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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 20. Januar 2022; 06:20
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Kasachstan:

> Vom "sanften Machttransfer" zu Aufstand und Intervention

Kasachstan, das zweitgrößte postsowjetische Land, die stärkste
Wirtschaftsmacht in Zentralasien, ist zu Jahresbeginn in die Schlagzeilen
der Medien weltweit geraten. Auf die Erhöhung der bisher subventionierten
Flüssiggaspreise zum Jahreswechsel reagierten prekäre Teile der Bevölkerung
zunächst mit Protesten, die in Straßenblockaden und Streiks übergingen. In
einigen Regionen wurden Rohstoffförderung und Metallverarbeitungsindustrie
bestreikt, von den Arbeitsniederlegungen waren auch Teile des
Transportwesens gelähmt. 12 Städte des Landes wurden gleichzeitig von
Protesten ergriffen.

Von *Alexander Amethystow*


Nachdem der Präsident Qassym-Schomart Toqajew (Tokajew) bereits nach vier
Tagen die Preiserhöhung in den von den Protesten betroffenen Region
zurückgenommen hatte und am nächsten Tag die Regierung samt Premierminister
Asqar Mamin zurücktreten musste, hatte sich die Lage nicht beruhigt. Im
Gegenteil, es begannen Überfälle auf Polizei- und Geheimdienstgebäude,
Entwaffnungen von Vertreter*innen der Staatsgewalt und Plünderungen. Auch
die landesweite Blockade von Internet und teilweise Mobilfunk brachte keine
Eindämmung der Proteste. In der ehemaligen Hauptstadt Almaty wurden
administrative Gebäude, Büros der Regierungspartei "Nur Otan" und
Redaktionen der Staatsmedien gestürmt und teilweise angezündet. Zeitweilig
besetzen die Protestiereden den Flughafen. Kolonnen mit Militärtechnik
wurden von Demonstrant*innen gestoppt und zum Umkehren gebracht. Der
Protest, ohne gemeinsamen Forderungskatalog, namentlich bekannte
Anführer*innen oder nennenswerte beteiligte politische Organisationen,
schien den kasachischen Staat an den Rand des Kontrollverlusts zu treiben.

Der in allen bisherigen Krisensituationen übliche Appell an die Autorität
des ersten Präsidenten Nursultan Nasarbajew, der erst als Parteichef in der
Sowjetrepublik fungierte und später zum Staatsgründer des unabhängigen
Kasachstans wurde und das Land bis 2019 regierte, führte diesmal nicht zum
von der Staatsspitze gewünschten Ergebnis. Die Protestierenden zerstörten
die Denkmäler für "Elbasy" ("Führer der Nation"), so der Titel des noch
lebenden Nasarbajew und skandierten "der Alte soll weg". Ohne zu warten, ob
der von selbst diesen Forderungen nachgeht, entband Präsident Tokajew seinen
Amtsvorgänger von seinem vorletzten offiziellen Posten: Chef des
Sicherheitsrates. Diesen bekleidete Nasarbajew laut Verfassung eigentlich
auf Lebenszeit. Den Posten übernimmt Tokajew nun selbst. Seitdem ist der
Aufenthaltsort des "Führers der Nation" - immerhin ein in der Verfassung
verankerter offizieller Titel Nasarbajews - unbekannt.

Ein härteres Durchgreifen funktionierte mit dem scheinbar teilweise
demoralisierten und sich in der Auflösung befindenden Gewaltapparat mäßig,
die Sicherheitskräfte hatten tödliche Verluste zu beklagen. Die Bevölkerung
begann sich währenddessen zu spalten - und zwar nicht in Anhänger*innen und
Gegner*innen der Regierung. Viel mehr in diejenigen, die die Abwesenheit von
Polizei und zurückgelassene Waffen nutzen, um sich Güter anzueignen und
diejenigen, die Bürgerwehren gründeten, um ihr Eigentum und das der Nachbarn
zu verteidigen. Der Konflikt zwischen der (häufig russischsprachigen)
Stadtbevölkerung ("Schala-Kasachen") und kasachischsprachigen jungen Männern
vom Land ("Mambets") spitzte sich zu. Während im Industriegebiet im Westen,
wo die Proteste begannen, Plünderungen ausblieben, dominierten sie in Almaty
bald das Straßenbild.

Der Präsident demonstrierte zuerst Verständnis für die Sorgen des Volkes,
sprach dann aber eine verklausulierte Drohung aus, indem er die Jugend
ermahnte, an ihre Zukunft zu denken. Schließlich erklärte er die Proteste zu
einem Werk von "Verschwörern" und "im Ausland ausgebildeten Terroristen". Am
07. Januar 2022 erteilte er einen Schießbefehl. Seitdem sind nicht weniger
als 225 Tote (darunter 19 auf der Seite der Sicherheitskräfte) und knapp
10.000 Festnahmen gemeldet worden. Schließlich richtete er ein Hilfegesuch
an die Bündnispartner von der "Organisation des Vertrags über kollektive
Sicherheit" (OVKS), die umgehend Truppen in das Land schickten. Innerhalb
von Tagen war der Aufstand niedergeschlagen.

Kasachstan aus der Sicht des Westens - Eine Diktatur wie Russland, aber
nützlich!

In der Berichterstattung der westlichen Medien genoss Kasachstan bisher den
Ruf des "Klassenbesten" unter den postsowjetischen Staaten Zentralasiens.
Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan sind auf Geldüberweisungen ihrer
Bürger*innen aus dem Ausland angewiesen, wo diese sich als billige
Arbeitskräfte verdingen. Turkmenistan hindert umgekehrt Bürger*innen an der
Ausreise, um sie in der Rohstoffförderung zu beschäftigen. Im Gegensatz dazu
ermöglicht es Kasachstan der Export von Erdöl, Gas, Uran, Kupfer und
weiteren Rohstoffe seinen Bewohner*innen bisher einen wesentlich höheren
Lebensstandard zu bieten. Das Land zieht Arbeitsmigrant*innen aus dem
benachbarten Kirgistan und Usbekistan an, die in der Landwirtschaft oder als
Haushaltshilfen beschäftigt werden.

Dass das politische Regime Kasachstans seit der Unabhängigkeit 1991 einen
härteren Autoritarismus als Putins Russland darstellt, entgeht eigentlich
keiner Beobachter*in. Der Personenkult um den Staatschef mag weniger
ausgeprägt sein als in Turkmenistan, die Repressionen weniger blutig als die
des aus dem Bürgerkrieg entstandenen Regimes in Tadschikistan, von einer
Konkurrenz der politischen Kräfte um die Macht qua Wahlen kann jedoch nicht
die Rede sein. Die "Stabilität" in Kasachstan wird lobend erwähnt, weil im
Gegensatz zu Russland oder Belarus im Land ein "gutes Investitionsklima"
herrscht. Der kasachische Staat hindert ausländische Kapitalist*innen nicht
an Geschäften mit den eigenen Rohstoffen, sondern lockt sie ins Land. Die
Aktien der Tochtergesellschaften der kasachischen Unternehmen sind
größtenteils in den Händen ausländischer Konzerne.

Zu den Faktoren, die dem ausländischen Kapital die Geschäfte mit den
kasachischen Rohstoffen angenehm gestalten, gehört die drakonische
Unterdrückung jeglicher Arbeitskämpfe, vor allem in der Rohstoffförderung.
Kasachstan ist bisher der einzige Nachfolgestaat der Sowjetunion, in dem
gegen Streiks mit scharfem Schusswaffeneinsatz vorgegangen wurde. In der
Industriestadt Schangaösen, in der die aktuellen Proteste begannen, kam es
bereits im Dezember 2011 zu Streiks und Unruhen, bei deren Niederschlagung
die Sicherheitskräfte scharf geschossen hatten. 16 Menschen starben und
Hunderte wurden verletzt. In den darauffolgenden Jahren wurden in der Region
dutzende Aktivist*innen, Zeug*innen und deren Familienangehörige entführt,
getötet, vergewaltigt, verstümmelt und eingesperrt. 2017 wurde die
"Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften" per Gerichtsbeschluss
aufgelöst. Die Gründung von unabhängigen Gewerkschaften ist seitdem de facto
verboten. Es existieren mancheorts jedoch weiterhin informelle
Arbeiter*Innen-Komitees. Gewerkschaftsaktivist*innen werden systematisch
bedroht, entführt und wegen krimineller Delikte verurteilt.

All das erregte bei weitem weniger internationale Aufregung, als es
Repression gegen Menschenrechtler*innen, Unternehmer*innen und
Journalist*innen in Russland oder Belarus tut. Kasachstan ist ein wichtiger
Handelspartner der EU, seit 2014 läuft ein erweitertes Partnerschafts- und
Kooperationsabkommen. Auf seinen Status als Atommacht verzichtete die
Republik nach der Unabhängigkeit 1991 zugunsten einer politischen und
ökonomischen Partnerschaft mit den führenden kapitalistischen Staaten, die
Kasachstan auf die Dienste an ihrem Ölbedarf reduzierten. Kasachstan
unterstützte den "War on Terror" mittels der Entsendung von Militärs nach
Irak, später machte Nasarbajew deutlich, dass seine militärische
Partnerschaft mit Russland nicht die Unterstützung von Putins
Ukraine-Politik bedeute.

In Russland galt Nasarbajews Regime als eigenwilliger, jedoch insgesamt
stabiler Verbündeter. Kasachstan ist eine der tragenden Säulen der
Eurasischen Zollunion und sein ehemaliger Präsident galt als Gegner des
antirussischen Nationalismus. Zwar wurden unter ihm alle wichtigsten Posten
von Kasachen besetzt, doch der multiethnische Charakter des neuen Staates,
indem Kasachen vor 1991 lediglich eine Minderheit waren, stellte er nicht in
Frage.

In liberal-oppositionellen Kreisen wurden vor allem die Erfolge der
Wirtschaftsreformen des Regimes, dessen Korruption von niemand ernsthaft in
Frage gestellt wurde, sowie die "Weltoffenheit", sprich Öffnung der Märkte,
gefeiert. Im Gegensatz zu Russland und Belarus meidet die Staatspropaganda
in Kasachstan antiwestliche Rhetorik. So wurde Kasachstan als effizienteres
Modell des Autoritarismus mit Aussicht auf sanfte Reformierung gesehen und
Nasarbajew als der weitsichtigste Autokrat unter seinen postsowjetischen
Amtskollegen.

Soziale Revolte und politische Krise

Die Verdopplung der Flüssiggaspreise zu Jahresbeginn traf vor allem
diejenigen, die nicht in der Rohstoffbranche beschäftigt sind. Wer mit einem
auf Kredit gekauften Fahrzeug Lebensmittel transportierte und damit seine
Hypothekschulden für die Wohnung abbezahlte, verlor durch den Wegfall der
staatlichen Subventionen seine Existenzgrundlage. Die Proteste im
Industriegebiet am Kaspischen Meer beinhalteten anfänglich vor allem soziale
Forderungen an den Staat: eine Senkung des Rentenalters, die Erhöhung des
Kindergeldes und der Invalidenrente, die Senkung der Lebensmittelpreise
sowie die Senkung der Prozente bei Wohnungshypotheken. Später kamen hierzu,
vor allem in anderen Regionen, politische Forderungen nach der Rückkehr zu
der "alten Verfassung von 1993", dem Rückzug von Nasarbajew aus der Politik
und dem Sturz des über Jahrzehnte aufgebauten Machtgefüges seiner Familie.
Während der Staat zunehmend die Kontrolle verlor, richteten sich die
Protestierenden mit ihren Forderungen weiter an ihn. Zugleich trafen immer
mehr junge Männer aus ländlichen Gebieten in den Städten ein, denen heute
die Verantwortung für die gewaltsame Eskalation und Plünderungen
zugeschrieben wird. Die Proteste hatten von Anfang an keine koordinierten
Strukturen, einige Teilnehmer*innen distanzierten sich von den Plünderungen
oder sahen in ihnen Provokationen. Es kam zu Zusammenstößen zwischen den
Demonstrant*innen und "zugezogenen" Plünderern. Gerüchte darüber, dass die
Polizeikräfte absichtlich abgezogen wurden und ihre Waffen abgaben, machten
die Runde.

Der Prozess des "sanften Machttransfers", den Nasarbajew 2019 mit seinem
Rücktritt vom Präsidentenamt einleitete, scheint aus dem Ruder gelaufen zu
sein. Damals war die Aufgabe seines Postens mit der Garantie der Sicherheit
von Strafverfolgung für ihn und seinen geschäftstüchtigen
Familienangehörigen verbunden. Eigentlich wurden von der Regierung unter dem
Technokraten Tokajew wirtschaftliche Liberalisierung (Streichung der
Subventionen) und politische Liberalisierung (die bis dahin benannte Chefs
der Lokalverwaltung werden nun gewählt) erwartet. Bei den Wahlen sollte es
in Zukunft Frauen-, Behinderten- und Jugendquoten geben. Die Märkte sollten
weiter dereguliert werden.

Nach dem Ausbruch der Proteste kündigte Tokajew an, die Preise für die
wichtigsten Lebensmittel einzufrieren. Er drohte zugleich mit Hinrichtungen
und Ausbürgerungen von Teilnehmer*innen der Aufstände. In der
Krisensituation griff Tokajew zu bewährten paternalistischen Mitteln. Hatte
er sich früher als aufmerksamer Schüler seines Mentors Nasarbajew
präsentiert und vor jeder Entscheidung stets auf den Ratschlag des
"Anführers der Nation" verwiesen, spielte er jetzt selbst die Rolle des
strengen, aber verständnisvollen "Vaters des Volkes". Das Gehalt der
Beamt*innen ist für Jahre eingefroren worden, die Unternehmer*innen wurden
aufgerufen, sich "sozial verantwortlich" gegenüber den Sorgen der "einfachen
Leute" zu zeigen. Die reichsten Unternehmer*Innen müssen Zahlungen in die
staatliche Stiftung zur Milderung der sozialen Not tätigen.

Als Hauptverantwortlichen der Lage wurde der engste Nasarbajew-Vertraute und
ehemalige Geheimdienstchef Karim Massimow samt einigen ehemaligen
Stellvertretern verhaftet - ihm wird gezielter Abzug der Sicherheitskräfte
während der Plünderungen und sogar die Mitorganisation der Ausschreitungen
vorgeworfen. Bald darauf verlor das Unternehmen von Nasarbajews Tochter
Darigha einen lukrativen Staatsauftrag, das ihr faktisch ein Monopol bei der
für die Bürger verpflichtenden Verschrottung alter Fahrzeuge gesichert
hatte. Zwei Schwiegersöhne des alten Präsidenten müssten ihre Führungsposten
räumen. Dass die Proteste eine vorläufige Schwächung des Nasarbajew-Clans
zur Folge hatten, führt bei den ausländischen Expert*innen zu Spekulationen,
die Proteste seien von oben initiiert worden. Weil eine "Palastrevolte" an
deren Ende stehen könnte, müsse diese auch ihr Zweck gewesen sein, so die
Interpretation. Doch allein der Blick darauf, wie sich Zugeständnisse und
Drohungen in den Reden Tokajews abwechselten, verrät, dass die Ängste der
Machthaber*innen vor der Situation durchaus real waren.

Intervention der OVKS - kurz, aber bedeutend

Für die ursprünglichen Forderungen nach den Preissenkungen zeigte Tokajew
Verständnis, weitere Eskalation erklärte er jedoch zum Werk von
"Terroristen" und "Verschwörern", hinter der nicht näher benannte
ausländische Mächte stehen würden. Näher benannt wurden dagegen die
ausländischen Mächte, die er zur Hilfe rief: die Bündnispartner Kasachstans
von der OVKS. Die Freunde aus Russland, Belarus, Kirgistan, Tadschikistan
und Armenien erklären sich rasch bereit, zu helfen. Dies ist der erste
Kampfeinsatz seit der Gründung des Bündnisses 1992. Damit bekommt der
Aufstand den Status einer äußeren Aggression. Die Entscheidung, Tokajews
Gesuch einer Intervention zu folgen, durfte ausgerechnet der armenische
Regierungschef Nikol Paschinjan verkünden, der 2017 in der Folge von
Massenprotesten die Macht übernahm und seitdem aus Moskau als "unsicherer
Kantonist" misstrauisch beäugt wurde. Auch die Interventionsmacht Kirgistan
hat mit Sadyr Dschaparow einen Präsidenten, der nach Massenprotesten gegen
seinen Vorgänger an die Macht gekommen war. Dass der gemeinsame Einsatz
zustande kam, sendet ein klares Signal - das Bündnis ist trotz allen
Differenzen konsolidiert und aktionsfähig. Dass ein Bündnisfall laut den
Statuten einen Angriff von außen voraussetzt, fällt nicht ins Gewicht.
Tokajew sprach erst vom "terroristischen Angriff", dann, nach der
Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols, von einem
"Umsturzversuch".

Die für die Gewaltanwendung zuständigen staatlichen Organe scheinen heute
wieder zu funktionieren und können weiter Repression auch ohne die
Unterstützung der Bündnispartner erledigen. Diese haben inzwischen mit dem
Abzug begonnen. Tokajew scheint seine Kontrolle über Kasachstan gefestigt zu
haben und seine Verbündeten brauchen wegen ihres Einsatzes keine Sanktionen
aus dem Westen zu befürchten. Darüber, dass es beim wichtigen
Rohstofflieferanten Kasachstan eine stabile Staatsordnung gibt, scheinen
ansonsten verfeindete Staaten einig zu sein.

Nach Tokajews Sieg: Schock und Enttäuschung

Während sich Expert*innen für die Pseudowissenschaft "Geopolitik" in
belarussischen und russischen Medien in Spekulationen über die möglichen
"Drahtzieher*innen" aus den USA, der EU, der Türkei oder China verlieren und
in Kasachstan fleißig nach den inneren Verbündeten des äußeren Feindes
gesucht wird, haben diejenigen, die in den Aufstand anfänglich viel Hoffnung
gesetzt haben, eine erneute Enttäuschung zu verkraften.

Enttäuschend für die Fans von Nawalny und Belarus-Protesten: statt fairen
Wahlen des Führungspersonals und Forderungen nach den besseren Institutionen
und Marktreformen, standen im Kasachstan erst die staatliche
Preisregulierung, dann die Iphones und Fernsehgeräte auf der Agenda der
Protestierenden.

Linke, die sich weltweit mit den Protesten solidarisierten, haben es nun mit
einem bitteren Nachgeschmack zu tun. Daran ist nicht nur die vorläufige
Niederlage schuld. Die Revolte enttäuschte die an sie herangetragenen
Hoffnungen. Als die Proteste eskalierten standen keine Avantgarde-Partei mit
der richtigen Linie, keine selbstorganisierten anarchistischen Gemüsegärten
auf der Agenda, sondern die direkte und gewaltsame Aneignung von Produkten,
nicht jedoch von Produktionsmitteln. Im Westen des Landes waren die Proteste
tatsächlich eher von der Aufstellung von Forderungen und Schaffung eigener
Ad-hoc-Strukturen geprägt, während in Almaty der Schwerpunkt auf der
Konfrontation mit der Staatsgewalt lag. Eine landesweite Vernetzung kam nie
zustande. Die Sicherheitskräfte leisteten zwar anfänglich auffällig wenig
Gegenwehr, aber von einem Seitenwechsel im Sinne des Widerstands gegen den
OVKS-Einmarsch kann keine Rede sein. Zu dem Zeitpunkt der Intervention waren
viele bereits durch Plünderungen abgeschreckt. Die Aktivitäten der wenigen
organisierten Linken, wie der Mediengruppe "Rote Jurte" oder der
"Sozialistischen Bewegung Kasachstans", die bei den Demonstrationen
auftraten, konnten die Situation nicht nennenswert beeinflussen.

Die insurrektionalistischen Gefährten von kommenden und gehenden Aufständen
müssen sich damit auseinandersetzen, wie die Reaktion auf die Plünderungen
war und was diese für den Verlauf der Ereignisse bedeutete.

Der spontane Aufstand scheint alle überrascht zu haben: die Regierung, die
organisierte Opposition, Russland und den Westen. Er überraschte auch den
Großteil der Bevölkerung, der sich ihm nicht aktiv anschloss. Das Ergebnis
ist jedoch nicht einfach eine Machtverschiebung innerhalb der Staatsführung.
Die Angst vor weiteren Erhebungen schlägt sich sowohl in den Zugeständnissen
als auch in den konspirativen Theorien über "geheime Pläne" nieder, die
jetzt von staatlichen Medien verbreitet werden.

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