**********************************************************
  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 17. Februar 2022; 04:03
  **********************************************************
  
  Nachruf:
  
  > Herbert Thalhammer 1955-2022
  > Ein Leben für das Gemeinwesen
  
  Am Sonntag, den 6. Februar verstarb der ehemalige Vorarlberger
  Landtagsabgeordete der Alternativen Liste (AL) Herbert Thalhammer.
  
  In den 1980er-Jahren war Herbert Thalhammer eine historische Persönlichkeit,
  die in Vorarlberg nachhaltige Spuren hinterlassen hat und auch wenn es
  später vielleicht in der Öffentlichkeit stiller um ihn geworden ist, ist er
  ein politischer Mensch geblieben.
  
  Herbert Thalhammer war nicht nur Lehrergewerkschafter und Mitbegründer der
  grünen Gemeindeliste "Feldkirch blüht", sondern auch Landtagsabgeordneter
  jenes Listenverbundes aus den bürgerlich bis rechtslastigen "Vereinten
  Grünen Österreichs" und der politisch sehr heterogenen "Alternativen Liste"
  (AL), die in Vorarlberg erstmals in Österreich überhaupt den Einzug in einen
  Landtag schafften und damit am Beginn der späteren Grünen stehen sollte.
  Dabei war er zwar einer der Gründer und aktivsten Köpfe der Alternativen
  Liste aber nicht einer der allerersten Abgeordneten, die 1984 in den
  Vorarlberger Landtag einzogen. Herbert Thalhammer rückte erst im Oktober
  1987 für Sigi Peter, nach dessen Mandatsverzicht in den Landtag nach. Damals
  herrschte in der Alternative Liste ja noch das Rotationsprinzip und die Idee
  einer basisdemokratischen Partei. Nur hatte die AL bereits damals bundesweit
  an Bedeutung verloren. Jene Grünen, die 1986 den Einzug in den Nationalrat
  geschafft hatten, hatten nur noch Teile der alten AL an Bord und auch die
  vier Landtagsabgeordneten in Vorarlberg hatten sich bald überworfen. Zwei
  der vier Abgeordneten gehörten ohnehin den konservativ bis rechtsökologisch
  ausgerichteten Vereinten Grünen an, die bei den folgenden Landtagswahlen
  1989 knapp an der 5%-Hürde scheitern sollten. Aber auch innerhalb der beiden
  Abgeordneten der Alternativen Liste gab es Reibungen. Während sich der
  ebenfalls aus der AL stammende, aber in vielerlei Hinsicht wertkonservative
  Kaspanaze Simma auf Umweltschutz und Landwirtschaft konzentrierte und 1989
  dann auch mit den VGÖ gemeinsam kandidierte, stellte Herbert Thalhammer von
  1987 bis 1989 im Vorarlberger Landtag so etwas wie einen links-alternativer
  Einzelkämpfer dar.
  
  In den späten 1980er-Jahren war er damit im konservativen Vorarlberg eine
  wirkliche Ausnahmeerscheinung. Wie kein zweiter im damaligen Landtag trug er
  damit zu einer Modernisierung und Pluralisierung des politischen Diskurses
  bei. Dabei deckte er als Einzelkämpfer eine unglaubliche Bandbreite an
  Themen ab. In den Landtagsprotokollen finden sich selbstständige Anträge zur
  Herausgabe des Armutsberichtes ebenso, wie ein Antrag für die Errichtung
  eines Denkmals für den antifaschistischen Widerstand in Vorarlberg, für
  Grünzonenpläne durch eine Umwidmungssperre, ein Mindestlohngesetz, zum
  Verkehrskonzept und zur Reduzierung des motorisierten Verkehrs, zum
  "Wahlrecht für Arbeitseinwanderer", zum Ausbau von Radwegen oder zum
  Luftreinhaltegesetz.
  
  Wirklich neu an seiner Politik war, dass er diese für und mit allen im
  Ländle lebenden Menschen machen wollte und nicht nur für die
  StaatsbürgerInnen. Er knüpfte jene Kontakte zu MigrantInnen und ExilantInnen
  aus der Türkei, die später dazu führten, dass mit Ali Gedik der erste
  türkeistämmige Kurde überhaupt jemals - wenn auch aufgrund der folgenden
  Medienkampagne nur kurzfristig - auf einer Kandidatenliste auftauchte.
  
  Die damaligen Aktivisten aus der Türkei können sich bis heute an seinen
  solidarischen Umgang mit ihnen auf Augenhöhe erinnern. Im September 1988
  forderte er als erster Landtagsabgeordneter gemeinsam mit dem damaligen
  KPÖ-Chef Brandner und dem linken türkisch-kurdischen "Werktätigenbund" in
  einer Kampagne das "Wahlrecht für Gastarbeiter". Unterstützung kam auch für
  deren Kampf gegen türkische Rechtsextreme und die Politik des türkischen
  Generalkonsulats. Dieses hatte nach dem Militärputsch in der Türkei 1980
  weiterhin die Rolle übernommen auch kurdische und linke AktivistInnen mit
  Türkei-Bezug in Vorarlberg auszuspionieren.
  
  Auffällig war dabei, dass in mehreren Fällen auch österreichische Behörden
  fast wortident mit dem türkischen Konsulat linke AktivistInnen befragten,
  was bei den AktivistInnen den Verdacht nahelegte, dass es eine direkte
  Zusammenarbeit der Vorarlberger Behörden mit dem türkischen Generalkonsulat
  gegen türkeistämmige Oppositionelle in Vorarlberg gäbe. Zudem war es
  zeitgleich zu einer Reihe von Kündigungen politisch aktiver Kurden und
  linker Türken durch namhafte Vorarlberger Betriebe wie Blum, Rhomberg oder
  Zumtobel gekommen. Es war Herbert Thalhammer, der gemeinsam mit den
  betroffenen kurdischen und türkischen AktivistInnen die Vorfälle sammelte
  und diese im Gösserbräu in Bregenz der Öffentlichkeit vorstellte. Aus Angst
  vor Repressalien traten einige der Referenten damals sogar vermummt auf.
  Herbert Thalhammer verstand es als Abgeordneter sein Mandat zu nutzen hier
  auch jenen eine Öffentlichkeit zu verschaffen, die zuvor keine hatten.
  
  1989 schied er wieder aus dem Landtag aus, unterstütze mit seiner
  politischen Erfahrung aber weiterhin nicht nur migrantische Initiativen,
  sondern auch uns damalige Jugendliche beim Aufbau unabhängiger linker
  Jugendgruppen. Sowohl unsere öko-anarchistische "Jugendinitiative Pangea"
  als auch die 1993 gegründete Grünalternative Jugend, die erste
  Jugendorganisation der Grünen, hatten in ihm einen älteren Freund, der uns
  Jugendliche aber immer auf Augenhöhe begegnete und ernst nahm.
  
  1991 brach er zu einer langen Reise nach Indien auf, der der er stark
  spirituell beeinflusst zurückkehrte. Wie die Beatles vor ihm, war er dort in
  den Bannkreis der Transzendentalen Meditation geraten und träumte seither
  davon, den Weltfrieden weniger durch politische Kämpfe, als durch Yoga und
  Meditation zu erreichen. Politisch schlug sich diese Hinwendung zur
  Spiritualität in der Mitbegründung einer weiteren Partei, der
  "Naturgesetzpartei" und einer erfolglosen Kandidatur unter dem Namen "Lüt
  für Feldkirch - Naturgesetzpartei" bei den Feldkircher Gemeinderatswahlen
  2000 nieder.
  
  Wenn es um seine Herzensanliegen ging, war er aber auch jetzt immer auf der
  Suche nach Verbündeten ohne diese zu vereinnahmen. Bereits von Wien aus
  konnte ich immer wieder beobachten, wie Herbert Thalhammer gemeinsam mit den
  nächsten Generationen der Grünalternativen Jugend für den Erhalt des
  Reichenfeldes als Naherholungsraum oder sich gegen sinnlose
  Straßenbauprojekte engagierte.
  
  Auch bei seiner beruflichen Rückkehr in den Lehrerberuf blieb er politisch.
  Ich konnte es noch bei unserer Nichte und unserem Neffen, Natalie und Alex
  erleben, die eben erst aus Mexiko gekomen waren, wie er sich um Kinder
  kümmerte, die sich noch etwas schwer mit der Deutschen Sprache taten. Viele
  Kinder und Jugendliche haben seinem persönlichen Einsatz ihren Schulerfolg,
  allerdings auch ihr Interesse für Politik und Gesellschaft zu verdanken.
  
  Sein Einsatz für Chancengleichheit setzte sich hier und in seinem Engagement
  für Flüchtlinge auf einer ganz praktischen Ebene fort. Im Oktober 2020
  schaffte er es noch zwischen den Corona-Lockdowns eine
  Diskussionsveranstaltung für seine SchülerInnen der dritten Klassen in der
  Mittelschule in Bludenz zu organisieren, bei der PolitikerInnen den
  Jugendlichen Rede und Antwort stehen mussten.
  
  Vorarlberg verliert mit Herbert Thalhammer nicht nur einen Pionier der
  Grünbewegung, sondern auch einen solidarischen Zeitgenossen, der auf seinem
  Lebensweg sehr unterschiedliche Menschen, und unsere Landespolitik, geprägt
  hatte. Sein Einsatz für Natur- und Umweltschutz, für Frieden, ein
  solidarisches Miteinander und ein weltoffenes Vorarlberg, sollen uns
  Hinterbliebenen Auftrag für die Zukunft bleiben.
  
  *Thomas Schmidinger*
  
  
  ***************************************************
  Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
  Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
  wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
  von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
  Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
  Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
  anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
  Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
  den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.
  
  
  *************************************************
  'akin - aktuelle informationen'
  postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
  redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
  vox: 0665 65 20 70 92
  https://akinmagazin.at/ oder https://akin.mediaweb.at
  blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
  facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
  mail: akin.redaktion@gmx.at
  bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
  bank austria, zweck: akin
  IBAN AT041200022310297600
  BIC: BKAUATWW