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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 24. Februar 2022; 02:12
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  Welterklärung:
  
  > Wovon reden wir eigentlich?
  
  Überraschung: Der Ukrainekonflikt dreht sich um wirtschaftliche Interessen
  
  Also wir haben ja schon alle mitgekriegt, daß es zuallererst ums Erdgas
  geht. Allerdings meistens in dem Kontext, daß diese unsolidarischen Europäer
  sich so vor Putins Macht über den Gashahn fürchten, daß sie nicht konsequent
  gegen Rußland vorgehen wollen. Immerhin sind die Deutschen jetzt doch so
  brav und sperren Nord Stream II nicht auf.
  
  Glücklicherweise gibts ja noch Nord Stream I. Sonst würde man Russland
  nämlich einen guten Grund geben, die ganze Ukraine zu besetzen, denn die
  anderen Pipelines in die EU führen alle über ukrainischen Boden. Immerhin:
  Die Gefahr, daß nicht Rußland, sondern die Ukraine das Gas abdrehen könnte,
  wenn EU und NATO nicht eingreifen, ist bei diesen anderen Pipelines sehr
  wohl gegeben. Aber über dieses Drohszenario wird sicherheitshalber nicht
  geredet. Weil die ukrainische Regierung ist ja schließlich das Opfer.
  
  Auch über eine andere Pipeline wird nicht geredet. Nämlich über Blue Stream.
  Über die liefert nämlich Rußland Gas in die Türkei. Ein kleines Stück dieser
  Pipeline läuft über formal ukrainisches Staatsgebiet - und zwar genau durch
  jenes Gebiet, das bisher als Oblast Luhansk bekannt war. Die dürfte jetzt
  wieder unter russischer Kontrolle sein. [Update 24.2.: Noch dürfte der
  Norden der Oblast unter Kiewer Kontrolle sein. Der nächste Schritt Moskaus
  ist damit aber vorprogrammiert.]
  
  Viel hingegen ist die Rede über US-Flüssiggas, das in der EU russisches
  Erdgas ersetzen könnte. Allerdings als großzügige Hilfeleistung, um die EU
  in ihrer Auseinandersetzung mit Rußland zu unterstützen. Weniger gern redet
  man darüber, daß es sich um Gas aus Frackingförderung handelt, die wegen
  befürchteter Umweltschäden schwer umstritten ist. Auch die Tatsache, daß
  Verflüssigung und Transport dieses Gases es doch etwas klimaschädlicher
  machen als das Pipelinegas, wird nur ungern erwähnt. Und gar nicht darüber
  reden will man, daß die Gaspreise in den USA für die dortigen Förderfirmen
  viel zu gering sind, weil man das Überangebot nicht los wird. Eine
  europäische Nachfrage würde da vieles leichter machen.
  
  Nebenbei: In der Ukraine gibt es große, noch völlig unerschlossene
  Schiefergasvorkommen, die für US-Firmen, die das Fracking-Know-How haben,
  sicher sehr interessant werden können, wenn es in den USA doch mal knapp
  wird mit dem Gas -- entweder weil die Lagerstätten ausgebeutet sein werden
  oder sich doch strengere Umweltauflagen nicht mehr vermeiden lassen, wodurch
  die Förderungen unrentabel würden.
  
  
  Nicht nur das Gas
  
  Aber es gibt natürlich auch noch andere Gründe für diesen Konflikt. Nein,
  nicht die ethnische Auseinandersetzung oder die unterschiedliche
  Interpretation des Völkerrechts, das sind nur so Sachen für die
  Marketingabteilungen beider Seiten. Zum Beispiel die Sache mit der Krim. Ob
  dort mehr Russen oder mehr Ukrainer leben, sprich, ob die dort eher Kiewer
  oder Moskauer Dialekt reden, ist egal. Interessanter ist da schon der
  Militärhafen von Sewastopol, der im Übrigen auch schon vor 2014 eine
  militärische Sonderverwaltungszone war, die von der übrigen Krim weitgehend
  abgeschottet war. Aber man könnte vielleicht auch an das andere Ende der
  Krim schauen, zur Straße von Kertsch, der einzigen schiffbaren Verbindung
  zwischen dem Assowschen und dem Schwarzen Meer. Denn 2013 hatten sich
  Rußland und die Ukraine nach langwierigen Verhandlungen auf eine
  Brückenverbindung über die Meerenge geeinigt. Mit der Annexion der Krim
  waren diese Pläne aber obsolet. Jetzt waren de facto beide Ufer russisches
  Gebiet. Gebaut wurde die Brücke dennoch -- von Russland alleine. Das war
  auch notwendig, weil die Versorgung der Krim über ukrainisches Gebiet kaum
  mehr möglich war. Allerdings ist die jetzige, 2018 eröffnete Brücke so
  niedrig gebaut, daß nur kleine Schiffe durchkommen. Was massiv den für die
  ukrainische Wirtschaft wichtigen Hafen Mariopul schädigt. Es ist sicher nur
  ein Zufall, daß genau dieser Hafen nicht zum Vassallenstaat von Donezk kam,
  kolportierterweise, weil die lokalen Oligarchen 2014 noch rechtzeitig die
  Seiten wechselten. Dazu kommt, daß Rußland jetzt in die Lage versetzt ist,
  im Bedarfsfall die Wasserstraße auch ganz zu sperren. Aber auch über derlei
  Interessenslagen liest man eher selten in den Schlagzeilen.
  
  
  Die Logik der Pokerspieler
  
  Die Anerkennung der Gebiete um Luhansk und Donezk sowie die Invasion dort
  folgen einer eigenen Logik, die nicht soweit von der der NATO entfernt ist.
  Rußland hat nämlich gar keine Interesse daran, daß diese Anerkennungen vom
  Westen geteilt werden -- hier hat man die Analogie zu Transnistrien sowie
  Südossetion und Abchasien. Dank dieser russischer Vasallenstaaten können die
  Republik Moldau und Georgien nicht der NATO beitreten. Es würde sonst
  nämlich sofort der Bündnisfall eintreten, sprich NATO-Truppen müßten dort
  aktiv werden, um das offizielle Territorium seiner neuen Mitgliedsländer zu
  schützen resp. wiederzuerobern. Das würde aber wohl einen unmittelbaren
  militärischen Konflikt mit Rußland bedeuten, was sich die NATO und die EU
  nicht antun wollen -- glücklicherweise. Solange aber keine
  NATO-Mitgliedschaft besteht, wird in der EU aber nicht einmal darüber
  nachgedacht, ob eine EU-Mitgliedschaft denkbar wäre. Umgekehrt wird da auch
  ein Schuh daraus: Die Beteuerung des Westens, die Ukraine nicht in die NATO
  aufnehmen zu wollen, ist unglaubwürdig, da die Bestrebungen ja da sind, die
  Ukraine in die EU zu bekommen. Aber eben: Bislang ist kein einziger Staat
  aus dem politischen Osten (also Ex-SU, Ex-Comecon und Ex-Jugoslawien) ohne
  NATO-Beitritt in die EU aufgenommen worden. Warum sollte es bei der Ukraine
  anders sein?
  
  
  Ein ganz, ganz großer Markt
  
  Das Interesse der EU an der Ukraine ist aber natürlich weniger ein
  militärisches, sondern eben auch wieder das alte Lied: "It's the ecomomy,
  stupid!" Schon 2014 erklärte uns das Herr Ascan Iredi, deutscher Börsianer
  und FDP-Politiker in einem ARD-Bericht so: "Ein ganz ungeheures Potential
  würde sich da öffnen. Die Ukraine ist zum einen reich, das ist ihr Vorteil,
  auch für ihre Zukunft, und zum anderen ist das auch ein ganz, ganz großer
  Markt. . Grundsätzlich haben wir das Problem, daß Rußland die Hand darüber
  hält und dieses Land sich dadurch sehr schlecht und nur sehr langsam
  entwickelt. . Das Pro-Kopf-Einkommen ist sehr niedrig! . Das können wir aber
  andererseits nutzen, das könnte zu einer Art Werkbank werden, für die
  Europäische Union. Und die Bodenschätze sind sehr wichtig, was wiederum den
  Reichtum für dieses Land sichert. ."
  
  Und dann gibts da noch die riesigen Agrarflächen mit der weltweit besten
  Schwarzerde. Bei diesen Böden gibt es jetzt schon den großen internationalen
  Ausverkauf -- wenn man sich da jetzt nicht ranhält, kaufen am Ende alles die
  Chinesen.
  
  Nicht zuletzt ist das beiderseitige Interesse am Donbas, also die Gebiete
  von und um Luhansk, Donezk und Mariopul zu erwähnen -- das zentrale
  Industriegebiet der Ukraine und früher einmal auch der ganzen Sowjetunion.
  Der österreichische Außengraf hingegen redet davon, daß die Ukraine ja so
  nahe liege -- vergißt aber zu erwähnen, daß das eine ganz andere Gegend ist,
  nämlich jener Westzipfel der Ukraine, der, und daran wird der Aristokrat
  wohl gedacht haben, früher einmal zur Habsburger-Monarchie gehört hat.
  
  
  Wozu ein Staat gut ist
  
  Wenn Putin meint, er spreche dem Ukrainischen Staat die Legitimität ab, weil
  er in den 30 Jahren seines Bestehens die wirtschaftliche Lage seiner
  Bevölkerung nicht verbessert habe und korrupte Oligarchen regieren, ist es
  natürlich ein Witz, weil das ausgerechnet vom russischen Dauerherrscher
  kommt. Schließlich gilt wohl für Rußland dasselbe. Andererseits merkt man da
  natürlich schon die marxistische Schulung des ehemaligen KGB-Offiziers: Die
  Legitimität einer Regierung oder eines Staates liegt nicht darin, ob aus
  oftmals eher zufälligen geschichtlichen Ereignissen sich eine Macht auf
  einem bestimmten Territorium stabilisiert hat oder eine Herrschaft einen
  schönen Nationalmythos samt Hymne und Fahne zusammenbasteln kann, sondern
  darin, wie es den Untertanen geht. "Gruppen sind etwas Sekundäres - der
  Staat ist etwas Sekundäres. Es kommt nicht darauf an, daß der Staat lebe -
  es kommt darauf an, daß der Mensch lebe", heißt es in Tucholskys "Blick in
  ferne Zukunft" von 1930.
  
  Die Oligarchen regieren, egal ob in Moskau, Kiew, Washington, Berlin oder
  Wien. Das ist nichts Neues. Und alle kommen sie mit dem Zuckerguß
  fahnenschwenkender Nationalherrlichkeit, hehrer Demokratieliebe oder
  tränenreicher Menschenrechtsverteidigung. Auch schon seit immer. Wer's
  glaubt, wird selig. Aber da muß man halt auch die Verblödung in Kauf nehmen.
  
  *Bernhard Redl* [21.2.2022]
  
  
  
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