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       Arbeit und Soziales: 
       
      Bedingungsloses Grundeinkommen 
         
        Bemerkungen zu einer unendlichen 
        Diskussion.  
        Von Karl Czasny. 
         
         
        Die Auseinandersetzungen um ein bedingungsloses Grundeinkommen reichen 
        bis in die Anfänge der Industrialisierung zurück und haben auch 
        heute nichts an Aktualität und Brisanz verloren. Im September etwa 
        begingen wir bereits zum vierzehnten Mal eine Woche des Grundeinkommens, 
        anlässlich derer sich wieder viele Expert*innen zu Wort meldeten. 
        Angesichts der großen Zahl einschlägiger Diskussionsbeiträge 
        kostet es ziemliche Mühe, die Übersicht zu behalten und sich 
        eine eigene Meinung zu bilden. Wer bei der Darstellung der Resultate seiner 
        diesbezüglichen Anstrengungen zusätzliche Überlegungen 
        ins Spiel bringt, läuft daher von vornherein in Gefahr, eher zur 
        Verschärfung jenes Übersichtsproblems als zu seiner Lösung 
        beizutragen. Ich versuche es trotzdem und hoffe, es gelingt mir so klar 
        zu argumentieren, dass die folgenden Zeilen keine weitere Steigerung von 
        allenfalls vorhandener Verwirrung bewirken, sondern die Meinungsbildung 
        bzw. Überprüfung einer bereits vorhandenen Meinung erleichtern. 
         
        Was man wissen muss 
         
        Zu einem nicht geringen Teil beruhen mögliche Verwirrungen beim vorliegenden 
        Thema auf zwei Begriffsvermengungen. Deren Zustandekommen ist zwar 
        einfach zu erklären. Sie sind aber aus einem erst später zur 
        Sprache kommenden Grund in der Praxis der Diskurse nur schwer vermeidbar. 
        Die erste der beiden folgt aus dem immer wieder zu Verwechslungen führenden 
        Naheverhältnis zwischen dem Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens 
        (BGE) und jenem der bedarfsorientierten Grundsicherung. 
        Es sei deshalb gleich eingangs festgehalten, dass 
         
        • das BGE keinen begleitenden Zwang zur Erwerbsarbeit vorsieht und ohne 
        Bedarfsprüfung jeder Person (in abgestuftem Ausmaß auch Kindern) 
        als individueller Rechtsanspruch zustehen soll, wogegen  
         
        • die bedarfsorientierte Grundsicherung vom Vorrang der Erwerbsarbeit 
        ausgeht und nur jenen Personen gewährt wird, die im Rahmen einer 
        entsprechenden Antragstellung Unterstützungsbedarf nachweisen können. 
         
         
        Im Gegensatz zum BGE verspricht somit die bedarfsorientierte Grundsicherung 
        kein kontinuierlich fließendes Einkommen, welches Erwerbseinkünfte 
        und vorhandene Sozialtransfers ergänzt wenn nicht gar ersetzt. Ihren 
        Proponent*innen geht es vielmehr bloß um das Schließen 
        von Lücken in dem die Erwerbsarbeit abfedernden Sicherheitsrahmen 
        durch Abbau von Diskriminierungen und Zugangsbeschränkungen sowie 
        durch Erhöhung einzelner allzu gering bemessener Unterstützungsleistungen 
        (Stichwort: Sockelung). Der Vorrang der Erwerbsarbeit ist in diesem Konzept 
        doppelt verankert: Zum einen sind Unterstützungsleistungen nur in 
        dem Maße vorgesehen, in dem ein vor Armut sicherndes Einkommen nicht 
        durch Erwerbsarbeit erzielt werden kann. Zum anderen legt man großen 
        Wert auf ergänzende Hilfestellungen zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen 
        in die Erwerbsarbeit. 
         
        Die zweite häufig anzutreffende Begriffsvermengung hängt damit 
        zusammen, dass im Verlauf der Diskussionen um das BGE eine große 
        Anzahl von Modellen entworfen wurde, die unter dem gemeinsamen Überbegriff 
        ‘Bedingungsloses Grundeinkommen’ zum Teil ganz unterschiedliche gesellschafts- 
        und verteilungspolitische Zielsetzungen verfolgen. Man könnte 
        all diese Modelle entlang eines Kontinuums anordnen, an dessen beiden 
        Endpunkten zwei in vielen Hinsichten völlig konträre Konzepte 
        stehen. 
         
        Sozialstaat zum Billigtarif 
         
        Das eine der beiden ist die neoliberale Version eines BGE. Sie 
        geht auf ein schon zu Beginn der neunzehnsechziger Jahre von Milton Friedman 
        propagiertes Modell zurück, das als eine für das amerikanische 
        Kapital kostensparende Alternative zum europäischen Sozialstaat gedacht 
        war. Im Zentrum dieses Modells steht das Konzept der sogenannten ‘negativen 
        Einkommenssteuer’, für welches zwei Merkmale kennzeichnend sind: 
        1. ein niedriger, für alle Einkommen einheitlicher Einkommenssteuersatz 
        (Stichwort: Flat Tax) 2. ein ebenfalls niedrig (also deutlich unter dem 
        Existenzminimum) angesetzter Wert für das vom Staat garantierte Mindesteinkommen. 
        Unterschreitet die jeweils errechnete Einkommenssteuer diesen Wert, wird 
        der Differenzbetrag als negative Einkommenssteuer ausbezahlt. Überschreitet 
        sie ihn, wird der Differenzbetrag als Einkommenssteuer kassiert. 
         
        Aus Sicht der überwiegenden Mehrzahl der Lohnabhängigen krankt 
        diese neoliberale Version des Sozialstaats daran, dass die als negative 
        Einkommenssteuer ausbezahlten Beträge nicht nur zur Finanzierung 
        des täglichen Lebens herangezogen werden sollen, sondern auch als 
        Ersatz für die in jenem Modell nicht vorgesehenen Sozialtransfers 
        herhalten müssen. Nur für die Bezieher hoher Einkommen ist das 
        vorliegende Modell attraktiv. Es verspricht nämlich eine nur leicht 
        progressive Einkommensbesteuerung, die sich mit zunehmenden Erwerbsbezügen 
        dem niedrigen einheitlichen Steuersatz annähert, ohne ihn je zu erreichen. 
        Denn zu zahlen ist ja immer nur die Differenz zwischen der jeweils errechneten 
        Steuerschuld und dem garantierten Mindesteinkommen. Auch den Unternehmern 
        hat dieses Modell viel zu bieten. Denn das unter dem Existenzminimum angesetzte 
        Mindesteinkommen wirkt aus ihrer Sicht wie ein staatlich finanzierter 
        Kombilohn, der die Langzeitarbeitslosen zu ergänzender Erwerbsarbeit 
        zwingt und so den Auf- bzw. Ausbau eines großen Billiglohnsektors 
        ermöglicht. 
         
        Sechzig Jahre nach der Entstehung von Friedmans Modell, im Zeitalter schärfster 
        internationaler Standortkonkurrenz, ist dieser Vorzug für das Kapital 
        sehr hoch zu veranschlagen. Darüber hinaus schätzen heutige 
        Neoliberale angesichts eines in den letzten Jahrzehnten gewaltig angewachsenen 
        Verwaltungsapparats auch die antibürokratische Stoßrichtung 
        des vorliegenden Modells. Dieses macht nämlich einerseits Bedarfsprüfungen 
        überflüssig und ersetzt andererseits Sozialtransfers durch private 
        Selbstversicherung. Besonders anziehend findet man den Gedanken eines 
        nicht-existenzsichernden Grundeinkommens ohne Bedarfsprüfung dann, 
        wenn er sich mit einer unternehmerfreundlichen Finanzierungsbasis 
        verbindet. Das ist etwa bei der von Götz Werner, dem Gründer 
        der dm-Drogeriemärkte, entwickelten Version eines BGE der Fall. Werner 
        möchte gänzlich auf Einkommenssteuern und Sozialabgaben verzichten 
        und an ihre Stelle eine entsprechend drastisch erhöhte Umsatzsteuer 
        setzen. Diese radikale Umgestaltung des Steuer- und Abgabensystems würde 
        wegen des regressiven Charakters aller Verbrauchssteuern dazu führen, 
        dass die Hauptbelastung für das BGE letztlich von den unteren Einkommensschichten 
        geschultert werden müsste. 
         
        Linke Utopie 
         
        Das linke Gegenbild dieser neoliberalen Zukunftsversion ist ein BGE, bei 
        dem der jeder Person ohne Bedarfsprüfung zustehende Betrag in materieller 
        Hinsicht existenzsichernd ist und darüber hinaus auch die 
        Teilhabe am sozialen Leben ermöglicht. Dem Vorwurf, es handle 
        sich dabei um eine undifferenzierte Gießkannenförderung entzieht 
        man sich durch zweierlei Maßnahmen: Auf der einen Seite wird den 
        oberen Einkommensschichten das BGE durch entsprechende Vorkehrungen wieder 
        weggesteuert. Auf der anderen Seite gewährt man Personen mit erhöhtem 
        Beihilfebedarf zusätzlich alle schon im derzeitigen System 
        der sozialen Sicherungen vorgesehenen Sonderunterstützungen. Außer 
        einigen wenigen vom BGE überflüssig gemachten Transferleistungen 
        (Sozialhilfe, Kindergeld) soll nämlich das auf solidarischen Mitgliedsbeiträgen 
        fußende System der sozialen Absicherungen erhalten bleiben. In diesem 
        Sinne wird im vorliegenden Modell jedes ausbezahlte Grundeinkommen ergänzt 
        durch einen nicht ausbezahlten Pauschalbetrag, der die Unfall-, Kranken- 
        u. Pflegeversicherung abdeckt. 
         
        Trotz des erwähnten Wegfalls einiger Beihilfen und der mit der Bedarfsprüfung 
        verbundenen Bürokratie-Kosten repräsentiert das linke BGE-Modell 
        einen erheblichen Finanzierungsbedarf. Man möchte ihn abdecken zum 
        einen durch Verschärfung der Progression der Einkommenssteuer und 
        deutlich stärkere Besteuerung hoher Vermögen, zum anderen durch 
        die Erschließung neuer Steuerquellen im Bereich der Datenökonomie 
        und der Finanztransaktionen. Ohne hier auf Details einzugehen, ist folgendes 
        festzuhalten: Während das neoliberale BGE dem Kapital einen Sozialstaat 
        zum Billig-Tarif verspricht, repräsentiert das linke BGE-Modell ein 
        Umverteilungsprojekt gewaltigen Ausmaßes, dessen Realisierung 
        die aktuelle Verteilungsarchitektur von Grund auf umgestalten würde. 
         
        Viele Modelle und Ansätze 
         
        Die alle Diskussionen zum BGE erschwerenden Begriffsvermengungen resultieren 
        nur zum Teil daraus, dass die meisten einschlägigen Modelle Zwischenpositionen 
        auf dem durch diese beiden Extreme abgegrenzten gesellschafts- und verteilungspolitischen 
        Kontinuum einnehmen. Derartige Mischformen begegnen uns nämlich nicht 
        bloß auf der Modellebene, sondern haben ansatzweise auch schon 
        Eingang in die bestehenden Steuer- und Wohlfahrtssysteme gefunden. 
        Man denke etwa an die in Österreich an Arbeitnehmer*innen mit sehr 
        niedrigem Einkommen ausbezahlte Negativsteuer. Darüber hinaus gibt 
        es auch zahlreiche Hybride zwischen einer bedingungslosen und einer bloß 
        bedarfsorientierten Grundsicherung mit begleitendem Druck zur Aufnahme 
        von Erwerbsarbeit. Und auch diese Mischformen sind sowohl auf der Modellebene 
        als auch in bestehenden Wohlfahrtssystemen anzutreffen. Ein Exempel für 
        ersteres ist das in Deutschland von der FDP propagierte "Bürgergeld", 
        das Sanktionen im Fall von Arbeitsunwilligkeit vorsieht. Als Beispiel 
        für bereits realisierte Hybride zwischen bloß bedarfsorientiert 
        bzw. bedingungslos gewährten Unterstützungen mag das österreichische 
        Arbeitslosengeld dienen. Dieses wird zwar nur bedarfsorientiert, eben 
        bei Arbeitslosigkeit, gewährt. Man hält dabei jedoch ähnlich 
        wie beim BGE die Tür zum Zuverdienst durch begleitende Erwerbsarbeit 
        offen - allerdings nur bis zur sogenannten "Geringfügigkeitsgrenze" 
        in der Höhe von (derzeit) 475,86 € pro Monat. 
         
        Vielleicht wird man diese und andere ähnlich gelagerte Hybride einst 
        im Rückblick als Zwischenschritte auf unserem Weg zum BGE 
        interpretieren. Aus heutiger Perspektive ist jedenfalls zu betonen, dass 
        irgendwo auf dieser Strecke zwischen der bedarfsorientierten Grundsicherung 
        und dem BGE noch ein Paradigmenwechsel bei der Sicht auf die Erwerbsarbeit 
        zu bewältigen wäre. Denn deren Vorrang bleibt bloß im 
        ersten Fall gewahrt. 
         
        Auf europäischer Ebene nähert man sich besagtem Paradigmenwechsel 
        sehr zögerlich: Einerseits wird zwar in den sozial- und einkommenspolitischen 
        Diskussionen das Thema des bedingungslosen Grundeinkommens immer wichtiger. 
        Andererseits jedoch zeigen die Wohlfahrtssysteme vieler EU-Staaten gemäß 
        der Devise "von welfare zu workfare" einen vom BGE wegführenden 
        Trend zu verstärkter Bindung der Unterstützungsleistungen an 
        klassische Erwerbsarbeit. Heimisches Beispiel dafür ist das aktuelle 
        Drängen der türkisen Regierungspartei auf eine Reduktion der 
        zuvor erwähnten Zuverdienstmöglichkeit für Arbeitslose 
        und eine degressive Gestaltung des Arbeitslosengelds. 
         
        Die Gründe für das gleichzeitige Auftreten dieser zwei gegenläufigen 
        Trends liegen auf der Hand: Zwar möchte man angesichts allgemein 
        steigender Haushaltsdefizite möglichst sparsam und "effizient" 
        mit den Sozialbudgets umgehen, was eher für eine verhaltensökonomische 
        Optimierung der vorhandenen Systeme sozialer Absicherungen spricht. Zugleich 
        jedoch setzt sich eine Einsicht durch, die starke Argumente für den 
        Übergang zu einem BGE liefert. Gemeint ist die Erkenntnis, dass die 
        allerorten wachsenden Sockel an Dauerarbeitslosen offensichtlich nichts 
        mit mangelnder oder gar sinkender Arbeitswilligkeit zu tun haben, sondern 
        auf ein strukturelles Problem unserer Ökonomie verweisen. 
         
        Krise der Arbeitsgesellschaft  
        versus Krise des Kapitalismus 
         
        Viele Befürworter*innen des BGE beschreiben dieses Problem als "Krise 
        der Arbeitsgesellschaft"[1]. Verursacht werde es dadurch, dass in 
        den Industriegesellschaften die Produktivität je Arbeitsstunde tendenziell 
        stärker steige als das jeweilige BIP, was langfristig zu einem unaufhaltsamen 
        Sinken des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens führen müsse. 
        Während diese Tendenz zunächst nur im Bereich der Industrie, 
        allmählich aber auch im Dienstleistungssektor Platz gegriffen habe, 
        erfasse sie nun sogar die Arbeitsfelder der technischen und wissenschaftlichen 
        Intelligenz. Eine Lösung des vorliegenden Problems verspricht man 
        sich vom BGE. Denn dieses sichere nicht nur den überflüssig 
        werdenden Arbeitskräften eine ökonomische Daseinsbasis. Es ermögliche 
        darüber hinaus die freie und gesellschaftlich nützliche Entfaltung 
        der im Bereich herkömmlicher Erwerbsarbeit nicht mehr benötigten 
        Tätigkeitspotentiale. 
         
        Die Rede von der Krise der Arbeitsgesellschaft ist eine stark verkürzte 
        Problembeschreibung, weil sie dazu verleitet, im strukturellen Wachstum 
        unserer Arbeitslosensockel eine direkte Folge des technischen Fortschritts 
        zu sehen. Tatsächlich aber resultiert besagtes Problem nicht unmittelbar 
        aus der Entwicklung der Technik, sondern aus der besonderen Art der gesellschaftlichen 
        Organisation dieser Entwicklung. Denn die wachsende strukturelle Arbeitslosigkeit 
        ist Ausdruck eines jener Grundwidersprüche des Kapitalismus, 
        die sich seit einigen Jahrzehnten in den alten Industriemetropolen immer 
        stärker zuspitzen. Der vorliegende Widerspruch besteht darin, dass 
        das Kapital in seiner Gesamtheit von der Ausbeutung der Arbeitskraft 
        lebt, während jeder einzelne Kapitalist durch technische und 
        organisatorische Rationalisierung möglichst viel Arbeitskraft aus 
        der Produktion entfernen muss, um billiger als seine Konkurrenz zu produzieren. 
        Die soziale Sprengkraft dieses Widerspruchs erhöht sich dadurch, 
        dass er aus Sicht des Kapitals möglichst nicht durch eine allgemeine 
        Arbeitszeitverkürzung entschärft werden sollte. Um günstige 
        Rahmenbedingungen für eine weiterhin erfolgreiche Ausbeutung von 
        Arbeitskraft sicher zu stellen, gilt es nämlich die Spaltung der 
        Lohnabhängigen in Erwerbstätige und eine ausreichend große 
        Reservearmee von Arbeitslosen aufrecht zu erhalten. 
         
        Als diese Reservearmee in den Neunzehnsiebziger Jahren im Gefolge einer 
        langen Nachkriegskonjunktur allzu stark schrumpfte, verschlechterten sich 
        jene Ausbeutungsbedingungen drastisch. Das Kapital änderte daher 
        seine Strategie und etablierte mit dem neoliberalen Akkumulationsregime 
        eine Spielanordnung, die bessere Möglichkeiten zur Ausbeutung der 
        Arbeitskraft bot. Im Zentrum dieser neuen Kapitalverwertungsstrategie 
        stand das Verlagern von großen Teilen der Industrieproduktion in 
        weniger entwickelte Weltregionen, was zwei Vorteile brachte. Zum einen 
        griff man nun an jener Peripherie auf ein riesiges Reservoir von gewerkschaftlich 
        unorganisierten und daher einfach auszubeutenden Arbeitskräften zurück. 
        Zum anderen löste man damit in den Metropolen selbst einen Deindustrialisierungsprozess 
        aus, in dessen Gefolge die auf das Industrieproletariat gestützte 
        Macht der Organisationen der Lohnabhängigen entscheidend geschwächt 
        werden konnte. Das ermöglichte jetzt auch hier wieder eine verschärfte 
        Ausbeutung der Arbeitskraft. Um diesen Sieg im Klassenkampf zu vervollständigen 
        und langfristig abzusichern, erhöhte man zugleich mit der Globalisierung 
        der Industrieproduktion die Mobilität des Kapitals mittels energischer 
        Liberalisierung der Finanzmärkte. Dadurch entstand eine so umfassende 
        internationale Standortkonkurrenz, dass die alten Industriemetropolen 
        zum Abbau ihrer aus Sicht des Kapitals überentwickelten sozialstaatlichen 
        Sicherungsnetze gezwungen wurden (Stichwort: Steuerwettlauf nach unten). 
         
        Die vorangehenden Zeilen sollten zum einen klar machen, dass in den 
        letzten Jahrzehnten nicht der technische Fortschritt als solcher sondern 
        dessen kapitalistische Organisation zu wachsender struktureller Arbeitslosigkeit 
        führte. Zum anderen wurde mit dem Hinweis auf die internationale 
        Standortkonkurrenz zuletzt einer jener Punkte angesprochen, an denen sich 
        unser Wirtschaftsystem auch alle künftigen Chancen 
        verbaut, dies von ihm verursachte Problem zu entschärfen. An sich 
        liegen jene Chancen ja vor der Tür. Denn trotz des starken Wachstums 
        unserer Arbeitsproduktivität und trotz aller Auslandsverlagerung 
        von industriellen Produktionen gehen auch in den alten Industriemetropolen 
        die nur durch zusätzliche Arbeit zu bewältigenden Aufgabenstellungen 
        nicht aus. Abgesehen von den Tätigkeiten, die bei der Etablierung 
        von umwelt- und klimapolitisch nachhaltigen Produktionsmustern anfallen, 
        ist dabei vor allem an das riesige Aufgabenfeld im Bereich der Restrukturierung 
        der schwer angeschlagenen Sozialstaaten zu denken. Angesichts schärfster 
        internationaler Standortkonkurrenz ist es aber für jeden einzelnen 
        Staat zu gefährlich, die hier schlummernden Beschäftigungspotentiale 
        entschlossen zu aktivieren. Zu hoch erscheinen die kurzfristig anfallenden 
        steuerlichen Belastungen für die von ausländischer Billigkonkurrenz 
        bedrohten Unternehmen. Viel zu spät und womöglich auch zu wenig 
        wird das Kapital von den im Gefolge einer derartigen Restrukturierung 
        erst nach und nach eintretenden indirekten Standortvorteilen profitieren 
        können. 
         
        Argumente für und gegen das BGE 
         
        Das politische System reagiert verunsichert auf diese komplexe Problemlage. 
        Keine der etablierten Parteien und schon gar keine der großen Gewerkschaftsorganisationen 
        mag klar und offensiv für den Übergang auf ein BGE eintreten. 
        Die Hauptträger einschlägiger Forderungen sind daher im Bereich 
        Zivilgesellschaft zu Hause. Das Spektrum der ein BGE fordernden Organisationen 
        reicht etwa in Österreich von Attac bis hin zur katholischen Sozialakademie. 
        Es gibt aber in allen großen politischen Parteien (selbst jenen 
        des bürgerlichen Lagers!) wichtige Persönlichkeiten bzw. Strömungen, 
        die sich zu dem mit der Einführung eines BGE verbundenen Paradigmenwechsel 
        in der Einkommens- und Sozialpolitik bekennen. Bei den liberalen und grünen 
        Parteien ist die Häufigkeit solcher Befürworter*innen am höchsten, 
        wobei sich im ersten Fall erwartungsgemäß große Nähe 
        zu dem von Friedman entworfenen Programm zeigt. Grüne BGE-Anhänger*innen 
        tendieren dagegen eher zu links angesiedelten Modellen. Allerdings begegnet 
        man im grünen Lager auch vielen BGE-Skeptiker*innen, welche sich 
        der in der Sozialdemokratie und vor allem der Gewerkschaftsbewegung dominierenden 
        Kritik am BGE anschließen. 
         
        Infolge dieses unübersichtlichen Frontverlaufs gibt das herkömmliche 
        Koordinatengerüst der Politik kaum Orientierungshilfe bei der Einschätzung 
        des BGE. Größere Klarheit ist nur zu gewinnen, wenn wir ergänzend 
        zur bereits angesprochenen Gefahr wachsender struktureller Arbeitslosigkeit 
        auch die übrigen Themen betrachten, die für die Diskussionen 
        ums BGE von Relevanz sind. Der Versuch ein wenig Systematik in die Vielzahl 
        der bei diesen Diskussionen im Spiel befindlichen Argumente zu bringen, 
        zeigt, dass die meisten davon drei Hauptthemen adressieren: 
         
        1. BGE als mögliche Antwort auf bzw. als Quelle von Gerechtigkeitsprobleme/n 
         
         
        2. BGE als mögliche Antwort auf bzw. als Quelle von sozioökonomischen 
        Probleme/n  
         
        3. BGE als Finanzierungsaufgabe  
         
        Obwohl die gegenwärtigen Diskussionen um das BGE eindeutig vom zweiten 
        und dritten Themenkomplex dominiert werden, fokussieren die folgenden 
        Überlegungen auf die Gerechtigkeitsproblematik. Ich glaube nämlich, 
        dass ausgehend von diesem Themenbereich am ehesten ein Verständnis 
        für den Stellenwert der BGE-Bewegung im Kontext der aktuellen Entwicklung 
        des Kapitalismus zu gewinnen ist. 
         
        Blickt man aus historischer Perspektive auf die das Gerechtigkeitsthema 
        ansprechenden Argumente, so fällt eine interessante Verschiebung 
        auf: Während die ab dem späten achtzehnten Jahrhundert wirkenden 
        Pioniere des BGE in diesem vor allem ein Werkzeug zur Wiedergutmachung 
        gesellschaftlichen Unrechts sahen, ist der Wiedergutmachungsgedanke bei 
        den aktuellen BGE-Diskussionen in den Hintergrund getreten. Das Gerechtigkeitsanliegen 
        ging dadurch aber nicht verloren. Denn zum einen wird es nun völlig 
        konträr als Argument gegen das BGE ins Spiel gebracht. Zum 
        anderen kam eine neue Gerechtigkeitsüberlegung ins Spiel, die für 
        die Einführung eines BGE sprechen möchte. 
         
        Die anschließende Betrachtung dieser verschiedenen Aspekte des mit 
        dem BGE verknüpften Gerechtigkeitsproblems wird auch einige Argumente 
        aus den beiden anderen Themenbereichen des BGE-Diskurses ansprechen. Eine 
        umfassende Auseinandersetzung mit der Gesamtheit aller dort im Spiel befindlichen 
        Gedanken ist jedoch nicht beabsichtigt. 
         
        BGE als Wiedergutmachung eines 
        Unrechts 
         
        Das Unrecht, welches in der Frühphase des Kapitalismus durch ein 
        BGE ausgeglichen werden sollte, war die ab dem 15. Jahrhundert einsetzende 
        Aneignung von Gemeindeland durch den Feudaladel, der im Gefolge des Entstehens 
        erster Wollmanufakturen groß in die Schafzucht einstieg. Man beraubte 
        dabei die einfache Landbevölkerung ihrer natürlichen Produktionsgrundlagen 
        und trieb sie in die Städte, wo sie ein wichtiger Teil des sich hier 
        sammelnden Proletariats wurde. Angesichts dieser Entwicklung meint Charles 
        Fourrier (1772-1837), dass die eine solche ‘Privatisierung’ des Bodens 
        gestattende Gesellschaft allen dadurch ihre Lebensgrundlage verlierenden 
        Bürgern einen Lebensunterhalt schulde. Bei Thomas Spence (1750-1814) 
        und Joseph Charlier (1816-1896) wird diese Entschädigung zwar durch 
        den Staat ausbezahlt, die dafür erforderlichen Mittel sind aber durch 
        die neuen Nutzer des Bodens aufzubringen, gleichsam als Preis für 
        ihre Aneignung des vormaligen Gemeindelands. 
         
        Zur Zeit der frühsozialistischen Utopisten war besagter Bodenraub 
        noch Teil des historischen Gedächtnisses der von ihm betroffenen 
        Bevölkerungsschichten. Der Entschädigungsgedanke stellte damals 
        daher ein starkes Argument für das BGE dar. Heutzutage jedoch ist 
        die offene Gewalttätigkeit des erwähnten Geschehens längst 
        vergessen - und das nicht ganz zu unrecht. Es wurde nämlich durch 
        die weitere Entwicklung nachträglich als gesellschaftlich sinnvoll 
        legitimiert. Bildeten sich doch bei diesem von Marx als "ursprüngliche 
        Akkumulation" bezeichneten Prozess jene Kapitalstöcke, welche 
        dann ihrerseits zum Ausgangspunkt einer ganz neuen Form der Kapitalakkumulation 
        wurden. Deren Basis sind nun nicht mehr Landraub und andere verbrecherische 
        Praktiken, sondern der im Kontext des Lohnarbeitsverhältnisses stattfindende 
        Tausch von Lohn gegen Arbeitskraft. Die dabei stattfindende Aneignung 
        des von der Arbeitskraft geschaffenen Mehrwerts durch den Kapitalisten, 
        ist an der friedlich-rechtmäßigen Oberfläche des Lohnarbeitsverhältnisses 
        nicht mehr sichtbar. Es ist nun aber für jeden, der es sehen will, 
        sehr deutlich zu erkennen, dass als eigentliche Basis des in Geldbeträgen 
        messbaren und seit jener ursprünglichen Akkumulation kontinuierlich 
        wachsenden gesellschaftlichen Reichtums nicht der Boden sondern 
        die von den Lohnarbeiter*innen geleistete Arbeit fungiert. 
         
        BGE und Arbeitswert 
         
        Weil es seit damals so offensichtlich ist, dass Boden und Natur zwar 
        notwendige Voraussetzungen aber nicht die sprudelnde Quelle des in 
        Geld messbaren gesellschaftlichen Reichtums sind, wirkt es seltsam hilflos 
        und aus der Zeit gefallen, wenn manche BGE-Befürworter*innen auch 
        heute noch mit dem Wiedergutmachungsgedanken der frühsozialistischen 
        Utopisten argumentieren wollen. Ein Beispiel dafür ist Timo Reuter, 
        der das BGE in der TAZ vom 11.1.2014 unter anderem deshalb befürwortet, 
        weil es "das Anrecht aller Menschen auf einen gleichen Anteil der natürlichen 
        Ressourcen verwirklicht." Als ob das Anrecht auf diesen Anteil 
        nicht erst durch Arbeit erworben würde. Weil wir ja nicht 
        im Schlaraffenland leben, sondern in der realen Welt, wo die Früchte 
        der natürlichen Ressourcen erst durch Arbeit geerntet, veredelt und 
        angeeignet werden müssen. In Terms der marxistischen Arbeitswerttheorie 
        liegt hier ein Missverständnis des Verhältnisses von Gebrauchswert 
        zu Tauschwert vor: Das in der Natur schlummernde Potential 
        an Gebrauchswerten kann nur mittels der Arbeits- bzw. Tauschwerte schaffender 
        Tätigkeit zu einem realen Schatz an Gebrauchswerten werden. 
        Unabhängig von diesem Arbeits- bzw. Tauschwerte schaffenden Tun besteht 
        daher auch kein Anrecht auf einen durch Einkommen (also Tauschwert) eröffneten 
        Zugang zu den in Gestalt realer Güter vorliegenden Gebrauchswerten. 
         
        Wie grotesk und weitreichend das hier aufblitzende Unverständnis 
        für die ökonomische Basis des gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozesses 
        bei manchen Proponent*innen des BGE ist, mögen folgende Zeilen aus 
        einem fürs BGE plädierenden Leserbrief in der ZEIT vom 8.8.2019 
        beispielhaft belegen: "Ein von Arbeit unabhängiges Grundeinkommen 
        ist ein Menschenrecht, das historisch den freien Bürgern des Altertums 
        und dann dem Adel zustand. Später wurde das Bürgertum mit kirchlicher 
        Unterstützung (‘Bete und arbeite’) von dem Wahn erfasst, dass sich 
        der Wert des Menschen in seiner Arbeit ausdrücke." 
         
        Tatsächlich konnten die freien Bürger des Altertums und die 
        adeligen Damen und Herren des Mittelalters und der frühen Neuzeit 
        ihr vermeintliches Menschenrecht auf arbeitsfreies Einkommen nur dadurch 
        realisieren, dass sie sich den von Sklaven bzw. Untertanen geschaffenen 
        Mehrwert aneigneten. Das Bürgertum aber wurde nicht von einem Wahn 
        befallen, der es auf dies vorkapitalistische ‘Menschenrecht’ vergessen 
        ließ. Vielmehr hat es einfach entdeckt, dass hinter dem vermeintlichen 
        Menschenrecht eine auf äußerem Zwang bzw. feudaler Unterordnung 
        fußende und ihm daher als unschön und überholt erscheinende 
        Form des Aneignens der Arbeit anderer stand. Man setzte an ihre Stelle 
        das ohne äußeren Zwang bzw. Unterordnung funktionierende Lohnarbeitsverhältnis 
        und wurde erst durch Marx darauf hingewiesen, dass sich auch unter der 
        gewaltlosen Oberfläche der Lohnarbeit wieder eine Ausbeutungsbeziehung 
        versteckt, weil das Kapital den von den Lohnabhängigen geschaffenen 
        Mehrwert unbezahlt in seine Tasche steckt. 
         
        Wenn daher die meisten Sozialdemokrat*innen und praktisch alle Gewerkschafter*innen 
        eine äußerst skeptische Haltung zum BGE zeigen, dann ist dies 
        Ausdruck der spätestens seit den Tagen von Marx im Bewusstsein der 
        Lohnabhängigen gespeicherten Einsicht, dass hinter allen in unserer 
        Ökonomie fließenden Einkommen letztlich ihre Arbeit steckt. 
        Dieses kollektive, von der marxschen Arbeitswerttheorie systematisch aufbereitete 
        Wissen ist daher die Basis vieler gewerkschaftlicher Vorbehalte gegenüber 
        dem BGE. So speist es etwa die Skepsis der Gewerkschafter*innen angesichts 
        vermeintlich neuer Einkommensquellen zur Finanzierung des BGE. In diesem 
        Sinne wendet sich ein auf das BGE bezogenes Gutachten des gewerkschaftsnahen 
        WSI gegen die Vorstellung, "der Reichtum beruhe doch heutzutage vor 
        allem auf den historisch akkumulierten Anlagen, Infrastrukturen und Wissensbeständen". 
        Das WSI weist darauf hin, dass dieses Argument nicht trägt. Denn 
        Anlagen, Infrastrukturen und Wissensbestände "führen nur 
        dann zu neuer Wertschöpfung und Einkommen, wenn sie durch lebendige 
        Arbeit für die Produktion neuer Güter und Dienstleistungen genutzt 
        werden."[2] Aus Perspektive der Arbeitswerttheorie wäre hier 
        nur zu präzisieren, 
         
        • dass die Lohnabhängigen bei dieser Nutzung von Anlagen, Infrastrukturen 
        und Wissensbeständen deren Wertsubstanz auf die jeweils zu erzeugenden 
        Waren übertragen,  
         
        • und dass die so durch die Arbeit auf deren Produkte übertragene 
        Wertsubstanz jener materiellen und immateriellen Produktionsmittel ihrerseits 
        auch bloß aus geronnener (d.h. in vorangehenden Produktionsperioden 
        geleisteter) Arbeit besteht.  
         
        BGE als Unrecht 
         
        Die Überzeugung, dass Arbeit die Quelle aller Tauschwerte bzw. Einkommen 
        ist, führt zu einem in breiten Bevölkerungsschichten herrschenden 
        Gerechtigkeitsvorbehalt gegen ein mögliches BGE. Laut dem 
        bei Attac engagierten BGE-Befürworter Werner Rätz betrachte 
        man es im Sinne dieses Vorbehalts als gerecht, "wenn jemand für 
        ‘ehrliche Arbeit’ ‘ehrliches Geld’ verdient; ungerecht wäre es, Geld 
        fürs Nichtstun zu bekommen. ... Da ist zwar durchaus Platz für 
        eine ausgleichende Sozialpolitik, wenn jemand (‘unverschuldet’) in Not 
        geraten ist, aber die Idee, dass Menschen das Recht auf Teilhabe an Reichtum 
        und gesellschaftlichem Leben einfach so, bedingungslos haben sollen, verlangt 
        doch erst mal einen gehörigen gedanklichen Schritt."[3] 
         
        Rätz selbst, und mit ihm vermutlich der allergrößte Teil 
        der BGE-Befürworter*innen, hat diesen Schritt vollzogen. Denn er 
        glaubt erkannt zu haben, dass dieses Argument auf einem unhistorischen 
        Arbeitsbegriff fußt, der Arbeit als einen immer schon und auch in 
        alle Zukunft unvermeidlichen Stoffwechsel mit der Natur betrachtet. Gehe 
        man von einem solchen zeitlosen Arbeitsbegriff aus, dann sei es "ein 
        Gebot der Gerechtigkeit, alle Menschen immer und überall an der Arbeit 
        zu beteiligen" - und umgekehrt (das ergänze nun ich) wohl auch 
        eine Pflicht jedes Einzelnen sich selbst nicht von ihr auszuschließen. 
        Unsere Gegenwart ist aber laut Rätz von einer historisch vorübergehenden 
        Form dieses allzeit stattfindenden Stoffwechsels, nämlich 
        von der durch den Kapitalismus etablierten Lohnarbeit, geprägt. Und 
        vor dem Hintergrund dieser historischen Gestalt der Arbeit, die "kapitalistisch 
        formbestimmt ist, ... geht es um die Befreiung von genau dieser Arbeit. 
        Ein BGE wäre ein Schritt hin zur Ermöglichung einer neuen Form 
        von Vergesellschaftung." In dieselbe Kerbe schlägt die Ökonomin 
        Luise Gubitzer: "Wie bis jetzt die technologischen Innovationen Arbeit 
        geformt haben und noch immer formen", hätten es ihrer Ansicht 
        nach die Menschen mit einem BGE selbst in der Hand, "die Arbeit zu 
        formen, da ein existenzsicherndes Grundeinkommen Sicherheit dazu bietet."[4] 
         
        Die Vertreter*innen dieser Position möchte den zuvor erwähnten 
        Gerechtigkeitsvorbehalt mit dem Hinweis parieren, dass die durch das BGE 
        von der Lohnarbeit befreiten Bürger nicht auf der faulen Haut liegen, 
        sondern weiterhin tätig sein werden - nur eben in freien, selbstbestimmte 
        Arbeitsverhältnissen jenseits der Kapitalverwertung. Diese Verteidigung 
        des BGE greift jedoch an einem entscheidenden Punkt zu kurz. Denn einerseits 
        befreit das BGE künftige ‘Aussteiger’ zwar nicht von der Arbeit als 
        solcher, aber doch von ihrer kapitalistisch deformierten Spielart, der 
        Lohnarbeit. Andererseits setzt es die Fortexistenz des Lohnarbeitsverhältnisses 
        voraus. Denn seine Finanzierungsbasis wird ja durch Lohnarbeit sichergestellt. 
        Damit sich die Aussteiger von den der Kapitalverwertung geschuldeten Zwängen 
        befreien können, muss es also viele Nicht-Aussteiger geben, 
        die sich weiterhin jenen Zwängen unterwerfen. 
         
        Rückblickend ist dieses dem BGE anhaftende Gerechtigkeitsdefizit 
        einer der Gründe (wenn nicht sogar der eigentliche Grund) dafür, 
        dass die BGE-Bewegung seit dreißig Jahren nicht so recht vom Fleck 
        kommt. Und künftig könnte es im Falle eines Erfolgs dieser 
        Bewegung zum Ausgangspunkt einer Spaltung der Lohnabhängigen 
        werden. 
         
        BGE versus Klassenkampf 
         
        Wenn Gewerkschafter*innen gegen das BGE argumentieren, präsentieren 
        sie stets einen alternativen Forderungskatalog. Dieser ist in seinen langfristigen 
        Zielen weitgehend ident mit dem BGE-Programm, hat aber den politischen 
        Vorzug, die Lohnabhängigen nicht zu spalten. Denn die Wege, 
        auf denen man diese Ziele erreichen will, sind andere: 
         
        • Um die strukturelle Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und zugleich 
        damit den Zwang zur Lohnarbeit zu minimieren, bzw. Freiräume für 
        völlig selbstbestimmtes Arbeiten zu erweitern, fordert man anstelle 
        eines BGE eine generelle Arbeitszeitverkürzung,  
         
        • um die verbleibende Lohnarbeit im Interesse der Arbeitenden zu formen, 
        fordert man anstelle eines BGE höhere Mindestlöhne, bessere 
        Arbeitsbedingungen und verbesserte Mitbestimmung,  
         
        • um alle aktuellen Lücken in der Daseinsvorsorge zu schließen 
        und neue Tätigkeitsfelder zu eröffnen, in denen sich die Arbeit 
        nicht den von der Kapitalverwertung gesetzten Zwängen unterwirft, 
        sondern an einer Logik des Sorgens orientiert, fordert man anstelle eines 
        BGE eine Reparatur bzw. Neustrukturierung des Sozialstaats.  
         
        Es erhebt sich die Frage, wieso die BGE-Befürworter*innen dieselben 
        Ziele über den Umweg der Forderung eines BGE anstreben. Die 
        Antwort ist einfach, wenn man sich die historische Situation vergegenwärtigt, 
        in der die aktuelle BGE-Bewegung Fahrt aufnahm. Dies geschah etwa ab den 
        Neunzehnachtzigern, als die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen 
        der Lohnabhängigen durch die skizzierte Globalisierungs- und Liberalisierungsoffensive 
        des Kapitals in die Defensive getrieben wurden. Dies rief zivilgesellschaftliche 
        Organisationen auf den Plan, die nicht als Stimmen eines kraftvollen Proletariats 
        sprechen und planen konnten. Sie suchten und suchen daher keinen direkten 
        Konflikt mit gegnerischen Interessen, sondern müssen sich auf 
        allgemein humanistische Werte berufen und eine Utopie ausmalen, 
        die an die Einsicht aller Gesellschaftsmitglieder, einschließlich 
        eines an sozialem Frieden orientierten Unternehmertums, appelliert. 
         
        Das BGE ist jene aus der historischen Schwächung der Lohnabhängigen 
        geborene Utopie. Sie trägt dem an ihrer Wiege stehenden Handicap 
        Rechnung, indem sie das sozialistische Ideal einer umfassenden 
        Befreiung der Arbeit zurückstellt. Ihr Ziel ist eine zunächst 
        nur partielle Befreiung von Lohnarbeit innerhalb eines Systems, 
        das weiterhin auf Lohnarbeit fußt. Und das zuvor monierte Gerechtigkeitsdefizit 
        des BGE-Konzepts ist Resultat dieser schwächebedingten Selbstbeschränkung. 
        Die verschiedenen Teilgruppen der BGE-Bewegung unterscheiden sich bloß 
        im Ausmaß jener Selbstbeschränkung, wobei der ‘Unternehmerflügel’ 
        maximale Bescheidenheit fordert und daher ein möglichst niedriges 
        BGE propagiert, für welches am besten die Lohnabhängigen selbst 
        alle Kosten übernehmen. Die Konzepte des ‘Arbeitnehmerflügels’ 
        der Bewegung versprechen zwar ein viel großzügigeres BGE mit 
        wesentlich stärkerer Finanzierungsbeteiligung des Kapitals und hoher 
        Einkommensschichten. Zur Durchsetzung der entsprechenden Forderungen kann 
        die BGE-Bewegung aber weder auf Streiks noch auf andere gewerkschaftliche 
        Kampfmaßnahmen zurückgreifen. Vielmehr muss man sich auf die 
        defensive Drohung mit den ohne Etablierung eines BGE unaufhaltsam steigenden 
        Arbeitslosenzahlen beschränken. Die mobilisierende Kraft der Angst 
        vor einer solchen Entwicklung soll jene Motivationslücke schließen, 
        welche vom Gerechtigkeitsdefizit der BGE-Forderung aufgerissen wird. 
         
        Illusionen linker BGE-Befürworter*innen 
         
        Für die linke Hälfte der BGE-Bewegung ist mit dem eben erwähnten 
        Ziel einer nur partiellen Befreiung von Lohnarbeit noch lange nicht das 
        letzte Wort gesprochen. Denn man denkt viel weiter und hofft dabei auf 
        die ehernen Gesetze der Marktwirtschaft. Der Arbeitsmarkt muss ja entsprechend 
        reagieren, wenn plötzlich niemand mehr bereit ist, die wirklich unangenehmen 
        Arbeiten zu Niedrigstlöhnen zu erledigen, und wenn auch die Nachfrage 
        nach den besseren Arbeitsplätzen spürbar nachlässt. Da 
        werden dann wohl die Löhne kräftig steigen, und die Unternehmen 
        werden gezwungen sein, wesentlich bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. 
        Indirekt wird es so mittels des BGE gelingen, auch die verbleibende 
        Lohnarbeit im Interesse der Arbeitenden "zu formen". 
         
        In der Hoffnung auf derartige indirekte Effekte mutieren dann mit einem 
        Mal auch die schärfsten Kritiker*innen des Neoliberalismus zu begeisterten 
        Anhänger*innen des Marktes. Diese Konversion ist letztlich ebenfalls 
        ein bloßes Zeichen der realpolitischen Schwäche der BGE-Bewegung. 
        Abgesehen davon ist sie ökonomisch recht naiv. Wenn nämlich 
        im Gefolge der Einführung eines BGE wirklich jene erhoffte allseitige 
        Aufwärtsbewegung der Löhne stattfände, müsste es bei 
        konstantem Volumen des Waren- und Dienstleistungsangebots zu einem starken 
        Inflationsschub kommen. Dieser aber würde seinerseits die 
        Kaufkraft des ohnehin nur mit großer Mühe finanzierbaren BGE 
        empfindlich schwächen - was dann in der Folge äußerst 
        negative Effekte für alle Bemühungen um das arbeitskraftgerechte 
        "Formen" der Lohnarbeit haben müsste. 
         
        Auch die Naivität mancher Vorschläge zur Finanzierung des BGE 
        resultiert aus der realpolitischen Schwäche der BGE-Bewegung: Weil 
        die politische Kraft für offensive Verteilungskämpfe fehlt, 
        sucht man nach scheinbar herrenlosem Geld, das da irgendwo auf 
        der Straße herumliegt und nur darauf wartet, aufgesammelt zu werden. 
        In diesem Sinn rechnet uns etwa der Philosoph Richard David Precht vor, 
        dass das Gesamtvolumen der jährlich in Deutschland abgewickelten 
        Finanztransaktionen bald 100 mal so groß ist wie das deutsche BIP 
        und bald 1.000 mal so groß wie das deutsche Budget. Würde man 
        mittels einer Mikrosteuer auf Finanztransaktionen nur eine der insgesamt 
        245 Billionen € dieses Transaktionsvolumens abschöpfen, wäre 
        damit das BGE für Deutschland finanzierbar. Leider geht das aber 
        auf nationaler Ebene nicht so einfach, wie sich Precht das vorstellt. 
        Nicht zuletzt deshalb weil das Finanzkapital sehr mobil ist. Darüber 
        hinaus handelt es sich beim Finanzkapital im Gegensatz zu einem auch von 
        Precht geteilten Irrglauben nicht um ein sich von selbst, also ohne 
        Arbeit vermehrendes Geld, sondern um einen Teil der Gesamtmasse des 
        durch das Realkapital von den Lohnabhängigen abgepressten Mehrwerts. 
        Und so wie die Lohnabhängigen mit ihren Arbeit-’Gebern’ um jeden 
        Euro dieses Mehrwerts kämpfen müssen, wird man wohl auch keinen 
        einzigen Euro jenes auf den Finanzmärkten zirkulierenden Teils der 
        Mehrwertmasse widerstandslos requirieren und als BGE verteilen können. 
         
        Ein neues Gerechtigkeitsanliegen 
         
        Die bisherigen Ausführungen zu den im BGE-Diskurs angesprochenen 
        Gerechtigkeitsfragen sollten zeigen, dass der ursprünglich hinter 
        dem BGE stehende Wiedergutmachungsgedanke längst überholt ist 
        und das BGE heutzutage die Gefahr des Entstehens einer neuen Ungerechtigkeit 
        bzw. Spaltung der Lohnabhängigen in sich birgt. Das Gerechtigkeitsthema 
        ist damit aber noch nicht erschöpfend behandelt. Wie bereits angedeutet, 
        begegnet man nämlich in den BGE-Diskussionen auch einem neuen Gerechtigkeitsanliegen, 
        das sich als Antwort auf die aktuelle Entwicklung der kapitalistischen 
        Ökonomie versteht. 
         
        Ich stieß auf diesen für die Einführung eines BGE 
        ins Treffen geführten Gedanken erstmals 1996 in einem akin-Artikel 
        von Robert Reischer. Letzterer geht davon aus, dass der Kapitalismus mittlerweile 
        ein hoch integriertes System ist, "in dem sich Erwerbsarbeit, 
        unbezahlte Arbeit und Kapitaleinsatz gegenseitig bedingen, in dem öffentlicher 
        Dienst, Verwaltung und ‘Privat’ wirtschaft einander zuarbeiten und gegenseitig 
        abhängig sind". Reischer zieht daraus den Schluss, dass sich 
        in einem derart eng vernetzten System der Arbeitsteilung "die Leistung 
        der Einzelnen nicht wirklich bewerten" lässt. Erwerbsarbeit ist 
        für Reischer in diesem System nur "eine Möglichkeit, 
        die gemeinsam erwirtschafteten Erträge zu teilen. ... Daher gibt 
        es auch keinen Grund, Einkommen von Erwerbsarbeit nicht zu entkoppeln".[5] 
         
        Die dem eben skizzierten Gedanke zugrunde liegende Situationsbeschreibung 
        ist korrekt: Mit zunehmender Komplexität und Vernetzung der den gesamtgesellschaftlichen 
        Prozess der Kapitalakkumulation konstituierenden Teilvorgänge wird 
        die Zuordnung der geschaffenen Arbeitswerte zu einzelnen Tätigkeiten 
        tatsächlich immer fragwürdiger. Allerdings ist festzuhalten, 
        dass dieser hinter dem Rücken der Marktteilnehmer ablaufende Bewertungsvorgang 
        auch schon in allen früheren Entwicklungsphasen der kapitalistischen 
        Ökonomie zutiefst widersprüchlichen Charakter hatte. Wenn man 
        die jeweils am Markt ablaufende Bewertung von Tätigkeiten als rational 
        bzw. leistungsgerecht ansah, war das stets bloß so etwas wie ein 
        Glaube der Marktteilnehmer - eine Art Beruhigungspille, welche 
        es den Verlierern dieser Spielanordnung erleichterte, erlebte Ungerechtigkeit 
        still zu ertragen und auf der Seite der Gewinner allfällige Gewissensbisse 
        zum Schweigen brachte. 
         
        Das zuletzt immer deutlichere Hervortreten des Systemcharakters der Kapitalakkumulation 
        hat somit den inneren Widerspruch zwischen der konkreten Tätigkeit 
        und ihrem jeweiligen Gehalt an abstrakter, wert-schaffender Arbeit nicht 
        verursacht, sondern bloß auf die Spitze getrieben. Und 
        der ‘Pferdefuß’ der BGE-Utopie besteht darin, dass sie diesen im 
        modernen Kapitalismus auf extreme Weise zugespitzten Widerspruch innerhalb 
        der Grenzen der kapitalistischen Ökonomie aufheben will. Der letztlich 
        an der Überwindung jener Ökonomie orientierte linke Flügel 
        der BGE-Bewegung verfolgt daher mit seinem Einsatz für das BGE eine 
        Strategie, die mit seinem übergeordneten Ziel nicht ganz kompatibel 
        ist und deshalb kaum erfolgreich sein dürfte. 
         
        BGE und soziale Reproduktion 
         
        Bevor ich diese pessimistische Einschätzung im Detail erläutere, 
        ist die zuletzt angesprochene Zuspitzung der inneren Widersprüche 
        des Arbeitswerts noch etwas genauer zu betrachten. Sie zeigt sich besonders 
        deutlich in zwei Schlüsselsektoren unseres Wirtschaftssystems. Der 
        erste der beiden ist die Wissensproduktion. Hier stößt 
        das Prinzip ‘Lohn gegen Leistung’ an seine Grenzen, weil immer schwerer 
        feststellbar ist, wer einen wie großen Beitrag zur Entstehung neuen 
        Wissens geleistet hat. Darüber hinaus ist kaum bewertbar, welche 
        Erarbeitung von Wissen gesellschaftlichen Nutzen hat und welche nicht. 
        Schließlich muss man auch davon ausgehen, dass wichtige Produkte 
        der Wissensgesellschaft, wie z.B. Computerprogramme, im Internet von zahlreichen 
        Personen gemeinsam und unbezahlt weiterentwickelt werden.[6] 
         
        Noch brisanter entwickelte sich die Widersprüchlichkeit des Arbeitswerts 
        in der Sphäre der Reproduktion, weil sie hier alle 
        Haushalte betrifft und nicht bloß die Lohnabhängigen einzelner 
        Wirtschaftssektoren. Marx sah in der Reproduktion der Arbeitskräfte 
        noch einen unproduktiven Randbereich der Produktionssphäre, welche 
        für ihn das Zentrum des ökonomischen Geschehens bildete. Aus 
        seiner Sicht wurde nämlich nur hier Wert und Mehrwert geschaffen. 
        Für die mittlerweile zu hochintegrierten Systemen herangereiften 
        Ökonomien der mit einander konkurrierenden Nationalstaaten jedoch 
        wurde die möglichst effiziente Organisation dieses ehemaligen Randbereichs 
        zu einem der drängendsten Überlebensprobleme. Denn jedes dieser 
        Systeme kann nur dann ausreichend Wert und Mehrwert produzieren, wenn 
        es ihm gelingt, die Rahmenbedingungen für die in der Reproduktionssphäre 
        ablaufenden Prozesse der Haushaltsführung, Kindererziehung, Pflege, 
        Gesundheitsvorsorge, Bildung und Weiterbildung, usw. zu optimieren. Und 
        die Art der Entlohnung der dabei anfallenden Tätigkeiten ist 
        zentrales Element dieser über Erfolg bzw. Misserfolg auf dem Weltmarkt 
        entscheidenden Rahmenbedingungen. 
         
        Besonders schwer zu lösen sind die hier entstehenden Entlohnungsprobleme 
        bei den für den sozialen Zusammenhalt und die Resilienz jeder Gesellschaft 
        konstitutiven Arbeiten, welche innerhalb der Haushalte ablaufen. Diese 
        die "soziale Reproduktion" gewährleistenden Tätigkeiten 
        zielen darauf ab "soziale Bindungen herzustellen, aufrechtzuerhalten 
        und zu erneuern"[7] und werden in patriarchalen Familienstrukturen 
        weitgehend an die Frauen delegiert. Lange Zeit war die dabei zu leistende 
        Beziehungs- und Sorgearbeit nur indirekt über das Modell des Familienlohns 
        an den Geldkreislauf angebunden. Das neoliberale Akkumulationsregime ersetzte 
        dann den Familienlohn durch das Modell der Doppelverdiener-Familie, ohne 
        für eine im Gleichschritt verlaufende Überwindung des patriarchalen 
        Musters der innerfamiliären Arbeitsteilung zu sorgen. Dadurch geriet 
        die soziale Reproduktion so stark unter Druck, dass eine Destabilisierung 
        der betroffenen Gesellschaften droht. 
         
        Denn für die Frauen hat ihre unter den genannten Bedingungen stattfindende 
        Integration in den Arbeitsmarkt zwei auf Dauer untragbare Folgen: Einerseits 
        erzeugt sie eine unzumutbare Doppelbelastung durch Beruf und Familie. 
        Andererseits führte sie zu immer stärkerer Professionalisierung 
        und Monetarisierung der in den Familien anfallenden Haushalts-, 
        und Sorgearbeiten. Wie die erste dieser beiden Entwicklungen ist auch 
        die zweite für die Frauen sehr belastend. Sie bilden nämlich 
        das wichtigste Personalreservoir des die einschlägigen Dienstleistungen 
        erbringenden Wirtschaftssektors. Und als hier tätige Lohnabhängige 
        oder Ein-Personen-Unternehmen werden sie nun auch zu Hauptleidtragenden 
        der schwer defizitären Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen jenes 
        Sektors. Die Ursache der betreffenden Defizite ist im Marktmechanismus 
        zu suchen. Denn er führt auf Basis der vorherrschenden patriarchalen 
        Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster zu einer drastischen Unterbewertung 
        der die betreffenden Arbeiten kennzeichnenden Belastungen und Qualifikationsanforderungen.[8] 
         
        In dieser verfahrenen Situation scheint das BGE Chancen zur gleichzeitigen 
        Entschärfung mehrerer mit einander verquickter Teilprobleme zu bieten. 
        Erstens würde es bei beiden Geschlechtern den Druck zur Annahme einer 
        Vollzeitbeschäftigung vermindern und so die Annäherung an das 
        50:50-Ideal bei der Teilung der Haushalts- und Sorgearbeit erleichtern. 
        Zweitens könnte es infolge seiner bereits erwähnten Kombilohnfunktion 
        die Arbeitskosten der Grund- und Nahversorgungsbetriebe senken, was Spielräume 
        für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesen vor allem 
        von Frauen getragenen Wirtschaftssektoren eröffnen sollte. Drittens 
        würde damit zugleich auch ein Beitrag zur Entschärfung einer 
        jener von Robert Reischer kritisierten Ungerechtigkeiten geleistet, die 
        aus der ungleichen Bewertung von eng verflochtenen Arbeitstätigkeiten 
        und Wirtschaftssektoren resultieren. 
         
        Auch im Fall all dieser für ein BGE sprechenden Argumente ist jedoch 
        wieder auf die funktionalen Äquivalente im ‘Stammrevier’ der 
        gewerkschaftlichen Kämpfe zu verweisen: generelle Arbeitszeitverkürzung 
        wäre eine ebenso gute Hilfestellung bei der Annäherung an eine 
        gerechte Teilung der Haushalts- und Sorgearbeiten. Großzügigere 
        Finanzierung der öffentlichen Gesundheits-, Pflege- und Erziehungseinrichtungen 
        würde Spielräume für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne 
        in diesen Sektoren schaffen. Und eine umfassend solidarische Lohn- und 
        Gesellschaftspolitik der Gewerkschaften könnte beitragen zur Angleichung 
        der Löhne zwischen unterschiedlichen Branchen, Hierarchie-Ebenen 
        und Lebensphasen. 
         
        Die Frage, warum man sich lieber für ein BGE engagiert, als alle 
        Kräfte im Dienste entsprechender gewerkschaftlicher Ziele zu mobilisieren, 
        wurde oben schon ganz allgemein mit Hinweis auf die Schwächung der 
        Lohnabhängigen durch das neoliberale Akkumulationsregime beantwortet. 
        Im Kontext der hier nun erörterten Probleme der sozialen Reproduktion 
        ist ergänzend zu fragen, was Feministinnen dazu bewegt, einen Teil 
        ihrer Kampfkraft in die BGE-Bewegung einzubringen.[9] Die Antwort fällt 
        analog aus: das Ausweichen auf die BGE-Schiene ist auch in diesem Fall 
        ein Zeichen der Schwäche - hier nun einer des Feminismus. 
        Weil wir noch immer so entmutigend weit von der Realisierung des 50:50 
        Ideals entfernt sind, weil es noch Jahrzehnte dauern kann, bis der Gender 
        Pay Gap und die daraus resultierende Altersarmut von Frauen verschwinden, 
        weil familienfreundliche Arbeitszeiten in der Arbeitswelt längst 
        noch keine Selbstverständlichkeit sind - aus all diesen und noch 
        weiteren, ähnlich gelagerten Gründen hofft man auf Rückenwind 
        durch die Einführung eines BGE. Eine Hoffnung, der ich zwar die Daumen 
        drücke, die ich aber für unrealistisch halte. Wie bereits angedeutet, 
        beurteile ich nämlich die Erfolgsaussichten des Kampfs der linken 
        BGE-Proponent*innen für ein sozial nachhaltiges und daher mit jenen 
        Zielen des Feminismus kompatibles BGE eher negativ. 
         
        BGE und politische Dynamik 
         
        Zur Begründung meiner Skepsis verweise ich zunächst auf eine 
        von allen BGE-Diskutant*innen geteilte Einschätzung. Sie besagt, 
        dass das BGE sowohl Chancen als auch Risiken birgt. So könnte 
        es etwa aus feministischer Perspektive ... 
         
        • entweder als "ein erster wichtiger Baustein in einem umfassenderen 
        Projekt zur Erneuerung und Verbesserung des Sozialen in unserer Gesellschaft" 
        fungieren,  
         
        • oder aber ein "ungeheurer frauen- und bildungspolitischer Rückschlag" 
        sein, da es womöglich sozialen Druck auf Frauen ausübt, 
        "aufgrund der nicht mehr vorhandenen Notwendigkeit der Erwerbsarbeit 
        die Familienarbeit anzunehmen, weshalb z.B. Kinder wieder mehr zu Hause 
        betreut werden könnten".[10]  
         
        Welche der im BGE implizierten Chancen bzw. Risiken zu Realitäten 
        werden, hängt zunächst natürlich von der Art des 
        jeweils etablierten BGE-Modells ab. So böte etwa die neoliberale 
        Variante sehr ungünstige Voraussetzungen für den Start jener 
        eben erwähnten umfassenden "Erneuerung und Verbesserung des Sozialen 
        in unserer Gesellschaft". Noch wichtiger als die Art des zum 
        Zuge kommenden Modells ist jedoch die Dynamik des Prozesses, in 
        dessen Verlauf das BGE implementiert und weiterentwickelt wird. Verläuft 
        er nach dem Muster einer technokratischen Reform, dann besteht die Gefahr, 
        dass er große Teile der Lohnabhängigen bloß ruhigstellt 
        und in einem Zustand ‘erlernter Hilflosigkeit’ gefangen hält. Umgekehrt 
        könnte dieser Prozess zu sehr tiefgreifenden Veränderungen führen, 
        wenn es gelänge, ihm die Dynamik eines Aufbruchs zu verleihen. 
         
        Zur Vermeidung von Missverständnissen möchte ich an dieser Stelle 
        betonen, dass ein solcher Aufbruch keineswegs nur vor dem Hintergrund 
        einer von umfassendem Optimismus getragenen Aufschwungphase stattfinden 
        kann. Ein ebenso gut möglicher Kontext wären drastische Verschlechterungen 
        der Lebenssituation breiter Bevölkerungsschichten. Ausgangspunkt 
        der Aufbruchsdynamik wäre in diesem Fall der sich an jenen Verschlechterungen 
        entzündende Widerstand, bei dem Kraft und Mut spendende Erfahrungen 
        kollektiven Handelns gemacht werden. 
         
        Was auch immer der Impuls zum Aufbruch sein mag. Entscheidend ist die 
        sich dann entwickelnde Dynamik. Ist sie stark genug, könnte ein von 
        ihr getragener Prozess der Etablierung des BGE in letzter Konsequenz sehr 
        vieles ermöglichen. Vielleicht sogar die von linken BGE-Befürworter*innen 
        erhoffte arbeitskraftgerechte Formung der Lohnarbeit und die vom Feminismus 
        angestrebte Höherbewertung, Umverteilung und Neugestaltung der Sorgearbeit. 
        Die allesentscheidende Frage lautet daher: Kann sich an der BGE-Forderung 
        eine so weittragende, bestehende Systemgrenzen überwindende Dynamik 
        entzünden? 
         
        Ich zweifle daran aus zwei Gründen: 
         
        Der erste der beiden fußt auf meinem Eindruck, dass im linken 
        Lager sowohl bei vielen Befürworter*innen als auch bei vielen Gegner*innen 
        des BGE kein klares Bewusstsein von der Relevanz jener Dynamik für 
        Art und Ausmaß der mittels des BGE erzielbaren gesellschaftlichen 
        Veränderungen vorhanden ist. Zur Illustration zwei Beispiele aus 
        einschlägigen Diskussionen. 
         
        Im ersten besteht ein für das BGE eintretender Kultursoziologe darauf, 
        das BGE erst nach einer grundlegenden Reform des Bildungssystems 
        zu etablieren. Denn "man blamiert das Konzept, wenn man es aus dem 
        Stand einführt. Ein Grundeinkommen für Menschen mit schlechter 
        Bildung ist keine kluge Idee. Die Parole ‘Nehmt den Leuten die Existenzangst, 
        gebt ihnen ein bedingungsloses Grundeinkommen, dann werden sie sich selbst 
        motivieren’ kommt mir naiv vor. Nicht alle können einen Eigensinn 
        in ihrem Dasein finden. Sie würden ihre Zeit verschwenden. Und wir, 
        die ihr Grundeinkommen bezahlen müssen, würden sagen: Dafür? 
        Bitte nicht!" Dem Soziologen kommt nicht in den Sinn, dass die Fähigkeit, 
        "einen Eigensinn im Dasein zu finden", im Zuge des Ringens um Einführung 
        und Weiterentwicklung des BGE erworben werden könnte. Er kann also 
        das BGE nur als ein ‘von oben’ gewährtes Geschenk sehen und nicht 
        als selbst erkämpftes Resultat eines Emanzipationsprozesses. Zu Recht 
        weist der Moderator der betreffenden Diskussion auf die Konsequenz dieser 
        undialektischen Sicht hin: "Wenn Sie erst das Bildungsniveau heben 
        wollen, verschieben Sie das Grundeinkommen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag." 
        Resignative Antwort: "Ja, gut, da ist ein Moment der Vertagung 
        drin ..."[11] 
         
        Das zweite Beispiel entstammt einem Streitgespräch zwischen einem 
        grünen BGE-Befürworter und einem der Linkspartei angehörenden 
        BGE-Kritiker. Dabei argumentieren beide Diskutanten ebenfalls wieder bloß 
        von den jeweils erwarteten Ergebnissen der Implementierung eines 
        BGE her und schenken dem diesen Resultaten vorgelagerten Prozess 
        zu wenig Aufmerksamkeit. Während der Grüne seine Befürwortung 
        des BGE mit der Erwartung positiver Effekte begründet, argumentiert 
        der Vertreter der Linkspartei spiegelverkehrt mit seinen Befürchtungen. 
        Der Kampf für ein BGE würde aus seiner Sicht "am Ende womöglich 
        dazu führen, dass dieses zu einem neoliberalen Projekt wird, das 
        dazu benutzt wird, den Sozialstaat weiter zu schleifen." Seine Perspektive 
        sei demgegenüber "ein nichtkapitalistisches, sozialistisches System. 
        ... Das würde ermöglichen, dass die Menschen tatsächlich 
        gesellschaftlich bestimmen, wie lange sie arbeiten wollen und wie sie 
        die Früchte ihrer Arbeit verteilen." Das aber "geht nicht 
        mit dem Grundeinkommen", denn dieses "setzt ja, um sich zu finanzieren, 
        weiterhin auf Lohnarbeit."[12] Unter den Tisch fällt bei 
        dieser ergebniszentrierten Sichtweise die Überlegung, dass die Forderung 
        nach gemeinschaftlicher Verfügung über die Produktionsmittel 
        im Zuge der Kämpfe für das BGE womöglich erst entstehen 
        und an Dringlichkeit gewinnen könnte. Dass also mit anderen Worten 
        aus einem Kampf fürs BGE einer gegen die kapitalistischen Rahmenbedingungen 
        der Erwerbsarbeit werden könnte. Die Finanzierungsbasis des in einem 
        solchen Kampf errungenen BGE wäre dann nicht mehr Lohnarbeit fürs 
        Kapital sondern eine im Kontext vergesellschafteter Produktionsmittel 
        zu leistende Erwerbsarbeit. 
         
        Eine wackelige Utopie in neuem Umfeld 
         
        Der erste Grund für meine Skepsis, dass sich am Konzept des BGE ein 
        die Grenzen der kapitalistischen Ökonomie überschreitender Aufbruchsprozess 
        entzünden könnte, ist also die bei vielen Vertreter*innen des 
        linken Lagers fehlende Sensibilität für die Dynamik von gesellschaftlichen 
        Aufbrüchen. Der nun zu nennende zweite Grund betrifft das 
        BGE-Konzept selbst. Ich fürchte, dass es nicht das Potential besitzt, 
        einen solchen Aufbruch auszulösen. Und zwar deshalb, weil das BGE 
        als Utopie eine allzu fragile Konstruktion ist. Dieses Vehikel 
        funktioniert nur so lange, wie es im Stadium unverbindlicher Diskussionen 
        verbleibt. 
         
        Denn zum einen können sich die radikalen Reformabsichten des linken 
        Flügels der Bewegung nur in jenem nebulosen ‘Aggregatzustand’ mit 
        den Finanzierungsüberlegungen gemeinwohlorientierter Philosoph*innen 
        und Theolog*innen, den Sparkonzepten neoliberaler Sozialstaat-Reformer*innen 
        und den Familienbildern konservativer Gesellschaftspolitiker*innen mischen. 
        Sobald es an die Realisierung ginge, würde sich dieses Ideologiegebräu 
        wegen der praktischen Unvereinbarkeit der darin vermixten Ideen und Ziele 
        sofort entmischen. Zum anderen ist hier an den oben erläuterten Unrechtsgehalt 
        des BGE-Konzepts zu denken, der es mit einem Potential zur Spaltung der 
        Lohnabhängigen infiziert. Die dadurch verursachte realpolitische 
        Schwäche der BGE-Bewegung steht in einem groben Missverhältnis 
        zur Größe jener Umverteilungsaufgabe, die bei der Etablierung 
        eines sozial nachhaltigen BGE zu bewältigen wäre. 
         
        Ich möchte diesen Vorbehalt ausdrücklich nicht als grundsätzliche 
        Zurückweisung des BGE verstanden wissen. Denn in der im Verlauf 
        der neunzehnachtziger Jahren einsetzenden Hochphase des Neoliberalismus, 
        als die sogenannte ‘Sachpolitik’ Triumphe feierte und neben sich keinen 
        Freiraum duldete für Utopien und Gedankenspiele über mögliche 
        Systemalternativen - da war die Wiederbelebung der Idee eines BGE wohl 
        die einzige Möglichkeit, das Überleben einer Utopie 
        der befreiten Arbeit sicherzustellen. Ist dieses Konzept doch sachpolitisch 
        ‘satisfaktionsfähig’, weil es den Anspruch erhebt einige der zentralen 
        Systemprobleme des Kapitalismus zu entschärfen, wenn nicht gar zu 
        lösen. 
         
        Inzwischen aber ist das neoliberale Akkumulationsregime von Krisen geradezu 
        umzingelt. Bis auf die Knochen blamiert durch die jüngste Weltfinanzkrise, 
        taumelte es zuletzt in eine durch die Globalisierung befeuerte Weltgesundheitskrise, 
        von der es heillos überfordert ist. Denn große Teile der Bevölkerung 
        in den Metropolen haben das Vertrauen in die Problemlösungsangebote 
        einer mit dem Kapital verbündeten Naturwissenschaft verloren, während 
        die Renditeinteressen der großen Pharmakonzerne verhindern, dass 
        die Menschen in den ärmeren Staaten überhaupt die Möglichkeit 
        zur Nutzung dieser Problemlösungsangebote erhalten. Und am Horizont 
        drohen schon die nächste Finanzkrise und eine alle anderen Krisen 
        in den Schatten stellende Klimakatastrophe. Die ‘Sachpolitik’ ist also 
        offensichtlich mit ihrem Latein am Ende. Vielleicht öffnet sich daher 
        nun wieder ein Zeitfenster für ‘echte’ (sprich: systemtranszendierende) 
        Utopien, die auf der konsistenteren Ziel- und Interessenbasis der gewerkschaftlichen 
        Kämpfe ruhen und im Gegensatz zum BGE nicht Gefahr laufen, die Lohnabhängigen 
        zu spalten. 
         
        Auch wenn diese Hoffnung überzogen sein sollte, ist doch eines sicher: 
        Die Karten werden gerade neu gemischt, weshalb wir uns bemühen müssen, 
        neue Chancen zu nutzen und neuen Gefahren zu erkennen. Besonders 
        letzteren müssen wir bei unserem Umgang mit dem BGE große Aufmerksam 
        schenken. Dieses Konzept konnte in Zeiten funktionierender ‘Sachpolitik’ 
        noch als interessante Alternative zu den finanziell ausgehungerten, mehr 
        schlecht als recht funktionierenden Arbeitslosigkeits- und Armutsverwaltungen 
        gelten. Mittlerweile haben sich jedoch die politischen Rahmenbedingungen 
        für seine Realisierung deutlich geändert: Wenn nun im Gefolge 
        der eben erwähnten ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen 
        in vielen Staaten auch die politischen Systeme von einer Krise in die 
        nächste taumeln, ist es für die Lohnabhängigen höchst 
        risikoreich, große Teile ihres Einkommens nicht unmittelbar aus 
        der Arbeit, sondern aus einem staatlichen Umverteilungsmechanismus zu 
        beziehen. Sie werden dadurch nämlich in verstärktem Maße 
        abhängig von den immer volatileren politischen Mehrheitsverhältnissen. 
        Natürlich ist auch die Lohnarbeit keine sichere Einkommensquelle. 
        Während aber das BGE vor einigen Jahren noch Einkommenssicherheit 
        für die drohenden Zeiten der Massenarbeitslosigkeit versprach, löst 
        sich dieser Sicherheitsvorteil gerade in Luft auf. 
         
        Im Hinblick auf die erwähnten neuen Chancen ist hierzulande 
        gerade eine deutliche Besserung der Rahmenbedingungen für jene gewerkschaftliche 
        Kämpfe festzustellen, die sich als Alternative zum Engagement für 
        ein BGE anbieten. Kurzfristig ist diese Besserung das Resultat 
        des aktuellen Wirtschaftsaufschwungs, welcher die Arbeitskräftenachfrage 
        ankurbelt und damit die Position der Lohnabhängigen stärkt. 
        Mittelfristig sei das Anlaufen einer in dieselbe Richtung wirkenden 
        Pensionierungswelle bei der Generation der Babyboomer erwähnt. Und 
        in langfristiger Betrachtungsperspektive wären die vermehrten 
        Zusammenbrüche von weltweiten Lieferketten zu nennen. Denn sie verweisen 
        auf eine mögliche Trendwende bei der Globalisierung der Produktion, 
        die in unseren Breiten ebenfalls auf eine Stärkung der Position der 
        Lohnabhängigen hinauslaufen könnte. Darüber hinaus käme 
        bei solcher Langfristbetrachtung wieder der bereits angesprochene Trend 
        zu immer engerer Vernetzung aller Teilbereiche der gesellschaftlichen 
        Arbeit ins Spiel. Er wurde oben im Zusammenhang mit der Kritik an den 
        inneren Widersprüchen des Arbeitslohns erwähnt. Im vorliegenden 
        Kontext ist er relevant, weil er die ökonomische Basis für das 
        Entstehen von neuen branchen- und bereichsübergreifenden Solidaritätsbeziehungen 
        bilden könnte. Angesichts der im Hintergrund lauernden Krisen- und 
        Katastrophengefahren sind jedoch alle derartigen Langfristüberlegungen 
        bloße Gedankenspielereien. 
         
        Zeit umzudenken? 
         
        Die zumindest bei kurz- und mittelfristiger Betrachtung eher positiven 
        Aussichten sollten meiner Meinung nach Anlass dafür sein, dass man 
        am linken Flügel der BGE-Bewegung überlegt, ob es jetzt nicht 
        an der Zeit ist, sich (wieder oder erstmals) verstärkt bei den Kämpfen 
        für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, höhere Mindestlöhne 
        und die übrigen oben erwähnten gewerkschaftlichen Ziele zu engagieren. 
        Ich vermute, dass sich manche Vertreter*innen des linken BGE-Lagers auch 
        selbst diese Frage stellen. Indiz für diese Annahme sind verschiedene, 
        zum Teil schon weit zurückliegende Äußerungen, die darauf 
        hindeuten, dass der oben kritisierte Mangel an Sensibilität für 
        die Dynamik politischer Prozesse kein durchgängiger ist. Es gibt 
        durchaus Stimmen im linken BGE-Lager, welche schon seit Langem dafür 
        plädierten die utopischen Gedankenspiele über Art und Finanzierungsmodus 
        eines möglichen BGE zurückzustellen und sich verstärkt 
        auf die jeweils nächsten Etappen eines schrittweisen Vorgehens 
        zu konzentrieren. Dabei würde man sich dann für Anliegen engagieren, 
        die auch Teile des gewerkschaftlichen Forderungsprogramms sind. 
         
        Ansätze zu einer solchen Perspektive finde ich etwa bei Timo Reuter, 
        der bereits 2014 eine nur "schrittweise" erfolgende Annäherung 
        an das BGE forderte.[13] Noch deutlicher prozessorientiert argumentiert 
        Werner Rätz. Er möchte die Finanzierungsvorschläge für 
        das BGE nicht im luftleeren Raum diskutieren, denn aus seiner Sicht wird 
        es entscheidend "vom Verlauf der Kämpfe ... abhängen, welche 
        realpolitischen Möglichkeiten sich eröffnen, für die wir 
        dann Finanzierungsvorschläge brauchen werden."[14] 
         
        Für die Gewerkschaftsbewegung jedenfalls wäre das vermehrte 
        Engagement der BGE-Befürworter*innen eine wichtige Bereicherung. 
        Könnten sie doch mit ihrem Mut zur Utopie den manchmal allzu 
        sehr in der Logik der Sachpolitik befangenen Gewerkschafter* innen neue 
        Horizonte eröffnen. 
        ####### 
         
         
         
       
        Fußnoten: 
        1. Manuell Franzmann: Der aktuelle Beschäftigungsoptimismus 
        in historischer Perspektive,  
        https://grundeinkommensblog.blogspot.com/2010/11/der-aktuelle-beschaftigungsoptimismus.html 
         
         
        2. Ralf Krämer: Grundeinkommen – ökonomisch und finanziell nie 
        bedingungslos, WSI Mitteilungen, 71, JG., 4/2018  
         
        3. Dieses und die beiden folgenden Zitate aus Werner Rätz: Für 
        ein bedingungsloses Grundeinkommen sind Finanzierungsmodelle unvermeidlich, 
        aber schädlich!  
        http://www.archiv-grundeinkommen.de/netzwerk/newsletter-nov-2006/raetz.pdf 
         
         
        4. Luise Gubitzer: Erwerbsunabhängiges, existenzsicherndes Grundeinkommen: 
        Mäßig Utopisch ..., Augustin, Nr. 58, Juli 2000, S. 16  
         
        5. Robert Reischer: Es gibt wichtigeres als Arbeitsplätze!, akin, 
        Nr.13, April 1996; Hervorhebung durch R.R.  
         
        6. Margit Appel: Die Gefährdung des sozialen Zusammenhalts. Bericht 
        über die Fachtagung "Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt", 
        akin, Nr. 16, Mai 2003  
         
        7. Nancy Fraser: Feminismus ohne Strategie  
        https://www.zeitschrift-luxemburg.de/feminismus-ohne-strategie/  
         
        8. Astrid Krisch, Andreas Novy, Leonhard Plank, Andrea E. Schmidt, Wolfgang 
        Blaas: Die Leistungsträgerinnen des Alltagslebens. Covid-19 als Brennglas 
        für die notwendige Neubewertung von Wirtschaft, Arbeit und Leistung 
         
        https://foundationaleconomycom.files.wordpress.com/2020/11/die-leistungstragerinnen-des-alltagslebens_fe_layout-final.pdf 
         
         
        9. Pia Reiter: Das BGE als feministische Chance  
        https://frauenseiten.bremen.de/blog/das-bge-als-feministische-chance/ 
         
         
        10. Susann Worschech: Soziale Sicherheit neu denken. Bedingungsloses Grundeinkommen 
        und bedarfsorientierte Grundsicherung aus feministischer Sicht; Hrsgegeben 
        von der Heinrich-Böll-Stiftung  
        https://www.boell.de/sites/default/files/gwi-soziale_sicherheit-aufl5-i.pdf, 
        S. 47 f.  
         
        11. TAZ, 1.12.2006: Eine Revolution im Denken und Handeln. Interview mit 
        Wolfgang Engler und Mathias Greffrath  
         
        12. Frankfurter Rundschau, 28.10.2015: Grundeinkommen: Ohne soziale Sicherheit 
        ist Freiheit wenig wert. Debatte von Linken-Chef Bernd Riexinger mit dem 
        sozialpolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Wolfgang 
        Strengmann-Kuhn  
         
        13. Timo Reuter: Jeder ein König. Debatte Grundeinkommen, TAZ, 11.1.2014 
         
         
        14. Werner Rätz: Für ein bedingungsloses Grundeinkommen sind 
        Finanzierungsmodelle unvermeidlich, aber schädlich! Newsletter Netzwerk 
        Grundeinkommen, Nr. 9, November 2006  
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