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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 17. März 2022; 03:43
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  Krieg/BRD/Balkan:
  
  > "Nicht Moskau überlassen"
  
  Die deutsche Außenministerin reiste nach Serbien und Bosnien-Herzegowina, um
  Russlands Einfluss dort zurückzudrängen. In Bosnien drohen aktuell alte
  Spannungen zu eskalieren.
  *
  
  Mit einer Reise nach Serbien und Bosnien-Herzegowina leitete die deutsche
  grüne Außenministerin Annalena Baerbock neue Schritte zur Zurückdrängung
  russischen Einflusses in Südosteuropa ein. Sie werde "deutlich ... machen,
  dass wir diese Region im Herzen Europas nicht dem Einfluss Moskaus
  überlassen werden", hatte Baerbock noch vor ihrer Abreise nach Sarajevo und
  nach Belgrad erklärt. Ihre Gespräche in Serbien führte sie fast genau 23
  Jahre nach dem völkerrechtswidrigen NATO-Überfall auf das Land, bei dem
  zahlreiche Zivilisten zu Tode kamen. Heute verweigert sich Serbien den
  Sanktionen des Westens gegen Russland, mit dem es seit Jahren immer enger
  kooperiert.
  
  Schon vorher war Baerbock in Bosnien-Herzegowina eingetroffen, um mit
  Sanktionsdrohungen Druck auf die bosnischen Serben auszuüben. Diese stehen
  ebenfalls Russland vergleichsweise nahe und verlangen im bosnischen Staat
  größere Eigenständigkeit. Bosnien-Herzegowina befindet sich mehr als 26
  Jahre nach der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens von Ende 1995 immer noch
  in einem desolaten Zustand. Die Verheißungen der EU, in ihrer unmittelbaren
  Nachbarschaft für bessere Lebensverhältnisse zu sorgen, haben sich auch im
  bosnischen Falle als pure Propaganda erwiesen. Die Wirtschaft kommt nicht
  auf die Beine; die Arbeitsbedingungen in Niedriglohnbetrieben, die zum
  Beispiel Schuhe für die Märkte wohlhabender Länder produzieren, sind
  miserabel; Armut und Korruption lassen die Unzufriedenheit in der
  Bevölkerung wachsen. In Sarajevo residiert bei alledem immer noch der mit
  diversen Vollmachten ausgestattete Hohe Repräsentant für
  Bosnien-Herzegowina; seit dem 1. August 2021 hat der CSU-Politiker Christian
  Schmidt das Amt inne. Die EU wiederum hat bis heute Truppen in dem Land
  stationiert. Erst kürzlich ist die Zahl der Soldaten von 600 auf 1.100
  aufgestockt worden. Ursache ist, wie Insider erklären, nicht der russische
  Überfall auf die Ukraine, sondern die jüngsten Spannungen in dem Land.
  Sollte sich die Lage weiter zuspitzen, ist die Entsendung von 2.000
  zusätzlichen Soldaten im Gespräch.[1]
  
  Konkreter Anlass für die Truppenaufstockung ist, dass die bosnischen Serben
  den Status Quo in Bosnien-Herzegowina zunehmend in Frage stellen. Im Herbst
  2021 hat der einflussreichste Politiker der bosnischen Serbenrepublik,
  Milorad Dodik, mitgeteilt, politische Kompetenzen aus Sarajevo in die
  Republika Srpska zurückverlagern zu wollen. Am 10. Februar hat das Parlament
  der Serbenrepublik ein Gesetz auf den Weg gebracht, das es Banja Luka
  gestatten würde, Richter und Staatsanwälte in Eigenregie zu ernennen. Das
  Gesetz könnte im April verabschiedet werden.[2] Weitere Schritte werden
  nicht ausgeschlossen; sie könnten letztlich auf die Abspaltung der Republika
  Srpska zielen. Diese wird von den westlichen Mächten strikt abgelehnt - auch
  deshalb, weil die bosnischen Serben Russland nahestehen. Der Hohe
  Repräsentant hat kürzlich Sanktionen gegen Dodik und ihm nahestehende
  Personen ins Gespräch gebracht. Mittlerweile hat auch der Europäische
  Auswärtige Dienst ein Papier präsentiert, das nicht nur personenbezogene
  Sanktionen, sondern auch das Zurückhalten von EU-Geldern für
  Bosnien-Herzegowina vorsieht.[3]
  
  Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg
  
  Serbien war am 24. März 1999 von der NATO in einem völkerrechtswidrigen
  Angriffskrieg überfallen worden, der ursprünglich in wenigen Tagen den Sieg
  bringen sollte [4], letztlich aber bis zum 10. Juni 1999 dauerte. Bei den
  Luftangriffen kamen laut Zählung von Menschenrechtsorganisationen rund 500
  Zivilisten zu Tode; serbischen Angaben zufolge liegt die tatsächliche Zahl
  deutlich höher. Wohl zwischen 90 und 150 Zivilisten verloren durch
  Streumunition das Leben, die zumindest in einem Fall auf einem belebten
  Marktplatz eingesetzt wurde.[5] 16 Journalisten starben, als die NATO einen
  Fernsehsender in Belgrad bombardierte. Drei Personen wurden bei einem
  Angriff auf die chinesische Botschaft in Belgrad getötet. Offenkundige
  Kriegsverbrechen wurden nicht geahndet [6]. Der damalige US-Senator Joe
  Biden hatte sich massiv für den Überfall auf Jugoslawien stark gemacht und
  zeitweise sogar einen NATO-Einmarsch am Boden verlangt: "Wir sollten eine
  Besetzung dieses Landes nach japanisch-deutschem Vorbild durchführen",
  forderte Biden während der Bombenangriffe im Gespräch mit dem US-Sender
  NBC.[7]
  
  Serbien orientiert sich schon seit Jahren immer enger an Russland - bis hin
  zur Rüstungs- und Militärpolitik; so kauft es regelmäßig russische Waffen
  und hält zunehmend gemeinsame Manöver mit Russland, zuweilen zudem mit
  Belarus ab. Die Moskau-Orientierung ist in der serbischen Bevölkerung
  verankert; eine Umfrage im vergangenen Jahr ergab, dass 54 Prozent Russland
  als wirklichen "Verbündeten" ihres Landes betrachten; von der EU sagen dies
  nur elf, von den USA nur sechs Prozent.[8] Auch daran liegt es, dass Belgrad
  zwar in der UN-Generalversammlung den russischen Angriffskrieg gegen die
  Ukraine verurteilt hat, jedoch die westlichen Sanktionen gegen Russland und
  Belarus nicht unterstützt. Das Europäische Parlament hat es dafür Anfang
  März heftig kritisiert und mit negativen Konsequenzen für den offiziell
  angestrebten serbischen EU-Beitritt gedroht. Insgesamt ruft die ungehemmte
  Eskalation des Machtkampfs zwischen dem Westen und Russland Befürchtungen in
  Berlin und der EU hervor, die gesamte Lage in Südosteuropa könne
  eskalieren - womöglich bis zu bewaffneten Auseinandersetzungen in
  Bosnien-Herzegowina.
  
  Die "offene Flanke" der EU
  
  Außenministerin Baerbock hatte bereits vor ihrem Abflug erklärt, sie wolle
  auf ihrer Reise nach Südosteuropa "deutlich ... machen, dass wir diese
  Region im Herzen Europas nicht dem Einfluss Moskaus überlassen werden".[10]
  Zwar hätten Deutschland und die EU in den vergangenen Jahren viele dortige
  Länder "enttäuscht und vernachlässigt": "In diese offene Flanke drängen
  Akteure wie Russland hinein". Jetzt wolle man aber Südosteuropa wieder die
  dringend notwendige "Priorität" einräumen. Gestern forderte sie in
  Bosnien-Herzegowina, die bosnischen Serben müssten ihre Bestrebungen
  umgehend einstellen, Kompetenzen aus dem Gesamtstaat in die Republika Srpska
  zu verlagern; täten sie das nicht, müssten sie damit rechnen, dass
  staatliche deutsche Wirtschaftshilfe wie auch deutsche Investitionen künftig
  ausblieben.[11]
  (german foreign policy / gek)
  
  
  [1] Srecko Latal: EU Doubles Bosnia Peacekeepers as Global Security
  'Deteriorates'. balkaninsight.com 24.02.2022.
  [2] Djordje Vujatovic: Bosnian Serb MPs Vote to Form Parallel Legal
  Authority. balkaninsight.com 11.02.2022.
  [3] Robin Emmott: EU Should Consider Sanctions On Bosnian Serbs If Crisis
  Worsens, Document Says. ibtimes.com 14.02.2022.
  [4] Marc Felix Serrao: Deutscher Spitzendiplomat Ischinger: "Es ist
  schädlich, wenn westliche Politiker öffentlich darüber spekulieren, ob und
  wie man Putin eliminieren könnte". nzz.ch 07.03.2022.
  [5] Jeremy Scahill: 1999. NATO Bombing of Serbia and Montenegro.
  theintercept.com 27.04.2021.
  [6] S. dazu Die zivilen Opfer der Kriege.
  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7104
  [7] Jeremy Scahill: 1999. NATO Bombing of Serbia and Montenegro.
  theintercept.com 27.04.2021.
  [8] S. dazu "Das ist unser Hinterhof!" (II).
  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8769
  [10] Außenministerin Baerbock vor ihrer Abreise nach Bosnien und
  Herzegowina, Kosovo, Serbien und Moldau. auswaertiges-amt.de 09.03.2022.
  [11] Johannes Leithäuser: Baerbock kündigt stärkere Präsenz auf dem Balkan
  an. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.03.2022.
  
  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8866
  
  
  
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