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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 24. Februar 2022; 03:07
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Letzte Worte:

> "I mecht a Scher!"

Geschichten aus dem Gesundheitswesen

Ja, das war eine lustige Zeit, als ich während meiner Studienzeit im alten
AKH in der Gastroenterologie als Chemiker gearbeitet habe, um den Weg der
Gallensäuren bei Lebererkrankungen zu verfolgen. Mein Chef, der eine
Karriere als Dozent in dieser Uniklinik angestrebt hatte, konnte mit Hilfe
meiner Analysen als erster in einer Runde von behandelnden Ärzte
triumphierend verkünden: "In zwei Tagen stirbt die Patientin!" Die
Gallensäuren waren mit radioaktiven Kohlenstoff-Isotopen markiert, was mich
schon zu den Fragen veranlasst hat: "Wie hoch dosieren Sie denn diese
radioaktiven Materialien, die ja eine zusätzliche Belastung darstellen?" und
"Informieren Sie die Patienten über Ihre wissenschaftliche Studien und holen
Sie deren Genehmigung ein?" Die Antworten waren -- wie gesagt, es war eine
lustige Zeit damals: "Die Höhe der Dosis bemisst sich daran, dass ich klare
Peaks bei der Analyse bekomme" und "Die klugen Patienten informiere und
frage ich natürlich!". Was mich wiederum zur Frage provozierte: "Sind die
klugen Patienten die, von denen Sie annehmen, dass sie zustimmen?". Die
schlichte Antwort war: "Ja, klar!"

Keine Frage, wir haben weltweit eine der weltbesten Gesundheitsversorgungen
der Welt, ja schon, wer mehr Geld hat, hat eine noch bessere, ja schon, die
Ärzte reden eher von Organen, an denen -- doch etwas störend -- Menschen
hängen (".ich habe heute eine Leber."), ja schon, Krankenschwestern haben
keine Zeit, den PatientInnen beim Waschen zu helfen; wenn die zu langsam
sind, dann werden sie wie hilflose Säuglinge gewaschen, ja schon, bei der
Visite brauchen die PatientInnen ihren ganzen Mut, um in das lateinische
Kauderwelsch ihre dummen Fragen hineinzustellen. Aber im Schneiden, Nähen
und Vergiften sind wir wirklich Weltklasse.

Ja, manchmal haben meine Analysenergebnisse nicht ganz in die
Forschungsverläufe gepasst. Dann wurde sie halt geändert. Das sogenannte
Papierieren (also vom gewünschten Ergebnis ausgehend, benötigte
Analysenwerte zu berechnen) habe ich ja schon in der HtL-Rosensteingasse
gelernt. Also habe ich dem Herrn zukünftigen Dozenten die gewünschten
Ergebnisse geliefert.

Natürlich habe ich auch Modernisierungen erlebt. Wenn die Ärzte Blutproben
ans Labor geschickt haben, haben sie immer angekreuzt, welche Analysen
gemacht werden sollten, bis sie draufgekommen sind, dass stets alle Analysen
vollautomatisch gemacht werden und nur der Drucker angewiesen worden war,
die gewünschten Daten auszudrucken. Und dann haben sie stets alles
angekreuzt, weil es ja keinen Mehraufwand bedeutet hat. Und das war gut so,
weil da kamen Abweichungen heraus, an die sie gar nicht gedacht hatten. Und
ja, das war auch schlecht so, weil in der gezielten Auswahl der gewünschten
Analysen steckten auch Diagnoseinformationen, die so verloren gingen.

Um Mitternacht bin ich immer ins Schwesternzimmer gegangen und habe mir mit
den Schwestern (Brüder gab es damals noch nicht) einen Kaffee genehmigt. Als
ich sie auf den Patienten ansprach, der da am Gang lag, haben sie mir --
ohne die Stimme zu senken -- erklärt, dass er die Nacht nicht überleben
werde. Da hab' ich sie ersucht, etwas leiser zu sprechen. Sie haben mir
erklärt, dass der Patient nichts mehr mitkriege. Naja; der Patient war mit
Bandagen ans Bett gefesselt und als ich an ihm vorbei ins Schwesternzimmer
ging, hat er sich aufgerichtet -- die Fesseln aus Bandagen waren gut zu
sehen -- und er hat zu mir gesagt: "I mecht a Scher!"

*Kurt Winterstein*


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