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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Oktober 2021; 17:17
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  Glosse:
  
  > Das Columbo-Syndrom
  
  Umfragen und Regierungsinserate sind eine Notwendigkeit für Parteien und
  Medien. Wir Untertanen brauchen sie hingegen nicht wirklich.
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  Jüngste Umfragen haben ergeben, daß 65% der Bevölkerung über 16 Jahre dem
  derzeitigen Finanzminister vertrauen. 17,4% halten ihn sogar für ein Genie.
  Weiters geben 51% an, daß Vanille ihre Lieblingseissorte ist. Schokolade
  (18%) und Zitrone (11%) folgen abgeschlagen auf den Plätzen 2 und 3. Aber
  zuerst eine Einschaltung im öffentlichen Interesse: Die Bundesregierung
  informiert, daß die Unterwäsche in Hinkunft außen zu tragen ist.
  
  Ja, das stammt aus dem Film "Bananas" und die Umfrage ist frei erfunden.
  Aber, Hand aufs Herz: Das kommt doch alles schon sehr der gefühlten Wahrheit
  nahe. Denn kaum ist heraussen, wie wir seit Jahren mit gefälschten Umfragen
  in die Irre geführt worden sind, erscheinen die nächsten Umfragen und werden
  begierig studiert. Und als hätte es keine Kritik an der Vergabe an Inseraten
  gegeben, verbreitet die Regierung in ihren Lieblingsblättern seitenfüllend
  prompt, wie toll doch die Steuerreform sei.
  
  "Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe." Hat
  Churchill gesagt. Nein, hat er nicht, Goebbels ließ dieses Zitat als
  Äußerung des britischen Premiers verbreiten. Es dürfte nicht einmal eine
  halbe Wahrheit gewesen sein, sondern reine Erfindung. Aber sie wurde
  geglaubt. Allerdings stimmt das wahrscheinlich auch nicht. Denn
  Zitatenforscher finden das weder bei Churchill noch bei Goebbels oder dessen
  Medien belegt. Der früheste Beleg findet sich überhaupt erst in einem
  Schweizer Parlamentsprotokoll von 1980. Aber immerhin: Dieses Zitat mit
  dieser Zuschreibung wurde wenigstens noch vor der Erfindung von Social Media
  geprägt. Soviel ist zumindest sicher. Ist doch schon was.
  
  
  Input, Input!
  
  Es gibt ein enorm hohes Bedürfnis an Information. Und wie das so ist am
  freien Markt: Nachfrage schafft Angebot. Nur sind diese Informationen auch
  korrekt? Oder haben doch die Verschwörungstheoretiker recht? Manchmal könnte
  man meinen, der Spott über sie resultiert nicht aus dem offensichtlichen
  Unsinn, den sie verbreiten, sondern aus dem Gefühl, daß man ja doch
  tatsächlich ständig beschissen werde, aber sich nicht traut, selbst Theorien
  darüber anzustellen.
  
  Also halten wir uns an exakte, wissenschaftlich erhobene Fakten. Im
  politischen Bereich kommen da gerne Umfragen daher. Doch mit der Erkenntnis
  über die Tätigkeit der Frau Beinschab bricht für Umfrage-Junkies jetzt eine
  Welt zusammen. Oder war das halt nur eine einzelne Person und ein einzelnes
  Institut, die da unseriös gearbeitet haben?
  
  Ja, wäre schön, wenn es so einfach wäre. Denn die Frage muß ja lauten: Warum
  macht jemand eine Umfrage und warum wird sie publiziert?
  
  Politische Umfragen sind ja nur ein Spezialprodukt der Meinungsforschung.
  Politik, wie wir sie kennen, ist ein Markt wie jeder andere. Kein Markt der
  Ideen, sondern ein Markt der Parteien und der Politiker, die eine Ware
  verkaufen wollen, nämlich sich selbst -- zum Einem den Wahlberechtigten, zum
  Anderen den Lobbies, denen sie verpflichtet sind. Eine derart komplexe
  Marktsituation bedarf auch komplexer Marktforschung. Was die Lobbies wollen,
  ist klar, aber was wollen die Wähler -- vor allem jene Wechselwähler, die
  sich vorstellen könnten, die Partei zu wählen, die eine Umfrage in Auftrag
  gibt?
  
  Versuchen wir das einmal aufzudröseln, denn politische Umfragen gibt es
  Vielerlei. Zum Einen die klassische Sonntagsfrage oder die diversen
  Vertrauenindizes oder die Wahlmotivforschung. Zum Anderen gibt es aber da
  noch die rein inhaltlichen Umfragen: Was halten sie von den Plänen das
  Gesetz XY oder das Vorhaben ABC durchzusetzen? Parallel gibt es dann aber
  noch für all diese Umfragen die Kategorien: Publizieren und
  Nichtpublizieren. Denn hier gibt es unterschiedliche Interessen: Will eine
  politische Partei wirklich wissen, wie die Stimmung im Land ist und mit
  welchen Themen sie bei einer Mehrheit der Wechselwähler punkten kann? Danach
  kann man dann die Propaganda ausrichten. Aber das wird man nur publizieren,
  wenn es einem hilft. Oder eine Partei möchte ein bestimmtes Ergebnis
  sehen -- dann ist man an der Publikation, aber nicht an einer seriösen
  Umfrage interessiert. Oder ein Medium will eine solche Umfrage rein zum
  Zwecke der Auflagensteigerung -- dann ist das konkrete Ergebnis im Detail
  tatsächlich nicht vorgegeben, aber es sollte doch irgendwie spannend sein:
  Niemanden interessiert es, wenn die Umfrage ergibt, daß eine jetzige fiktive
  Wahl so ausginge wie die letzte tatsächliche. Deswegen sind kurz vor einer
  echten Wahl auch Kopf-an-Kopf-Rennen so beliebt, das läßt echte Spannung
  aufkommen. Und die Parteien, die da Kopf an Kopf liegen, freuen sich auch
  darüber.
  
  
  Es is ollas Chimäre...
  
  Gibt es denn keine seriösen publizierten Umfragen? Nein, die kann es auch
  nicht geben, weil sie nicht interesselos gemacht werden. Generell leiden die
  Sozialwissenschaften unter etwas, was man das Columbo-Syndrom nennen könnte.
  Es werden keine Fragen gestellt, die ergebnisoffen untersucht werden.
  Sondern es ist wie in der Fernsehserie: Zu Beginn steht der Mord, den die
  Zuschauer mitverfolgen. Dann kommt Inspektor Columbo, der auch sehr schnell
  weiß, wer der Mörder ist. Und jetzt geht es nur mehr darum, wie der
  Ermittler dem Täter die Tat nachweist. Die meisten sozialwissenschaftlichen
  Studien sind keine Whodunnits, sondern Howtocatchhims. Es geht darum, die
  Arbeitshypothese so zu belegen, daß sie am Ende als bewiesen dasteht. Bei
  Umfragen kann man -- wenn man keine Phantasiezahlen erfinden möchte -- das
  auch so machen, indem man einfach die Fragen so formuliert, daß das
  "Richtige" rauskommt.
  
  Doch wäre es besser, wenn tatsächlich interesselose Stellen Umfragen in
  Auftrag gäben, um herauszufinden, wie im Volk gedacht wird und wer gewählt
  würde, "wenn kommenden Sonntag Wahlen wären"? Nein, denn selbst wenn sie
  echte Momentaufnahmen wären, bleibt die Beeinflußung auf die Rezepienten.
  Schließlich müßte es ja völlig uninteressant sein, wie kommenden Sonntag
  gewählt würde, wenn kommenden Sonntag definitiv nicht gewählt wird. Das ist
  nicht einmal Kaffeesudlesen oder Glaskugelschauen, weil man da ja versucht,
  vermutete kommende Ereignisse vorherzusehen -- der Ausgang einer garantiert
  nicht stattfindenden Wahl ist aber keines, sondern nur ein Ereignis im
  Konjunktiv. Allerhöchstens hilft es einer Parlamentsmehrheit, den richtigen
  Zeitpunkt für Neuwahlen herauszufinden -- aber ist das ein demokratischer
  Wert?
  
  
  ... oba mi unterhoits!
  
  Apropos Wert: Es geht dabei sicher auch um den Unterhaltungswert --
  Unterhaltung auch oft im Sinne von Empörungsmöglichkeit oder
  Gruselerlebnissen. Gerade bei inhaltlichen Fragestellungen funktioniert das
  gut. Wenn 73,2% der Meinung sind, Kriminelle einer bestimmten Kategorie
  gehörten aufgehängt oder 64,7% der befragten 16jährigen Berufsschüler hätten
  noch nie vom Holocaust gehört, ist das für viele Leser sicher ein netter
  Schocker, der wieder das Blut zum Zirkulieren bringt. Und man kann sich dann
  auch noch moralisch überlegen fühlen gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung,
  das gibt ein gutes Gefühl. Und auch die Aufhänge-Fans freuen sich -- denn
  endlich wissen sie, daß sie nicht alleine sind mit ihrer Meinung, sondern
  sogar die Mehrheit stellen. Und diese Effekte treten auf, egal, ob die
  Umfrage seriös mit völlig neutraler Fragestellung gemacht worden ist oder
  Produkt des "Beinschab-Tools" war. Was würde sich ändern, wenn das Ergebnis
  dieser so geschumpfenen Umfragen korrekt gewesen wäre, daß eine Mehrheit
  eine schlechte Meinung von Arbeitslosen hat oder daß die Leute, die hier
  geborenen Kindern die Staatsbürgerschaft zuerkennen wollen, eine Minderheit
  sind? Es kommt nicht darauf an, ob das Ergebnis korrekt ist, sondern ob es
  demjenigen paßt, der es publiziert. Denn wenn es nicht paßt, wird es auch
  nicht öffentlich gemacht, sondern verschwindet in einer Schublade des
  Auftraggebers -- egal, ob das jetzt der Staat, eine Partei, eine Lobby oder
  ein Medium ist.
  
  Was die Sonntagsfrage angeht: Wie oft muß Peter Filzmayer, der derzeitige
  Politologe der Nation, eigentlich noch von Bandwagon und Fallbeil reden, bis
  man begreift, wie wichtig Umfragen für die Wählerbeeinflussung sind?
  Parteien, die bei diesen fiktiven Zwischenzeiten vorne liegen, können mehr
  Stimmen lukrieren, während solche, denen Chancenlosigkeit attestiert wird,
  auch chancenlos bleiben. Kann sich überhaupt noch jemand vorstellen, zu
  einer Wahl zu gehen, wenn man vorher nicht die geringste Ahnung hat, wie sie
  wahrscheinlich ausgeht?
  
  Wir Wahlberechtigten sind es, die diese Umfragen wollen -- warum auch immer.
  Und solange uns diese Umfragen interessieren, bekommen wir sie auch und
  lassen uns von ihnen manipulieren. Wir selbst sind das Werkstück, das mit
  dem Umfragetool bearbeitet wird.
  
  
  Werbung mit Steuergeldern
  
  Wie heißt es bei der Eigenwerbung der Werbefuzzis: "Werbung wirkt!" Und das
  gilt halt auch für Umfragen. Und noch viel mehr für Regierungsinserate. Der
  Schmäh dabei: Wir glauben nicht oder wollen nicht glauben, daß es wirkt.
  Deswegen kreist die Debatte darum ja nur um die Anfütterung von Medien zum
  Zwecke der besseren Berichterstattung. Es geht um Vergaberichtlinien, nicht
  um die Inserate an sich. Deren Sinnhaftigkeit selbst wird nur wenig in Frage
  gestellt -- kein Wunder, denn sowohl die vergebenden Entscheidungsträger als
  auch die annehmenden Medien profitieren davon. Protest kommt höchstens von
  den Medien die keine oder weniger Inserate bekommen -- die sind aber auch
  nicht für eine generelle Reduzierung oder gar Abschaffung, sondern eher im
  Gegenteil. Deren Interesse ist es, mehr von diesem Kuchen zu bekommen.
  
  Wozu muß mit Steuergeldern die Regierung beworben werden? Man beschränkt
  sich ja nicht auf notwendige Informationen, sondern man feiert sich ab --
  die Bundesregierung genauso wie die Landesregierungen. Die ärgsten Chuzpe
  hat man abgedreht mit dem berühmten Kopfverbot, also daß Politiker nicht
  mehr mit ihrem Portrait im Inserat erscheinen dürfen. Letztendlich bleibt es
  aber Werbung für die jeweils die Regierung stellenden Parteien, die auf
  Kosten der Allgemeinheit darstellen wollen, wie toll sie doch sind.
  
  Was wir brauchen, ist ordentlicher Journalismus. Der kann dann auch
  berichten, was die Regierung so treibt -- allerdings ohne Belobhudelung. Und
  dieser Journalismus muß finanziert werden, auch von der öffentlichen Hand.
  Aber sicher nicht so.
  
  Und nochmal zur Sicherheit: Sämtliche Prozentangaben in diesem Text sind von
  mir frei erfunden. Auf die Nachkommastellen bin ich da besonders stolz. Die
  wirken nämlich so seriös.
  
  *Bernhard Redl*
  
  
  
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