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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 16. Dezember 2021; 04:43
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Wien / Recht / Zeitgeschichte:

> Baustellenbesetzungen sind zivilrechtlich klagbar

Mittels Anwaltsschreiben hat die Stadt Wien Gegner der Stadtstraße
aufgefordert, die Demonstrationscamps in der Donaustadt sofort zu räumen.
Ansonsten würden zivilrechtliche Klagen in Millionenhöhe drohen.

Eine solche Vorgangsweise ist nicht neu. Neu ist lediglich, daß jetzt auch
"Sympathisanten" der AktivistInnen mit Klage bedroht werden -- auch manche,
die per Twitter oder Facebook nur mentale Unterstützung gezeigt hatten,
bekamen so einen Brief. In diesen Fällen hätte eine Zivilklage
wahrscheinlich keinen Erfolg. Sicher ist aber nichts und jedes
Zivilverfahren bedeutet für die Beklagten auch ein massiv geldwertes
Prozeßrisiko. Bei denjenigen, die aber konkret auf der Baustelle sitzen oder
saßen und denen man das auch nachweisen kann, ist die Bedrohung allerdings
manifest.

Die briefschreibende Kanzlei des ehemaligen SPÖ-Justizsprechers Hannes
Jarolim führt diesbezüglich zwei höchstgerichtliche Entscheidungen von 2013
und 2019 an. Relevant ist aber vor allem eine deutlich ältere Entscheidung
des OGH im Zusammenhang mit einer Klage gegen BesetzerInnen der Baustelle
des Murkraftwerks Fisching in der Obersteiermark. Die wurden auch
tatsächlich zu Zahlungen verurteilt. Bis auf wenige Ausnahmen beendete
dieses Urteil von 1994 die Praxis der Baustellenbesetzungen. Eine so große
und beharrliche Blockade wie die jetzt der Stadtstraße hatte es jedenfalls
seit 27 Jahren in Österreich nicht mehr gegeben.

Aus diesem Anlaß drucken wir hier einen Artikel aus akin 25/1994 leicht
gekürzt nach:

***

> Teure Barrikaden

[...] Im November 1989 ließ die Steirische Wasserkraft- und Elektrizitäts-AG
(STEWEAG) trotz massiver ökologischer Bedenken einer Bürgerinitiative mit
den Bauarbeiten für das Mur-Kraftwerk Zeltweg-Farrach beginnen. Das später
als Fisching bekannte Projekt wurde jedoch von Öko-Aktivisten 2 Monate lang
blockiert. Nach einer nachträglichen Einholung eines Gutachtens ließ die
STEWEAG die Bauarbeiten vorübergehend einstellen und im Winter 1991/92 mit
überarbeiteten Plänen erneut mit der Errichtung beginnen. Mittlerweile ist
das Kraftwerk fertiggestellt.

28 Aktivisten wurden damals wegen Besitzstörung zu Geldstrafen zwischen 5000
und 10.000 Schilling verurteilt. Doch das war den Errichtern noch nicht
genug. Denn die beauftragte Baufirma Gebrüder Haider verlangte von der
STEWEAG die Bezahlung der entstandenen Stehzeiten und bekam auch das Geld.
Die Elektrizitätsgesellschaft klagte daraufhin namentlich bekannte
Demonstranten auf Ersatz dieser Kosten. Erst- und Berufungsgericht gaben der
STEWEAG recht. Der Oberste Gerichtshof (OGH) schließlich bestätigte nun das
Urteil des Kreisgerichts Leoben endgültig: Die Betroffenen müssen zahlen. So
schlimm das im konkreten Fall für diese ist, als Präzedenzurteil stellt es
einen besonders schweren Schlag gegen die außerparlamentarische Opposition
dar. Doch der Reihe nach:

Am 30.11. waren die ersten Demonstranten auf die Baustelle gekommen. Vier
von ihnen wurde dabei von der Polizei namentlich "erfaßt". Auch am 1.12
waren unter anderem diese vier auf dem Gelände. Gegen sie richtet sich das
jetzt gefällte Urteil. Lediglich für diese beiden Tage wurden sie zu einem
Schadenersatz von öS 85.000 verurteilt. Zusammen mit den Zinsen und den
Verfahrenskosten macht das eine Gesamtschuld der Aktivisten von öS 160.000,-
aus. Die STEWEAG machte sogar einen finanziellen Verlust von öS 675.000
geltend. Da die Blockaden insgesamt zu 2 Monate Stehzeit führten, konnte den
Verurteilten nur ein Teilbetrag berechnet werden. Bei der Summe handelt es
sich allerdings nicht nur um den Schadenersatz für die Stehzeiten der
Baufirma Haider sondern auch "für Regiearbeiten zur Beseitigung von
Absperrungen und für den Abbruch einer von den Demonstranten errichteten
Blockhütte".

Der Einwand der nunmehr Verurteilten, sie hätten an einer nicht untersagten
Versammlung teilgenommen, sei für das schuldhafte Verhalten der
Demonstranten unerheblich, so der OGH. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich
daraus, daß die Beklagten in das "absolut geschützte Eigentumsrecht der
klagenden Partei eingegriffen" hätten. Außerdem schließe das
Versammlungsrecht "nicht das Recht ein, ohne Einwilligung des Eigentümers
fremde, nicht dem Gemeingebrauch gewidmete Liegenschaften zu benützen. Die
fehlende Genehmigung kann daher privatrechtliche Konsequenzen nach sich
ziehen."

Die Menschenrechtskonvention schütze -- so der OGH -- nur "friedliche"
Versammlungen. Eine zum Zweck der Behinderung durchgeführte Versammlung
könne jedoch nicht als "friedlich" verstanden werden.

Weiters führt das Höchstgericht aus: "Die Versammlungsfreiheit ist kein
Rechtfertigungsgrund für Rechtsverletzungen, geschweige denn darf sie mit
einem (übergesetzlichen) Widerstandsrecht verwechselt werden. Das
verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsrecht findet dort seine
Schranken, wo durch die Versammlung in die Privatrechtssphäre Dritter
eingegriffen wird. . Von einer Überordnung des Versammlungsrechtes gegenüber
dem Eigentumsrecht kann somit nicht gesprochen werden." Da die
Vorsätzlichkeit des Handelns nach Ansicht des OGH nachweislich gegeben war,
müsse von einem schuldhaften Verhalten der Beklagten gesprochen werden.

Auch die nachträgliche Rechtfertigung der Blockaden hilft hier also nicht
weiter. Aufgrund der Aktionen vor Ort war ja die STEWEAG bereit gewesen, ein
Gutachten anfertigen zu lassen, in Folge der darin formulierten Kritik die
Arbeiten für 2 Jahre einzustellen und die Pläne in der Zwischenzeit zu
ändern. So gesehen wäre ja die tätliche Kritik der Aktivisten berechtigt
gewesen. Denn ein verwaltungsrechtliches Verfahren zu Erreichung einer
Umweltverträglichkeitsprüfung hätte zuviel Zeit in Anspruch genommen. Anwalt
Thomas Prader in seinem Revisionsantrag vor dem OGH: "In der Zwischenzeit
wäre das Kraftwerk längst gebaut worden und es stellt sich aus diesem
Blickwinkel das außergerichtliche Tätigwerden als rechtmäßig dar".

Durch die nun erneuerte Absage an ein Widerstandsrecht durch den OGH sind
aber auch Handlungen, die gesetzt werden, um größeres Unheil zu vereiteln,
ungesetzlich.

[...]

Daß dieses Urteil irgendwann einmal passiert, war eigentlich zu erwarten.
Während in der BRD Schadenersatzklagen gegen Blockierer zum Alltag gehören,
hatte man hierzulande davon Abstand genommen, obwohl die Rechtslage kaum ein
Risiko für den Kläger bedeutete. Anwalt Prader, der mit derlei Materie doch
schon recht viel Erfahrung gesammelt hat: "Das war überhaupt das erste Mal,
daß ich von so einer Klage gehört habe".

Meistens waren es doch staatliche Stellen, deren Eigentumsrechte verletzt
wurden. Es schien nicht im staatlichen Interesse gewesen zu sein,
ökologischen Widerstand nach Hainburg weiter zu radikalisieren. Daß nun
die -- sich in öffentlicher Hand befindliche -- STEWEAG diesen Schritt getan
hat, kann auch auf das dortige Management zurückzuführen sein. Es ist jedoch
möglich, daß der Staat die Reste der in den Neunzigern ausklingenden
ökologischen Basisbewegungen attackieren möchte, da er sich nicht mehr viel
Widerstand erwartet. Schließlich ist der Großteil der Ökologiebewegung
mittlerweile professionalisiert und institutionalisiert. Die wenigen, die
nicht umarmt werden konnten, können nun mittels materieller Repression
mundtot gemacht werden.
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Der komplette Text des alten Artikels ist auf dem Blog nachzulesen:
https://akinmagazin.wordpress.com/2021/12/11/aus-dem-archiv-baustellenbesetzungen-sind-zivilrechtlich-klagbar/


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