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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. September 2021; 22:14
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Glosse:

> Drei Wahlen

Das Staunen über die Ergebnisse in OÖ, Graz und Deutschland ist nur bedingt
gerechtfertigt.

Oberösterreich ist stabil geblieben. Auch Friedhofsruhe ist eine Form von
Stabilität. In absoluten Zahlen haben ÖVP und SPÖ Stimmen verloren -- nur
dadurch, daß die FPÖ-Wähler nicht mehr zur Wahl gegangen sind und damit die
Wahlbeteiligung gedrückt haben, war bei V und S ein kleines Prozentplus
möglich. Neos und Grüne haben real dazugewonnen, aber halt auch nicht so
bedeutend, wie die Prozentzahlen suggerieren. Daß sich in sage und schreibe
sechs Jahren -- die bundespolitisch turbulent waren -- in diesem Bundesland
so gut wie nichts am Wahlverhalten geändert hat, ist schon erschreckend. Und
das, obwohl in einer so langen Zeit doch viele Wähler gestorben sind und
viele Jungwähler hinzugekommen, von Hinzu- und Weggezogenen gar nicht zu
reden! Einzig Ibiza und die originelle FPÖ-Finanzbuchhaltung hatten da
Einfluß und auch die nur auf die Wähler dieser einen Partei. Nicht einmal
Greta oder die seltsamen Macheloikes rund um MAN-Steyr konnten da was
ausrichten.

Da war es schon klar, daß sich die Berichterstattung auf die einzige Novität
stürzte: die Gruppierung Menschen-Freiheit-Grundrechte. Wenn in einem derart
stehengebliebenen Bundesland sich eine neue Partei etablieren konnte, muß
man das als "Sensation" werten. Noch dazu, wo diese Partei das erste Mal
angetreten war.

Nur ist dieser Einzug alles andere als verwunderlich. Die offizielle
Politik -- inclusive der oberösterreichischen FPÖ, der die Anbiederung an
die ÖVP wichtiger war -- hat die Corona-Angefressenen einfach ignoriert. Und
natürlich war die MFG beim ersten Antreten erfolgreich -- klar, wäre es das
zweite Antreten gewesen, hätten sie wie alle anderen Kleinparteien die Punze
des Verlierers gehabt, den man nicht wählt, weil die Stimme dann verloren
ist. Die Leistung der MFG war es, kurz vor den Wahlen in Umfragen
vorzukommen -- die Prognosen meinten, sie hätten Chancen auf einen Einzug in
den Landtag. Ab da hatten sie wirklich eine Chance, also kamen sie auch
rein.

Umfrageansagen kurz vor der Wahl, wonach eine neue Partei knapp den Einzug
in ein Gremium schaffen könnte, wirken oft Wunder -- das war 1986 bei den
Grünen so, 2013 bei den NEOS und 2017 bei der Liste Pilz. Natürlich sind
solche Umfragen nicht völlig aus der Luft gegriffen und die ursprüngliche
Zustimmung zu diesen Gruppierungen hatte andere Gründe -- wären diese
Parteien aber als chancenlos prognostiziert worden, hätten sie wohl nicht
ihre Erfolge gehabt.

Ob sich solche Parteien stabilisieren und länger in der Politik bleiben, ist
eine andere Frage -- bei der MFG ist das eher fraglich. Wohl auch
deswegen -- wie gerne in den Kommentaren betont wurde -- weil Corona
irgendwann vorbei sein wird. Allerdings geht es der MFG ganz generell um
eine Kritik am Gouvernantenstaat und der wird wohl noch länger ein Thema
sein. Einiges aus dem offensichtlich mit der heissen Nadel gestrickten
Parteiprogramm sind Forderungen, die man von anderen nie hört,
beispielsweise die nach einem fairen Zugang zum Recht. Denn daß dieser eine
Frage des Geldes ist, ist eine Kritik, die man in anderen Parteiprogrammen
vergeblich sucht. Nur: Die Partei hat das Pech, daß jetzt lange keine
relevanten Wahlen mehr vorgesehen sind und nur eine Vertretung in einem
einzigen Landtag ihnen wohl kaum eine große öffentliche Präsenz
gewährleisten wird -- nicht einmal in Oberösterreich, geschweige denn
bundesweit. Die Gruppe wird wohl die Kuriosität bleiben, als die sie jetzt
gehandelt wird.


Graz bin ich

Auch das Grazer Ergebnis ist in diesem Licht zu sehen. Ohne die Leistung von
Elke Kahr und vor ihr Ernest Kaltenegger schmälern zu wollen, ist das
eigentlich Interessante der Totalabsturz der ÖVP. Man sehe sich die
Statements von Nagl nach der Wahl an (siehe "Wahlnotizen"). Diese
Grundhaltung, quasi 'Graz, c'est moi' war sicher mit ein Grund. Diese
Präpotenz vor allem in der letzten Funktionsperiode war wohl nur mehr schwer
auszuhalten. Gleich nach der letzten Wahl 2017 demütigte Nagl Kahr, indem er
seinem neuen besten Freund, den FPler Eustacchio das Wohnungsressort gab --
mit der Begründung, die FPÖ hätte das zur Bedingung für das
Arbeitsübereinkommen gemacht. Allerdings war allen Beobachtern klar, daß es
darum ging, der KPÖ das Ressort wegzunehmen, um diese zu schwächen. Dann
erklärte Nagl, daß er vielleicht doch noch sein Lieblingsprojekt von der
Murtalgondelbahn realisieren wolle, um dann auf die Idee einer U-Bahn
umzuschwenken. Und dabei prompt wieder die jetzt für Verkehr zuständige
Stadträtin Kahr zu düpieren.

So wie sich für die Grazer KPÖ jahrzehntelange Kleinarbeit jetzt auszahlte,
hat auch Nagl jahrelang schon diese Abwahl vorbereitet -- wenn auch
unfreiwillig. Man erinnere sich nur an die Debatten um das Murkraftwerk kurz
vor der Wahl 2017, wo Nagl partout eine Volksbefragung nicht zulassen
wollte, oder die Aufkündigung des Abkommens mit den Grünen 2012, das auch
nicht gerade von der feinen Art war. Oder die Blockade der Wahl von Kahr zur
Vizebürgermeisterin 2013 -- in Komplizenschaft mit der SPÖ, der das auch
nicht gutgetan hat. Das Sündenregister Nagls ist lang. Und irgendwann sieht
das Wahlvolk diese Politikverständnis nicht mehr als Führungsqualität
sondern als Hybris. Hochmut kommt eben manchmal doch vor dem Fall.

Daß aber die KPÖ überhaupt so eine Bedeutung in Graz hat, hat auch mit dem
Wahlrecht zu tun. Da sind wir wieder bei der Sache mit der verlorenen
Stimme -- denn fast überall anders kann die KPÖ deswegen nicht punkten. Doch
in Graz reichen rund 2% (bis 2008 sogar weniger) für den Einzug in den
Gemeinderat und so konnte sich die KPÖ seit 1945 in diesem Gremium halten --
wenn man von dieser Basis aus dann noch gute Politik macht, kann man
irgendwann einmal sogar am Bürgermeistersessel rütteln. Ohne diese
demokratische Notwendigkeit wäre die Grazer KP nicht dort, wo sie jetzt
steht. Und vielleicht auch die Grünen nicht, denn als die Alternative Liste
1983 in den Gemeinderat einzog, war das der erste größere Vertretungskörper
in Österreich, wo das gelingen konnte.


Wer wird die neue Merkel?

Die Wahlergebnisse in Deutschland waren auch nicht wirklich verwunderlich.
Die Deutschen waren lange Jahre gewohnt, Angela Merkel zu wählen, und wußten
jetzt einfach nicht, wo sie ihr Kreuzerl machen sollen. "Kohls Mädchen"
hatte sich einfach in ihrer Amtszeit gemausert, zuerst zur "Kaiserin von
Europa" und dann zur "Mutti der Nation". Sie war ein bisserl
christkonservativ und ein bisserl sozialdemokratisch, ein bisserl liberal
und sogar ein bisserl grün, konnte international mit so ziemlich allen
Machthabern gut reden, war ein bisserl Ossi und ein bisserl Wessi, war
intellektuell und volkstümlich vernünftig gleichermaßen, menschelte gerne
und hatte trotzdem klare Standpunkte. Hätte sie statt der CDU eine eigene
Partei aufgemacht, hätte sie wohl die absolute Stimmenmehrheit bekommen.

Jetzt ist sie abgetreten und alle boten sich auf einmal als Merkel 2.0 an.
Am Besten ist das halt Olaf Scholz gelungen -- immerhin Merkels
Finanzminister, der halt von einer anderen Partei ist, aber das war eben
egal. Denn genau so ist die Wahlkampfinszenierung im Fernsehen abgelaufen:
Man hatte nicht den Eindruck, hier würden mehrere Parteien um Stimmen für
ein rund 700-köpfiges Gremium werben, sondern lediglich drei Personen die
Nachfolge Merkels antreten wollen. Mit den "Triellen" wurde auf die Spitzen
dreier Parteien fokussiert, wohl wissend, daß keiner von den dreien ohne
Koalitionspartner auskommen wird und daß es in Deutschland kein
first-past-the-post gibt. Trotzdem hat man so getan als ob. Jetzt stellt
sich heraus, daß das eigentlich egal ist, weil die zweitplatzierte Partei
doch den Regierungsanspruch stellt -- Laschet will quasi schüsseln. Doch
diese Trielle haben ihren -- vielleicht nicht vorgesehenen -- Zweck erfüllt.
Durch das Fokussieren auf drei Parteien oder genauer: drei Kanzlerkandidaten
gingen die anderen beinahe leer aus. Sowohl Linke als auch die
Rechtsextremen verloren massiv, weil sie ja in diesem Pferderennen sowieso
nicht für eine Dreierwette in Frage kamen. Lediglich die FDP konnte
zulegen -- aber auch die wohl eher deswegen, weil man seit Genschers Zeiten
weiß, daß oft diese letztendlich wirklich bestimmt, wer Kanzler wird (oder
bleiben darf).


Wahlmotive

So unterschiedlich diese drei Wahlen waren, so sehr waren sie doch von
ähnlichen Mechanismen geprägt: Inhalte waren nicht so wichtig. Es ging auch
nicht um die Zusammensetzung eines Gremiums. Es ging darum, welche
Einzelperson die richtige Siegertype markieren kann und wer steht als
Verlierertype da. Wer von den Spitzenkandidaten kommt sympathisch rüber und
wer nicht? Wer steht für das "Weiter so wie bisher!" und wer steht für "Es
muß anders werden!"? Und: Gewählt wird, was auf den Tisch kommt -- oder
besser: im Fernsehen ist. Bei einer Kommunalwahl wie in Graz ist das
vielleicht weniger relevant, dennoch galt auch hier das Prinzip:
Herausforderin gegen Langzeitamtsinhaber -- für die anderen gibts nur die
Zuschauerränge. Die wählt man nur, weil man sie immer wählt.

Trotzdem: Gratulation an Elke Kahr! Bei allem Kynismus muß man sich einfach
für sie freuen.

*Bernhard Redl*



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