bei den üblichen Gewebeentnahmen zu Forschungszwecken und zur Herstellung von Medizinprodukten streng genommen nicht anwendbar.
Mit der nun verabschiedeten Regelung wurden willfährig die Bedürfnisse der Gewebeindustrie und mancher Forscher befriedigt, auf der Strecke blieben die Privatsphäreinteressen der (unfreiwilligen) Spender und Anverwandten.
Gewebeentnahme offensichtlich nicht EU-konform geregelt
Die EU-Richtlinie spricht eindeutig von "Einwilligung oder Genehmigung" für die Gewebeentnahme, in Österreich gibt es jedoch - zumindest bei den Toten - keinen Einwilligungs- oder Genehmigungsprozess.
Festzuhalten ist, dass eine Rechtsordnung, die Bestimmungen über „Einwilligung oder Genehmigung“ gar nicht kennt, mit der EU-Bestimmung nicht im Einklang stehen kann, da dies die Richtlinie wirkungslos machen würde. Ob die derzeitige österreichische Regelung mit den Vorgaben der Richtlinie vereinbar ist, ist somit mit „nein“ zu beantworten, da eine „Nichtäußerung“ - Nichterhebung des vorgesehenen Widerspruchs - sicherlich nicht als Einwilligung im Sinne der Richtlinie gelten kann.
Gerade in Kraft getreten steht hinsichtlich der derzeitigen Regelungen dem österreichischen Gesetzgeber in Anbetracht der Vorgaben der EU daher wohl schon die Gesetzes-Reparatur ins Haus.
Rechtssicherheit für Spender und Angehörige notwendig
Die Frage der Entnahme von Organen, Zell- und Gewebeteilen von Verstorbenen ist sicherlich ein überaus umstrittener Gegenstand, sowohl im juristischen als auch moralisch-ethischen Sinne. Egal ob man der Widerspruchs- oder Zustimmungslösung anhängt, ist aber eines klar: In einem derart sensiblen Bereich zwischen Medizin und Privatsphäre sollten zumindest keine rechtlichen Unklarheiten herrschen. Zu fordern ist zumindest eine bessere Information darüber, dass ohne erhobenen Widerspruch die Entnahme von Organen und Organteilen an Verstorbenen in Österreich zulässig ist. Eine derartige Informationspflicht trifft insbesondere auf Personen zu, die sich nur vorübergehend in Österreich aufhalten und fälschlicherweise auf die strengen Regeln ihres Heimatstaates vertrauen. Jeder soll sich darauf verlassen können, welche Regelung für ihn gilt. Insofern ist der österreichische Gesetzgeber auch hinsichtlich der gegenwärtigen Regelung zur Gesetzesreparatur aufgefordert - mit europäischen Vorgaben ist das neue Gesetz nicht vereinbar.
Quelle und weiterführende Links www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php? q=PUB-TEXT-ARGEDATEN&s=32324ehu
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