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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 1. Dezember 2021; 21:31
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  Schweiz:
  
  > Nicht sehr neutrale Flieger
  
  Die eidgenössische Regierung hat sich mit dem F-35 ein politisches Problem
  eingehandelt.
  
  
  An sich ist die Schweiz ja noch viel neutraler als Österreich. Ja, "neutral"
  kann man eigentlich nicht steigern, aber das ist halt so wie mit "in
  keinster Weise", was als grammatikalischer Unsinn erscheint, semantisch aber
  durchaus zulässig sein kann. Vor allem in diesem Zusammenhang, weil ja die
  Schweiz in keinster Weise einem Militärbündnis angehören möchte, also noch
  weniger als in nur keiner Weise wie Österreich, das ja mit einer
  NATO-Partnerschaft kein Problem hat.
  
  Das fällt deswegen auf, weil in der Schweiz vor einem Jahr eine
  Volksabstimmung durchgegangen ist zu einem Thema, das wir in Österreich nur
  zu gut kennen: Die Anschaffung neuer "Luftüberwachungsgeräte", also
  Kampfjets. Lediglich 50,2% der zur Abstimmung gegangenen Eidgenossen waren
  für den Vorschlag "Air 2030". Als am Abend des 27.Septembers 2020 das
  Ergebnis feststand, meinte Verteidigungsministerin Viola Amherd: "Diese
  neuen Flugzeuge sind wichtig, um die Sicherheit und Neutralität der Schweiz
  langfristig zu gewährleisten. Dank des 'Ja' kann die gesamte Schweizer Armee
  ihre Aufgaben erfüllen. Die Evaluationen werden nun fortgesetzt."
  
  Diese Evaluationen haben im Juni dieses Jahres zu einer Typenentscheidung
  geführt: Ausgerechnet die F35-A des US-Herstellers Lockheed Martin soll es
  werden. Und da hapert es dann mit der Neutralität gewaltig.
  
  Wir erinnern uns an die hiesigen Eurofighter, wo einer der Kritikpunkte ja
  auch war, daß das Navigationssystem nur mit laufender Unterstützung (und
  ständiger Überwachung) durch US-Militärs funktioniert. Den gleichen Mißstand
  hat die Schweiz jetzt schon mit den bisherigen Boeing-Jets. Das war aber
  eine Kleinigkeit gegen das Problem, das sich die Schweiz samit ihrer
  Neutralität mit dem Lockheed-Flieger einbrocken möchte. Zitat aus einem
  Argumentarium der Initiative "Stop F-35": "Bereits heute sind in Dübendorf
  zwei US-amerikanische Offiziere stationiert, die regelmässig die aus den USA
  gekauften Waffensysteme und Flugzeuge überprüfen. Grundlage dafür bildet die
  rigorose ITAR-Gesetzgebung der USA; demnach bleiben die USA weltweit allein
  zuständig, um besonders sensible technische Komponenten zu warten. Die
  Kontrolle über die Software des F/A-18 bleibt beim Hersteller Boeing. Für
  das Abschiessen von Kurzstreckenlenkwaffen muss die Schweiz die Erlaubnis
  aus Washington einholen. Auch das Navigationssystem funktioniert nur
  mithilfe von Codes, die einmal pro Monat aus den USA geliefert werden. Mit
  zunehmender technischer Komplexität begibt sich die Schweiz noch stärker in
  die Abhängigkeit der USA. Das im F-35 eingebaute System ODIN liefert
  beispielsweise nach jedem Flug Daten zum Flugeinsatz an Lockheed Martin.
  Offiziell soll dies die automatische Nachbestellung von Ersatzteilen
  garantieren, doch das System ist weit umfassender. Auf diesem Weg liefert
  die Schweiz dem US-Militär unter anderem auch detaillierte Informationen
  über ihre Einsätze. Es ist anzunehmen, dass die Schweiz ihre Lufthoheit
  gegen den Willen der USA nicht wahren könnte. Entweder würden die Jets
  aufgrund eingebauter Backdoors direkt am Boden bleiben, oder aber
  spätestens, wenn die Zulieferung von Ersatzteilen durch die Hersteller
  ausbleibt, am Abheben gehindert werden. Wird diese Lieferkette unterbrochen,
  könnten die Jets innerhalb eines halben Jahres flugunfähig werden. Bei
  länger andauernden Einsätzen, vergleichbar mit dem Irakkrieg Anfang der
  2000er-Jahre, könnte die Schweiz auf diese Weise dazu gezwungen werden,
  US-Kampfflugzeugen den Überflug zu gewähren."
  
  "A piece of ..."
  
  Dazu käme noch, so "Stop F-35", daß der Flieger -- auch hier die Parallele
  zur österreichischen Debatte -- gar nicht gebaut worden sei für
  routinemässige luftpolizeiliche Aufgaben sondern für nicht so häufige
  Kampfeinsätze und dementsprechend schnell verschleisse. Weiters sei die
  Produktreihe ein Auslaufmodell, dessen Weiterentwicklung nicht mehr verfolgt
  werden würde, weil es eine technologische Sackgasse wäre: "Jüngst erklärte
  beispielsweise gar der Generalstabschef der US-Luftwaffe, Charles Q. Brown,
  den F-35 für gescheitert. Christoph Miller, kommissarischer
  Verteidigungsminister unter Trump, nannte den Jet gar ein 'Stück Scheisse'."
  
  Getragen wird die Initiative gegen den konkreten Fliegertyp offiziell von
  den Grünen, der SP und natürlich von der "Gruppe Schweiz ohne Armee" (GSOA).
  Letztere hätte sich wohl über keine einzige Typenentscheidung gefreut,
  allerdings sind die üblichen Argumente der GSOA in der Schweiz nicht
  mehrheitsfähig. Doch es ist davon auszugehen, daß von den 50,2% für "Air
  2030" bei einer Abstimmung über F-35 nicht mehr ausreichend viel überbleiben
  würde, weil auch und gerade Militärliebhaber in der Schweiz so einen Flieger
  wohl nicht goutieren können; außer die Regierung schafft es noch mit viel
  Gegenpropaganda den F-35 als ideales Modell zu präsentieren, was bei dem
  immer regierungsskeptischen Schweizer Wahlvolk schwierig werden dürfte.
  Zumindest aber hat der Bundesrat das Lieblingsblatt der Konservativen auf
  seiner Seite -- die NZZ trommelt schon, der F-35 habe "mit guten Grund die
  Evaluation gewonnen".
  
  Die Initiative indes sammelt recht fleißig Unterschriften. Bis die
  Abstimmung an den Urnen ist. wird es keine Kaufvertragsunterzeichnung geben.
  In der Schweiz kann es sich die Politik nämlich nicht leisten, das Stimmvolk
  vor vollendete Tatsachen zu stellen.
  
  *Bernhard Redl*
  
  
  Näheres zur Initiative:
  https://stop-f-35.ch/
  
  
  
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