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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Oktober 2021; 17:33
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Arbeit:

> Vollbeschäftigung in Österreich?

Aus dem Arbeitslosentagebuch von *Rosalia Krenn*

Herr Hanger hatte letzte Woche im Parlament im Zuge der Debatte um die
Steuerreform, die als öko-sozial bezeichnet wird, vor laufender Kamera
behauptet, in Österreich gäbe es wieder Vollbeschäftigung. Diese Behauptung
hat Herr Hanger so selbstsicher in den Raum geworfen, dass ich kurz an mir
gezweifelt hatte und diese echt ernstgenommen habe. Für einen Moment. Bei
den Reden im Zuge der Parlamentsdebatte, vor allem jener von August Wöginger
verspürte ich dann doch Angst. Es kang sehr danach, als wollten sie mit
aller Gewalt jeden und jede in Arbeit bringen, egal in welche.

Mein Leben als arbeitslose Sozialarbeiterin über 50: Am Beginn meiner
Stellensuche war ich sehr optimistisch. Ich verfasste kluge
Bewerbungsschreiben, gab mir Mühe, verstand die vielen Absagen von seiten
der sozialökonomischen Betriebe nur bedingt, bis mir nicht nur duch die
Blume, sondern auch sehr direkt vermittelt wurde, dass begehrte Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen lieber aus den Reihen der Fachhochschulen für soziale
Arbeit gesucht werden würden, im Übrigen man auf der Suche nach jungen
Menschen sei, und ehemalige BetriebsrätInnen wären jetzt auch nicht so
gefragt. Das AMS hatte mich monatlich zu persönlichen Gesprächen
"eingeladen", sprich verpflichtet, die Zwangsmaßnahmen des AMS sind
weitreichend. Man hat dem AMS zur Verfügung zu stehen, auch wenn dessen
Angestelle für einen nichts tun. Etwa hat mir eine AMS-Mitarbeiterin
gedroht, wenn ich mit den Stellen, die sie mir vorschlägt, nicht
einverstanden sei, sie mich auch als "Regalbetreuerin beim BILLA" vermitteln
könne. Das kann sie nicht, aber die Wirkung sochler Aussagen ist
einschüchternd, ein besonders kreativer Vorschlag mir eine Stelle zu
vermitteln hätte meine Ausreise nach Papua-Neuguinea bedingt, dort würden
EntwicklungshelferInnen gesucht.

Mit der Pandemie haben die persönlichen Gespräche abgenommen, an deren
Stelle sind verpflichende Telefongespräche getreten, zu denen man
"eingeladen" wird, die man aber verpflichtend einzuhalten hat. In
schriftlichen Dokumenten hat man mir erkärt, warum ich schwer vermittelbar
sei: "zu alt" (wörtlich!). Das AMS sagt damit aus, dass das vergebliche
Bemühen mich zu vermitteln meine Schuld ist.

Wie erreicht man Vollbeschäftigung? Es gibt tatsächlich offene Stellen. Aber
welche!? Ich wurde nach einem persönlichen Vorsprechen bei einem AMS
Mitarbeiter dazu verpflichtet, mich bei der Volkshilfe zu melden. Eine
inaltliche Stellenbeschreibung wurde mir nicht mitgegeben. Mit etwa zehn
weiteren arbeitssuchenden Menschen hatte ich mich bei einer Außenstelle der
Volkshilfe einzufinden. Als Vorleistung dafür, eingelassen zu werden, hatte
man ein Formular auszufüllen, neben der üblichen Datenabfrage war die letzte
gestellte Frage, die man ankreuzen sollte jene, ob man lieber in der
Räumung, Reinigung oder im Verkauf arbeiten möchte. Ich habe diesen Absatz
durchgestrichen und quer Sozialarbeit darüber geschrieben. Ich wurde
aufgerufen, einzutreten. Die Dame, die offenbar ein Einstelllungsgespräch
mit mir führen wollte, gab sich ob meiner Qualifikation irritiert. Sie gab
sich selbst peinlich berührt und wollte von mir wissen, ob der
AMS-Mitarbeiter mich denn nicht darüber informiert htte, um welche zu
vergebenden Stellen es hier ginge. Nein. Ich wurde darüber nicht informiert.
Ich war dann etwas ungehalten und arrogant, ich sagte, ich hätte nicht
studiert, um mit Mitte fünzig putzen zu gehen. Ich muss zu meiner
Entschuldigung aber darauf hinweisen, dass ich es als generell unzumutbar
empfinde, Menschen dieses Alters mit Schwerarbeit zu betrauen. Was hat mich
am meisten geärgert? Die Menschen, die da im Hinterhof mit mir gemeinsam auf
ein Einstellungsgespräch gewartet haben waren ausschließlich in meinem Alter
oder älter. Sie kamen auch alle aus anderen Kulturkreisen, womit ich zum
Ausdruck bringen möchte, dass sie sich noch viel weniger als ich zur Wehr
setzen können, oder den Mut aufbringen, aufzustehen, um gegen eine solche
Behandlung vorzugehen.

Dass man auf Basis der Zwangsmaßnahmen des AMS, dass man auf Basis der
Einschüchterung arbeitssuchender Personen Arbeitslosigkeit reduzieren kann,
ist durchaus vorstellbar. Ja, wenn man versucht, ältere arbeitssuchende
Personen zu schwerer Arbeit zu zwingen, schlägt man gleich zwei Fliegen mit
einer Klappe. Die werden nämlich nicht gesund in Pension gehen, die werden
ihre Pension auch nicht genießen und besonders alt werden die auch nicht.
Ich frage mich nur, warum die Volkshilfe bei diesem zynischen Spiel
mitmacht.
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