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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. September 2021; 23:00
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  Corona/Kapitalismus/Nord-Süd:
  
  > Die doppelte Dosis Ungleichheit
  
  Amnesty International kritisiert westliche Impfstoffhersteller, weil sie vor
  allem reiche Länder beliefern. BioNTech vermeldet erneut Rekordgewinn und
  wird zum Wachstumstreiber. Der Blog *german foreign policy* berichtet.
  
  
  Scharfe Kritik an den westlichen Herstellern von Covid-19-Impfstoffen,
  insbesondere an dem deutschen Unternehmen BioNTech, übt Amnesty
  International. Wie die Menschenrechtsorganisation in einer gerade erschienen
  Studie konstatiert, liegt die Verantwortung dafür, dass bisher nur 0,3
  Prozent der weltweit verabreichten Covid-19-Impfdosen armen Ländern zugute
  kamen, nicht bloß bei den wohlhabenden Staaten des Westens, die die Märkte
  leerkaufen, um Kinder zu impfen sowie Vakzine zu horten. Schuld daran tragen
  darüber hinaus die großen Impfstoffproduzenten: Sie verweigern die zumindest
  zeitweilige Freigabe ihrer Patente und vernachlässigen dramatisch notwendige
  Lieferungen an die internationale COVAX-Initiative - um zum Teil riesige
  Gewinne zu erzielen. BioNTech etwa gelang es, seinen Profit im zweiten
  Quartal 2021 auf 3,92 Milliarden Euro zu steigern - bei einem Gesamtumsatz
  von 7,36 Milliarden Euro. Das könne die Wende für die zuletzt schwächelnde
  deutsche Pharmabranche bringen und das deutsche Wachstum beschleunigen,
  urteilen Experten. Die Versorgung ärmerer Länder leistet derzeit vor allem
  China.
  
  Wer hat, dem wird gegeben
  
  Amnesty International übt scharfe Kritik an den sechs großen westlichen
  Produzenten von Covid-19-Impfstoffen - Pfizer, Moderna, Johnson & Johnson,
  Novavax (alle aus den USA), AstraZeneca (Großbritannien) und BioNTech
  (Deutschland).[1] Wie die Menschenrechtsorganisation erklärt, wurden von den
  5,76 Milliarden Impfdosen, die bis Mitte September verabreicht wurden, über
  79 Prozent in Ländern mit hohem oder gehobenem mittlerem Einkommen gegeben,
  während in Ländern mit niedrigem Einkommen nur dürftige 0,3 Prozent davon
  verimpft werden konnten. Das liegt laut Amnesty International nicht nur
  daran, dass wohlhabende Länder Vakzine in riesigen Mengen vom Markt kaufen,
  um nicht nur Erwachsene, sondern zunehmend auch Jugendliche und Kinder -
  teils ausdrücklich gegen ärztlichen Rat - zu immunisieren,
  Auffrischungsimpfungen zu verabreichen und erhebliche Mengen für die Zukunft
  zu horten. Immer häufiger müssen auch Impfdosen vernichtet werden, weil sie
  in reichen Ländern ungenutzt liegenbleiben, bis ihr Haltbarkeitsdatum
  überschritten ist. Berichten zufolge könnten auch in Deutschland in Kürze
  über drei Millionen Dosen verdorben sein.[2] Die Behauptung, mit Spenden an
  die COVAX-Initiative versorge die reiche Welt auch ärmere Länder, läuft ins
  Leere: Von den zwei Milliarden Impfdosen, die COVAX bis Jahresende
  bereitstellen wollte, wurden bis Anfang September lediglich 243 Millionen
  ausgeliefert.
  
  Die Reichen impfen
  
  Es kommt laut Amnesty International noch hinzu, dass die großen
  Impfstoffhersteller mit einer partiellen Ausnahme einer besseren Verteilung
  von Vakzinen an ärmere Länder implizit, zum Teil aber auch gezielt
  entgegenwirken. So verkaufen sie ihre Impfstoffe in der Regel mit hohem
  Profit, was ärmere Staaten stark benachteiligt. Sie weigern sich nach wie
  vor, Patente und technisches Know-how zumindest für die Dauer der Pandemie
  freizugeben, und verhindern so die Ausweitung der Produktion vor allem in
  ärmeren Ländern. Eine Ausnahme stellt laut Amnesty International AstraZeneca
  dar: Der Konzern mit Hauptsitz in Cambridge (Großbritannien) verkauft seine
  Impfdosen laut Eigenangaben zum Herstellungspreis und hat laut Amnesty
  Lizenzvereinbarungen mit Herstellern in Brasilien, China, Indien und
  Russland getroffen; dafür verdiene der Konzern, wenngleich auch er jegliche
  Patentfreigabe ablehne, "Anerkennung", urteilt Amnesty. Tatsächlich hat
  AstraZeneca bisher fast zwei Drittel seiner Impfdosen an Länder mit
  niedrigem mittlerem oder mit geringem Einkommen geliefert, während etwa 79
  Prozent der Lieferungen von Johnson & Johnson sowie 88 Prozent der
  Lieferungen von Moderna in Länder mit gehobenem mittlerem oder mit hohem
  Einkommen gingen.
  
  Milliardenprofite
  
  In besonderem Maß trifft die Kritik von Amnesty International BioNTech
  (Mainz) und dessen US-Partnerkonzern Pfizer (New York). Wie die
  Menschenrechtsorganisation berichtet, sind bisher 79,9 Prozent der von den
  beiden Unternehmen ausgelieferten Impfdosen an Länder mit hohem Einkommen
  gegangen, weitere 18,0 Prozent an Länder mit gehobenem mittlerem Einkommen,
  nur zwei Prozent an Länder mit niedrigem mittlerem und verschwindende 0,1
  Prozent an Länder mit geringem Einkommen; das ist die exzessivste
  Bevorzugung reicher Länder unter sämtlichen Covid-19-Impfstoffherstellern.
  Pfizer und BioNTech verkaufen ihren Impfstoff zudem so teuer, dass sie
  gewaltige Profite erzielen - dies, obwohl massive staatliche Vorleistungen
  Entwicklungskosten gedeckt und Geschäftsrisiken minimiert haben: So hat die
  deutsche Bundesregierung BioNTech mit 375 Millionen Euro gefördert; BioNTech
  und Pfizer erhielten zudem feste Abnahmezusagen der Vereinigten Staaten und
  der EU für Impfdosen im Wert von 17,3 Milliarden US-Dollar. Die Profite sind
  enorm: Allein BioNTech konnte den Umsatz von 2,05 Milliarden Euro im ersten
  Quartal 2021 auf 5,31 Milliarden Euro im zweiten Quartal steigern, den
  Gewinn von 1,13 Milliarden Euro auf 2,79 Milliarden Euro. Allein im ersten
  Halbjahr 2021 erzielte der Mainzer Konzern damit bei Umsätzen von 7,36
  Milliarden Euro einen Profit von 3,92 Milliarden Euro. Er beruht fast
  ausschließlich aus dem Impfstoffverkauf.[3]
  
  Wachstumstreiber
  
  Für das Gesamtjahr 2021 peilt BioNTech einen Umsatz von rund 16 Milliarden
  Euro an; das wäre rund ein Drittel des Gesamtumsatzes der deutschen
  Pharmabranche im Jahr 2020. Damit könne es gelingen, dem zuletzt
  schwächelnden Sektor wieder Auftrieb zu verleihen, urteilen Experten. Der
  Umsatz der deutschen Pharmabranche war jüngst von 54 Milliarden Euro im Jahr
  2018 auf 47,2 Milliarden Euro im Jahr 2020 gefallen, während der globale
  Sektor deutlich gewachsen war. "Die Corona-Pandemie und der Mainzer
  [BioNTech-]Erfolg im Bereich der mRNA" biete nun "die Chance, auch im
  internationalen und europäischen Standort-Wettbewerb Boden gutzumachen und
  ihren Anteil an der globalen Pharma-Wertschöpfung wieder zu erhöhen", heißt
  es.[4] Investoren urteilen bereits, mit BioNTech entstehe endlich "wieder
  ein eigenständiger Pharmakonzern in Deutschland".[5] Darüber hinaus wirkt
  sich der BioNTech-Geschäftserfolg gesamtwirtschaftlich aus. Die Firma
  "könnte in diesem Jahr rund 0,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen",
  erklärte kürzlich Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des
  Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf.[6]
  Er könne sich, sagte Dullien, "an keinen Fall erinnern, in dem ein
  Unternehmen einen solchen Einfluss auf das deutsche BIP hatte".
  
  Die Versorgung ärmerer Länder
  
  Während BioNTech Profite anhäuft, um zu einem breiter aufgestellten, auch
  jenseits der Covid-19-Impfstoffproduktion bedeutenden Pharmakonzern
  aufzusteigen, werden ärmere Länder vor allem von China mit Vakzinen
  versorgt. Die Volksrepublik hat laut Statistik des Unternehmens Bridge
  Consulting aus Beijing inzwischen 831 Millionen Impfdosen ins Ausland
  geliefert; darunter waren 66 Millionen Impfdosen, die gespendet wurden.[7]
  Gut 61 Millionen Dosen gingen nach Afrika, mehr als ein Drittel der
  insgesamt 177 Millionen Dosen, die bislang dort eintrafen; 12,8 Millionen
  Dosen wurden von Beijing gespendet. In Marokko hat zudem die Teilproduktion
  des Vakzins von Sinopharm begonnen. Chinesische Konzerne lieferten bislang
  mehr als 236 Millionen Dosen nach Lateinamerika, darunter 96 Millionen Dosen
  nach Brasilien. Über 480 Millionen Dosen gingen in die
  Asien-Pazifik-Region - 191 Millionen nach Indonesien, 34 Millionen auf die
  Philippinen, 48 Millionen nach Pakistan, knapp 30 Millionen nach
  Bangladesch. Eine Teilproduktion chinesischer Impfstoffe findet unter
  anderem in Indonesien und in Brasilien statt. Vakzine aus China wurden
  außerdem in einige Länder Ost- und Südosteuropas geliefert, so etwa nach
  Ungarn (4,5 Millionen Dosen), Serbien (4,2 Millionen Dosen) und in die
  Türkei (31,4 Millionen Dosen). Die Lieferungen chinesischer
  Vakzinproduzenten ins Ausland erreichten zuletzt ein Volumen von mindestens
  30 Millionen Impfdosen pro Woche.
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  Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8710/
  
  
  [1] Amnesty International: A Double Dose of Inequality. Pharma Companies and
  the Covid-19 Vaccine Crisis. London, September 2021.
  
  [2] Christina Berlinghof: Warum landen weltweit so viele
  Corona-Impfstoffdosen im Müll? web.de 05.09.2021.
  
  [3] BioNTech Announces Second Quarter 2021 Financial Results and Corporate
  Update. investors.biontech.de 09.08.2021. S. auch Die Pandemie als Chance.
  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8595/
  
  [4] Siegfried Hofmann: Biontech wird zum Booster für den Pharmastandort
  Deutschland. handelsblatt.com 08.09.2021.
  
  [5] Eva Müller, Martin Noé: "Mit Biontech entsteht wieder ein eigenständiger
  Pharmakonzern in Deutschland". manager-magazin.de 16.09.2021.
  
  [6] Impfstoff kurbelt Wirtschaft an: Biontech sorgt allein für ein halbes
  Prozent Wachstum in Deutschland. handelsblatt.com 10.08.2021.
  
  [7] China Covid-19 Vaccine Tracker. bridgebeijing.com. Updated as of
  September 13, 2021.
  
  
  
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