Vor 75 Jahren, im März 1933, errichtete der christlichsoziale
Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die klerikale, austrofaschistische
Diktatur. Seit langem hatten sich die Christlichsozialen (die
Vorläuferpartei der heutigen ÖVP) auf diesen Kurs festgelegt. Die
Machtergreifung Hitlers in Deutschland, wenige Wochen zuvor, gab ihnen
frischen Mut.
Die Linie vorgegeben hatte aber schon ein Dollfuß-Vorgänger: Ignaz Seipel, Bundeskanzler und „Prälat ohne Milde“, am 15. Juli 1927 mit dem Massaker vor dem Justizpalast.
Ein Anlaß war leicht gefunden; es konnte auch irgendein anderer sein – eine parlamentarische Formalität, die zum Rücktritt der Präsidenten des Nationalrats führte. Schwer bewaffnetes Militär hinderte die Abgeordneten am Betreten des Parlaments.
Die Arbeiterbewegung verfügte damals über eine bewaffnete Macht: den Republikanischen Schutzbund. Hervorgegangen aus der (in der Revolution von 1918 spontan gegründeten) Arbeiterwehr, sollte er die junge Demokratie vor Anschlägen der Reaktion schützen. In den Zwanzigerjahren wurde er allerdings der Kontrolle durch die Führung der Sozialdemokratischen Partei unterstellt.
Damals, im März 1933, standen überall in Österreich, in den Gemeindebauten, aber selbst in entlegenen Waldviertler Orten, Schutzbündler Gewehr bei Fuß, um den Staatsstreich niederzuschlagen. Kuriere saßen auf ihren Motorrädern bereit, um die Parole zum bewaffneten Aufstand hinauszutragen ins ganze Land.
Sie warteten, warteten vergebens – auf den Befehl, der nicht kam. Verzweifelt, müde, enttäuscht gingen die Menschen nach Hause – und gruben ihre Waffen wieder ein.
Otto Bauer, Chefideologe der austromarxistischen Sozialdemokratie, sprach damals von seiner Verantwortung für die Mütter dieses Landes, deren Söhne fallen würden, wenn er den Kampfbefehl gab. Später, als alles verloren war, hat er sein damaliges Zaudern, seine Entschlusslosigkeit, den schlimmsten aller seiner Fehler genannt.
Im Februar 1934, als der Aufstand dann doch ausbrach - spontan, von der Führung einmal mehr im Stich gelassen - war alles zu spät. Das Volk war entmutigt, demoralisiert. Nur wenige Aufrechte griffen zu den Waffen; der Generalstreik, zu dem die Massen im März 1933 bereit gewesen wären, fand nicht mehr statt.
Die Schutzbündler, in den Gemeindebauten verbarrikadiert, sahen Züge vorbeifahren. Gepanzerte Züge, aus denen das Bundesheer auf die Häuser der Arbeiter schoß. Die Lokomotivführer waren Sozialdemokraten. Es war Wirtschaftskrise, sie fürchteten um ihren Arbeitsplatz.
Der Aufstand wurde in Blut erstickt. Der Faschismus hatte gesiegt. Von da zum Anschluß an Nazideutschland war es nur mehr ein kleiner Schritt. Im Parlamentsklub der ÖVP hängt heute noch ein Bildnis des Diktators. Es gibt in diesem Land eine ungebrochene faschistische Tradition.
Können wir aus der Geschichte lernen? Mit dieser Tradition haben wir NGOs Tag für Tag zu kämpfen. Wir wollen uns nicht eines Tages den Vorwurf machen, wir wären durch allzu große Friedensliebe, durch allzu große Nachsicht mit den Feinden der Freiheit und Gleichheit mitschuldig geworden am Untergang der Demokratie in diesem Land.
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