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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 2. Februar 2022; 23:10
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Glosse:

> Erinnerungen an die Matura

Die neue Staatssekretärin Claudia Plakolm meint, die mündliche Matura wäre
so wichtig, weil da die jungen Leute noch einmal beweisen können, was sie
gelernt haben. Der Philosophieprofessor K.P. Liessman stößt in einem
Kommentar in der "Kleinen Zeitung" ins selbe Horn -- implizit verbunden mit
dem wohl nie aussterbenden 'Diese heutige Jugend!': "Was bedeutet es, wenn
die zukünftige Elite des Landes jeder Schwierigkeit aus dem Weg gehen möchte
und gar nicht auf die Idee kommt, selbstbewußt und stolz zu verkünden, dass
man bereit und fähig sei, eine mündliche Matura abzulegen, auch und gerade
in herausfordernden Zeiten?"

Liessmann schreibt aber auch, daß es wahrscheinlich ehrlicher wäre, "auf die
Matura überhaupt zu verzichten. Das Ende der Schullaufbahn könnte
unspektakulär durch das Zeugnis der Abschlussklasse bescheinigt werden".

Bei dem zweiten Zitat kann ich ihm nur Recht geben. Denn die Matura ist eine
völlig unnötige Quälerei, es ist lediglich die Nachbildung eines Rigorosums
auf vorakademischer Ebene, quasi eine strenge Feierstunde, ein
Initiationsritus. Vor allem als solcher wurde sie ja auch bis vor Kurzem
zelebriert. Denn eines ist schon klar: Matura macht man in einem Alter, wo
man wirklich schon genug von der Schule hat. Man ist kein Kind mehr und will
auch nicht mehr wie eines behandelt werden, sondern hinaus ins echte Leben
als Erwachsener. Bei den AHS ist das zu bemerken, aber bei den fünfklassigen
BHS erst recht. In den höchsten Klassen ist die Dropout-Rate enorm und wäre
wohl noch höher, wenn diese Absetzbewegung nicht von vielen Lehrern erkannt
würde, die versuchen, ihre Klassen noch bis zum Schluß beieinander halten.

Ich erinnere mich an meine Matura. Das war 1987 in der HtL für chemische
Industrie Rosensteingasse. In der fünften Klasse wurde bereits sehr
großzügig toleriert, wenn man mal nicht anwesend war, legte lediglich darauf
Bedacht, daß nicht immer das Gleiche auf den "Entschuldigungszetterln"
steht, die wir als Volljährige ja schon selber unterschrieben. So war dann
auch die mündliche Matura -- geschoben bis zum Gehtnichtmehr. Unser Vorteil
war aber auch, daß der anwesende Direktor einer anderen Schule als
Kommissionsvorsitzender sowieso nichts kontrollieren konnte -- er war
Germanist und hatte von naturwissenschaftlichen Fächern genau keine Ahnung.
Aber auch sonst wäre es wohl nicht anders verlaufen, denn auch er wußte, daß
die mündliche Matura eine Feierstunde zu sein hat, wo die Schüler im Anzug
und die Schülerinnen im Kostüm antanzen: Die Fragen sind großteils vorab
bekannt und wenn der Prüfling trotzdem danebenhaut, naja, "dann laß ich mir
was einfallen", wie mein Prof für Anorganische Chemie das im Vorgespräch zur
Matura dezent andeutete.

Ich weiß nicht, wie das heute in der Rosensteingasse ist, vielleicht immer
noch so, weil halt eine Bundesschule mit eigenem Lehrplan, aber in der AHS
gibt es jetzt die Zentralmatura. Plötzlich wurde zumindest der schriftliche
Teil -- bei dem ja bis dahin auch getrickselt Ende nie wurde -- zentral
kontrolliert. Das soll jetzt eine ernsthafte Überprüfung des Gelernten sein.
Wer, bitte, braucht das? Da hat man sich vier oder fünf Jahre durchgequält,
alle Prüfungen zumindest soweit bestanden, daß das "Klassenziel" erreicht
worden ist und soll dann, wenn es einem schon so dermassen reicht, den
ganzen Quargel noch einmal herunterbeten? Weil um etwas Anderes geht es in
unseren Schulen ja nicht -- und nicht nur in unseren Schulen, also in den
heutigen hierzulande, denn schließlich wußte schon Seneca, daß man nicht für
das Leben, sondern für die Schule lernt.

Also bitte: Wenn wir schon nicht bereit sind, unsere Oberstufen so zu
gestalten, daß am Ende gut informierte und selbstbewußte junge Erwachsene
herauskommen, sondern weiterhin gut dressierte Spießbürger mit dem Ziel,
sich auf den schon vielzuviel verschulten Unis zu Fachidioten ausbilden zu
lassen, dann sollte man wenigstens auf dieses Relikt Matura verzichten. Oder
wenigstens sie wieder zu einem lässigen Showevent zurückstufen. Vielleicht
mit einer Eins im Fach "Politische Bildung" versüßt, wenn die angehenden
Prüflinge auf die Straßen gehen, um gegen den Klimawandel,
Straßenbauprojekte oder die Matura selbst zu demonstrieren.

*Bernhard Redl*



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