Vor einem Jahr verlor der Kandidat der Linken, Andrés Manuel López Obrador, die Wahlen in Mexiko. Durch Wahlbetrug, wie seine Anhänger überzeugt sind. Jetzt wurde der Betrug durch eine Recherchekommission bestätigt. Und López Obrador fühlt sich ermutig, weiter als Gegenpräsident aufzutreten.
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Vor mehr als 100.000 Menschen, die den Zócalo, den zwischen der Kathredrale und dem Nationalpalast gelegenen Hauptplatz im Herzen der mexikanischen Hauptstadt, füllten, wartete der in den Augen seiner Anhänger als der “Legitime Präsident der Mexikaner” (El legítimo presidente de los mexicanos) identifizierte Andrés Manuel López Obrador (AMLO) von der linksgerichteten oppositionellen Partido de la Revolución Democrática (PRD) mit einer politischen Grundsatzrede auf, die noch von sich hören lassen wird.
“Diese Veranstaltung beweist, dass wir, genau ein Jahr nach dem Wahlbetrug am 2. Juni 2006, noch immer aufrecht weiterkämpfen und mit Optimismus und Beharrlichkeit die Fahne der demokratischen Veränderung tragen, während sich die anderen schwer bewaffnet mit dem Staatssäckel davonstehlen”, begann der 55jährige ehemalige Präsidentschaftskandidat, der laut offiziellen Ergbebnissen die Wahlen mit einer Stimmendiffernz von 1,5 Millionen verloren hatte.
In den Tagen zuvor hatte eine Untersuchungskommission unter der Leitung der bekannten Schriftstellerin Elena Poniatowska vor dem Monument der Revolution einen Bericht über den Wahlbetrug verlesen, dessen Daten in mühsamer journalistischer Recherchenarbeit zusammengetragen wurden. Aus ihm geht hervor, dass es bereits während des Wahlkampfes zu Abmachungen zwischen der regierenden Partido de Acción Nacional (PAN) und der von 1929 bis 2000 allein regierenden Partido de la Revolución Institucional (PRI) einerseits und dem derzeit im Amt befindlichen Präsidenten Felipe Calderón sowie den finanzstärksten Bankenkonsortien und Tansnationalen Unternehmungen Mexikos und der USA gekommen war. Diese würden jetzt von der Regierung durch saftige Gouverneursposten (u.a. die der repressiven Gouverneure von Oaxaca und von Puebla) sowie erste Privatisierungsschritte auf dem Energiesektor (Erdöl und Elektrizität) eingelöst werden.
“Wir werden die Privatisierung des Erdöls und der Elektrizität nicht zulassen. Das Vaterland ist unverkäuflich”, wetterte López Obrador und kündigte für diesen Fall eine neuerliche Konzentration auf dem Zócalo an, in der die “notwendigen Massnahmen” beschlossen würden.
Weiters wandte er sich mit der eindringlichen Bitte an die Abgeordneten und Senatoren, der von der Regierung beantragte Steuerreform, die zwar eine drastische Erhöhung der Erdölpreise beinhaltet, aber die Gehälter der öffentlichen Spitzenfunktionäre bis zu einer halben Million Pesos im Monat (ca. 40 000.- Euros) unangetastet lässt, nicht zuzustimmen.
“Wir wollen keine reiche Regierung, die ein armes Volk regiert”, sagte López Obrador und kündigte an, dass er auch die Pensionreform, die eineinhalb Millionen LehrerInnen besonders hart trifft, sofort zurücknehmen würde, sobald er, “früher oder später”, an der Regierung wäre. Seit mehreren Monaten halten die Lehrergewerkschaft SNTE (Sindicato Nacional de Trabajadores de la Educación) und andere Sektoren an ihren Blockaden und Kundgebungen vor den Gebäuden der Sozialversicherung der öffentlichen Bediensteten (ISSSTE) fest. Diese Aktionen sollen zum Ausgangspunkt für einen Generalstreik werden.
Tatsächlich hat sich in Mexiko bereits ein Streikrat (Consejo General de Huelga) gebildet, der von verschiedenen Sektoren der mexikanischen Zivilgesellschaft beschickt wird. Aber auch in Oaxaca ist die Bewegung mit einer Grossdemonstration am 15. Juni nach der Repressionswelle Ende des vergangenen Jahres wieder in Schwung gekommen.
An alle diese Sektoren, in denen es starke soziale Bewegungen gibt, wandte sich López Obrador ebenso wie an die Indígenas und Campesinos, die er zum Herzstück seiner zukünftigen Politik als Regierungsoberhaupt erklärte. Weiters verwies er darauf, dass jährlich etwa 600.000 MexikanerInnen in die USA emigrieren würden: “Das Phänomen der Migration hat derart extreme Ausmasse angenommen, dass die Indígenas, die seit Jahrhunderten ihrem Land und ihren Gemeinschaftskulturen verhaften waren, jetzt auswandern müssen, weil sie darin ihre einzige Alternative zum Überleben sehen”.
AMLO und sein in 500 Gemeinden bestehendes Netzwerk, das nur teilweise aus Mitgliedern der PRD besteht, machen sich aber auch stark für die von Via Campesina und der Nichtregierungsorganisation FIAN ins Leben gerufene internationale Kampagne für die Ernährungssouveränität und vor allem für die vielen politischen Gefangenen, die es seit dem Amtsantritt Felipe Calderóns gibt.
Offensichtlich ist es dem offiziell unterlegenen Präsidentschaftskandidaten darum zu tun, die gleich nach den Wahlen in Gang gekommene politische Bewegung, die am 20. November über eine Million Menschen auf die Strasse gebracht hatte, zu konsolidieren. Diesem Zweck soll auch ein Ausweis dienen, der bisher eine Million BürgerInnen als Mitglieder der Convención Nacional Democrática identifiziert, eine Zahl, die bis Ende nächsten Jahres auf fünf Millionen erhöht werden soll: “Letzendlich werden wir die bedeutendste Bürgerinitiative haben, die es je in der Geschichte Mexikos gegeben hat,” sagte López Obrador und fügte abschliessend hinzu:
“Aus dem Widerstand werden die Optionen für den Aufbau neuer republikanischer Institutionen entstehen, die neue Legalität, die neue Wirtschaft und die neue Form, Politik zu machen. Denn während uns die korrupte poltische Gesellschaft ihre Massnahmen von oben aufoktroyieren will, braucht Mexiko eine Veränderung, die von unten nach oben geht und unter der Beteiligung von allen Volksgemeinschaften gemacht wird ”.
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