**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 17. Februar 2022; 05:50
**********************************************************

Israel-Palästina/Debatte:

> Das Florianschütz-Syndrom

Laute Pfui-Rufe sind kein Argument, auch nicht, wenn es um die Reinwaschung
des israelischen Staates geht.
*

Peter Florianschütz, sozialdemokratischer Gemeinderat und Präsident der
Österreichisch-Israelischen Gesellschaft (ÖIG) reitet wieder. Denn natürlich
bringt ihn der jüngste amnesty-Bericht auf den Hedscherlberg.

Aber auch wenn man empört ist, sollte man sich ein wenig informieren, bevor
man zur Feder oder in die Tasten greift. Lediglich Letzteres hat
Florianschütz getan und da sein Offener Brief beispielhaft ist für viele
Reaktionen, sei er hier ausführlich gewürdigt. Florianschütz schreibt an
Amnesty International, Österreichische Sektion: "Mit diesem Schreiben nehmen
wir Bezug auf den, vom englischen Ableger Ihrer Organisation in London
veröffentlichten, Bericht zum Staat Israel, der auch auf ihrem öffentlichen
Internetauftritt präsentiert wird."

Schwerer Fehler, gleich im ersten Satz Unkenntnis zu zeigen. Denn ai in
London ist nicht der "englische Ableger" sondern das Headquarter von amnesty
international, das prinzipiell für die ganze NGO spricht inclusive aller
nationalen Branches.

Weiters erklärt der Brief, daß die Einschätzung amnestys, Israel erfülle den
Tatbestand der Apartheid, "einseitig, falsch, delegitimierend, dämonisierend
und mit doppelten Standards vorgenommen" worden sei: "Die
Terrororganisationen Hamas, Palästinensischer Islamischer Dschihad und PFLP
begrüßten hingegen den Bericht, was für eine Menschenrechtsorganisation wohl
ein Beleg für ihr Versagen sein muss."

Auch nicht wirklich überzeugend als Argumentation. Wenn amnesty
beispielsweise die Türkei kritisiert und die PKK das für gut befindet, sagen
die hiesigen AKP-Ableger sicher auch, daß amnesty "versagt" habe. Und wenn
amnesty Syrien anklagt, wird sicher die ÖIG nichts dagegen haben. Der
Applaus von der falschen Seite alleine beweist aber kein Unrecht.

Dann der übliche Hammer: "Der Bericht hat offensichtlich die Intention, den
Staat Israel schon seit seiner, von den Vereinten Nationen beschlossenen,
Gründung 1948 als sträflich und illegitim zu etikettieren und damit sein
Existenzrecht zur leugnen."

Und jetzt wirds schräg: "Nicht anders können wir zum Beispiel die völlig
unreflektierte Gleichsetzung der legalen Situation der Bevölkerung des
Staates Israels mit der in der Westbank und im Gazastreifen verstehen." Äh?
Weil die Palästinensergebiete ein souveräner Staat sind und mit Israel
nichts zu tun haben, genausowenig wie die israelischen Siedler in diesen
Gebieten? Und wie ist das jetzt genau mit dem Jerusalem-Statut?

Darauf aufbauend wird dann geschildert, wie demokratisch und multikulturell
eben dieses Israel sei, was sicher eine gewisse Berechtigung hat, wenn man
eben nur jenes Territorium betrachtet, das 1948 als Israel begründet worden
ist. Nur ist das eben nicht das Gebiet, dessen Grenzen Israel kontrolliert.

Und dann gibts in dem Brief zum Drüberstreuen noch ein bisserl Pinkwashing:
"Der aktuelle Gesundheitsminister ist etwa aus der LGBTQ-Community." Ein
unwiderlegbarer Beweis, daß Israel kein Apartheid-Staat sein könne!


Lieber Herr Florianschütz, Sie haben wohl noch nie versucht, das
amnesty-Headquarter in London für einen Gewissensgefangenen oder eine
unterdrückte Minderheit zu mobilisieren. Wäre dem so, wüßten Sie, daß die
dort fürchterlich anstrengend sind. Während viele andere
Menschenrechtsorganisationen schon auf Hörensagen reagieren, weil ihnen ein
bestimmter Fall politisch in den Kram paßt, braucht amnesty -zig Belege für
eine Menschenrechtsverletzung. Bei einem Fall eines einzelnen
Gewissensgefangenen ist es schon schwierig, Unterstützung von ai zu
bekommen, bei Länderberichten wird ein Aufwand betrieben, der jede noch so
seriöse journalistische Berichterstattung in den Schatten stellt. Dazu kommt
auch noch eine gewisse diplomatische Vorsicht der NGO, um nur ja nicht der
Einseitigkeit geziehen werden zu können. Genau deswegen ist aber ai so
glaubwürdig: Was die an Ungeheuerlichkeiten aus der Welt berichten, hat
üblicherweise Hand und Fuß und ist meistens nur jenes Minimum, das sich
beweisen läßt. Natürlich gab es in den 60 Jahren seit Bestehen der
Organisation auch manchmal wirkliche Fehler, aber die waren selten. Wenn ai
aber sich soweit rauswagt, Israel als Apartheid-Staat nach den
hochoffiziellen Definitionen des Völkerstrafrechts einzuschätzen, dann ist
das wohl kaum Jux und Tollerei.

Das kann man nicht wegwischen mit dem Argument, daß der Gesundheitsminister
schwul ist. Wobei dieser übrigens auch kein idealer Kronzeuge für die
Verdammung von amnesty ist. Denn Nitzan Horowitz ist auch Vorsitzender der
linken, wenn auch zionistischen Partei Meretz, die die israelische
Araberpolitik immer kritisiert hat. Horowitz persönlich meinte 2019 sogar,
daß die Gefahr bestünde, daß sich Israel "in eine Art von Apartheid-Staat"
wandeln könnte.


Und was sagt eigentlich der amnesty-Zweig in Israel dazu? Natürlich das
Gleiche wie das Headquarter in London, denn ohne Zustimmung dieser lokalen
Organisation hätten die Londoner wohl nie diesen Bericht verfaßt. Allerdings
hat amnesty Israel eine Einschränkung zu machen -- und zwar nicht aus
inhaltlichen, sondern aus rechtlichen Gründen. Auf deren Homepage steht zu
lesen: "Aufgrund der Beschränkung des 'Boykottgesetzes' wird die israelische
Niederlassung daran gehindert, sich auf die im Bericht ausgesprochenen
Empfehlungen zu beziehen." Klingt kryptisch, bezieht sich aber
offensichtlich auf die letzte Forderung des inkriminierten ai-Berichts
"Israel's apartheid against Palestinians: a cruel system of domination and a
crime against humanity", in der andere Staaten dazu aufgerufen werden, einen
"Boykott von Produkten aus israelischen Siedlungen" zu beschliessen und
durchzusetzen. Das konnte der israelische Zweig natürlich nicht offiziell
unterstützen, denn so ein Boykottaufruf ist nach einem Gesetz von 2011
strafrechtlich verfolgbar. Was halt auch etwas über den demokratischen
Rechtsstaat Israel aussagt.


Ja, Herr Florianschütz, das haben Sie alles nicht gewußt, oder? Sicher
nicht, denn sonst hätten sie nicht so einen Brief geschrieben. Zumindest
steht das zu hoffen!

Lieber Herr Florianschütz -- und alle anderen, die so argumentieren --,
seien Sie kein Palmström! Denn in unserer leider nicht perfekten Welt kann
mitunter auch etwas sein, was eigentlich so gar nicht sein darf.

*Bernhard Redl*

***

Der IÖG-Brief http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220210_OTS0110
Der ai-Bericht:
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2022/02/israels-apartheid-against-palestinians-a-cruel-system-of-domination-and-a-crime-against-humanity/
ai Israel: https://www.amnesty.org.il/


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
vox: 0665 65 20 70 92
https://akinmagazin.at/ oder https://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW