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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. März 2022; 07:28
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  Krieg:
  
  > Aus der Geschichte lernen
  
  Derzeit ist wieder säkulare Bibelexegese angesagt
  
  
  Historische Vergleiche sind ja generell ein ziemlicher Topfen. Aber sie sind
  so praktisch -- weil es gibt ja das Diktum, daß man aus der Geschichte
  lernen solle. Nur leider will kaum jemand was aus der Geschichte lernen,
  aber alle verwenden sie als Steinbruch, um Wurfgeschosse gegen diejenigen zu
  haben, die angeblich nichts aus der Geschichte lernen wollen. Hat man früher
  auch mit der "Heiligen Schrift" gemacht, mit der läßt sich ja auch so jedes
  Verbrechen und jeder Blödsinn legitimieren. Geschichtsbücher sind heutzutage
  fast so etwas wie säkulare Bibeln.
  
  Was da jetzt an Vergleichen auftaucht, ist natürlich abenteuerlich.
  Natürlich darf der Klassiker nicht fehlen: Der Hitlervergleich! Eh klar,
  ohne den geht es nicht. Präsentiert unter anderem von Wolf Biermann, der es
  eigentlich besser wissen müßte. Nicht nur wegen der Relativierung des
  Naziregimes, sondern auch, weil mit diesem Vergleich jede Diskussion beendet
  ist. Aber das ist ja wohl auch der Zweck von Hitlervergleichen. Paßt ja auch
  super, das Minsker Abkommen ist natürlich das von München, Chamberlain und
  Daladier heissen heute wahlweise Obama, Biden, Merkel, Macron oder von der
  Leyen. Luhansk und Donezk sind das Sudetenland und die Krim ist Österreich.
  Okay, Österreich war nicht Teil der Tschechoslowakei, sondern früher eher
  umgekehrt, aber es geht doch nur darum, was an Vergleichen möglich ist, den
  Rest können wir ja gnädig übersehen. Selenskyj wäre dann vielleicht Benesch?
  Nein, ich bastel mir was Besseres: Dollfuß! Oder Schuschnigg? "Mit einem
  deutschen Wort: Gott schütze Österreich!" Oder eben "Slawa Ukraini".
  
  Okay, wollte nur mal zeigen, daß ich auch deppat sein kann. Historisch ist
  das natürlich kompletter Unsinn. Das, was aber immer gleich ist: Mit
  irgendeiner Parole muß man eine Fahne hochhalten, für die man anlaßbezogen
  arbeiten oder sterben soll und wo man dann an Soldatengräbern weinen darf.
  Deswegen werden jetzt hierzulande niederösterreichische Landesflaggen
  zweckentfremdet und so mancher weiß endlich, wozu er sich einstens einen
  Fanschal der Vienna zugelegt hat. Alles, was zumindest Linke eigentlich
  wirklich aus der Geschichte gelernt haben sollten, nämlich, daß Patriotismus
  immer gefährlicher Unfug ist, ist bei vielen schon wieder vergessen. Aber da
  waren wir ja schon immer anfällig: Wenn es um irgendeinen existierenden oder
  auch nur postulierten Staat geht, mit dem man solidarisch sein soll, packen
  wir irgendwelche Nationalflaggen aus -- und prügeln dann beispielsweise mit
  Israel- und Palästinawimpeln zumeist verbal und bisweilen auch real
  gegenseitig aufeinander ein.
  
  Putin sagt, die Ukraine sei ein erfundener Staat -- großes Tamtam, das
  stimme ja überhaupt nicht. Aber ist nicht jeder Staat erfunden? Irgendwelche
  Armeen haben irgendwann irgendwelche Grenzen erkämpft. Oder es wurden
  Imperien zusammengeheiratet, tu felix austria nube, eh scho wissen. Wie das
  dann genau ausschauen soll mit den Vaterländern mußte dann aber noch
  ausbaldowert werden. Fürsten, Kanzler und Feldherren haben sich über
  Landkarten gebeugt und Striche darauf gemalt. Dann wurden entlang dieser
  Striche in der wirklichen Welt Schilder aufgestellt und Schlagbäume
  errichtet und die so eingezäunte Bevölkerung sollte stolz auf diese
  territoriale Verwaltungseinheit sein und wenn nötig, sie mit ihren Blute
  verteidigen. Sie weiß zwar nicht wieso, aber das muß sie ja auch nicht.
  
  Das ist nämlich genau das mit dem gerade jetzt wieder so gerne zitierten
  Völkerrecht, das nie eines war. Im Krieg stehen ja nicht irgendwie
  definierte Völker gegeneinander, sondern Staaten und Armeen. Das jeweilige
  Staatsvolk ist nur dazu da, die Soldaten für diese Kriege zu stellen. Das
  Völkerrecht stammt aus einer Zeit, wo die Verhandlungen abliefen zwschen
  absolut regierenden Fürsten, die nicht ihren Staat oder dessen Bevölkerung
  repräsentierten, sondern selbst der Staat waren. Dann kam die an sich
  revolutionäre Idee mit dem Nationalstaat und die führte letztendlich dazu,
  daß mangels einheitlicher jeweiliger Nation passend gemacht wurde, was nicht
  paßte: Man bastelte sich einfach Staatsnationen -- egal, ob das Tiroler
  waren, die zu Italienern mutierten, oder Kurden, die sich als Bergtürken
  wiederfanden, oder Serben und Kroaten und Bosnier, die plötzlich drei
  verschiedene Sprachen zu sprechen hatten. Lustig war sowas in der Geschichte
  selten, höchstens bei den Norwegern, die weder Schweden noch Dänen sein
  wollten, und deswegen daran gingen, sich eine eigene Nationalsprache zu
  basteln. Leider konnten sich die Staatsphilologen nicht einigen und so hat
  heute Norwegen zwei Nationalsprachen -- beide sind Norwegisch und eigentlich
  eh Dänisch. Was man aber einem Norweger niemals sagen sollte.
  
  Daher also die Vorstellung logisch-organischer Staatsgebilde. Deswegen
  gehört ja auch Südossetien weiterhin zu Georgien, während der Kosovo ein
  souveräner Staat ist. Völkerrechtlich! Zumindest laut der "Internationalen
  Gemeinschaft".
  
  Zurück zum akuten Fall: Neben Fahnen, Hymnen, Nationalsprachen und viel
  Geschichtsklitterung braucht es natürlich auch Nationalhelden, wie hier etwa
  Stepan Bandera, zu dessen Ehren nicht nur Denkmäler in der Ukraine errichtet
  worden sind, sondern (unter der Präsidentschaft des vom Westen so geliebten
  Juschtschenko) 2009 auch eine Sonderbriefmarke der ukrainischen Post
  aufgelegt worden ist. Ich stelle mir gerade vor, in Österreich hätte es nach
  1945 eine solche Briefmarke mit dem Konterfei von Dollfuß gegeben (und nicht
  nur 1934 unter Schuschnigg).
  
  Wie gesagt: Historische Vergleiche sind immer Unfug, aber wenn die anderen
  spinnen, darf ich das auch. Schließlich habe ich neulich auf Facebook den
  interessanten Vergleich gelesen, daß die diversen Hilfswilligen aus allen
  möglichen EU-Staaten, die jetzt -- mit dem Segen ihrer Heimat- resp.
  Vaterländer -- in die ukrainischen Armee eintreten, doch nichts anderes
  wären als die Interbrigadisten in Francos Spanien. Dann sind das wohl alle
  internationalistische Kommunisten, Sozialisten oder Anarchisten. Und die
  Interbrigaden selbst wären sowas wie das Asow-Regiment, das sich gerne mit
  Nazirunen schmückt und in deren Reihen dem Vernehmen nach diese Krieger
  aufgenommen werden sollen. Selenskyj wäre dann wohl Durruti.
  
  Spannend auch, daß die ersten dieser jetzigen Krieger ausgerechnet aus
  Lettland und Kroatien mobilisiert wurden -- uh, Soldaten aus gerade diesen
  Ländern als Hilfstrupp einer fremden Macht im Kampf gegen Rußland, na
  servas, die historischen Vergleiche, die mir da einfallen, möchte ich
  eigentlich gleich wieder vergessen.
  
  Aber bei uns in Wien ist da ja nicht so. Bei uns demonstriert man nicht mit
  Nazis. Hats zumindest bei den Corona-Demos geheissen. Bei den Ukrainedemos
  hingegen kann man über die hinwegsehen. Sind ja nur ein paar. Außerdem eh
  eigentlich gar keine wirklichen. Und mit "Ruhm der Ukraine" hat ja nicht nur
  Bandera gegrüßt, sondern das ist viel älter und jetzt dadurch, daß die
  demokratische Armee der freien Ukraine das als offiziellen Bannerspruch hat,
  von allem Faschistischem gereinigt. Und Patriotismus ist ja an sich nichts
  Schlechtes. Oder so.
  
  Überhaupt heißt es jetzt, eben wie bei Corona: Zusammenhalten! Wie sagte der
  Bundeskanzler? "Es gibt Krieg in unserer Nachbarschaft und wir begegnen uns
  heute hier aus meiner Sicht im Hohen Haus nicht als Vertreter von
  verschiedenen Fraktionen mit verschiedenen politischen Interessen, sondern
  geeint, mit einer Stimme für das Sicherheitsinteresse der Republik
  Österreich." Also da tuts mir leid, da muß ich doch nochmal historisch
  werden: "Ich kenne keine Parteien mehr, Ich kenne nur Deutsche. Zum Zeichen
  dessen, daß Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne
  Stammesunterschiede, ohne Konfessionsunterschiede durchzuhalten mit Mir
  durch dick und dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der
  Parteien auf, vorzutreten und Mir das in die Hand zu geloben." Das Protokoll
  der Reichstagsitzung vermerkte nach dieser Rede von Kaiser Wilhelm am 14.
  August 1914 "langanhaltendes brausendes Bravo".
  
  Da kann man ja wirklich schon froh sein, wenn Nehammer jetzt meint, daß wir
  unsere von den Russen aufgezwungene Restneutralität noch bewahren dürfen.
  Zumindest solange es keine anderen Verfassungsmehrheiten im Parlament gibt.
  
  *Bernhard Redl*
  
  
  
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