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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 2. September 2021; 01:57
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Flucht aus Afghanistan:

> Flüchtlinge: Mehr Effizienzdenken nötig?

Nachfolgender Text wurde bereits im Juli verfaßt - die darin erwähnte
baldige Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan ist mittlerweile
Fakt. Die Debatten über Afghanen in Österreich haben sich daher zwar etwas
verschoben, die hier vorgestellten Diskussionsansätze sind deswegen aber
nicht weniger aktuell. Allerdings muß der Redakteur der akin sagen, daß ihm
ein wenig mulmig bei diesem Text ist. Aber vielleicht ist eine derart
kynische Art der Herangehensweise an die Problematik sinnvoller als die
bisherigen Frontlinien der Debatten.


> Mehr abschieben oder besser integrieren?

Von *Karl Czasny*

In der Nacht auf den 26. Juni 2021 stirbt die dreizehnjährige Leonie,
nachdem sie davor mit bis zu elf Ecstasy-Tabletten betäubt und mehrfach
vergewaltigt wurde. In dringendem Tatverdacht stehen vier junge Afghanen.

Die Diskussion um mögliche Konsequenzen aus diesem schrecklichen Verbrechen
wogt im Spannungsfeld zwischen zwei Standpunkten, die gegensätzlicher nicht
sein könnten. Während die einen vermehrtes und zügigeres Abschieben von
nicht-integrationswilligen Asylwerbern befürworten, fordern die anderen
früher einsetzende und intensivere Integrationsbemühungen. Ich möchte hier
einen Vergleich zwischen beiden Positionen anstellen, der den ewigen Streit
zwischen rechten Sicherheitsfetischisten und linken Gutmenschen kurz
beiseitelässt und sich dem Sicherheitsthema mit nüchternem Effizienzdenken
nähert. Aus dieser Perspektive geht es nur um zweierlei. Erstens um die
Frage, welche der beiden zur Diskussion stehenden Strategien künftig zu
einer stärkeren Reduktion der Anzahl derartiger Verbrechen führen könnte.
Und zweitens um eine Kosten-Nutzen-Bilanz bei den gesellschaftlichen
Nebenfolgen der jeweils gewählten Sicherheitsstrategie.

Meinem Vergleich liegt eine kriminalsoziologische Modellierung zugrunde,
welche die komplexe Ausgangslage zwar stark vereinfacht, dafür aber die
Sicht auf den in vielen einschlägigen Diskussionen zu wenig beachteten
Effizienzaspekt erleichtert. Vor dem Hintergrund der Kriminalstatistik der
Jahre 2019 und 2020 unterstellt diese Modellierung, dass von den etwa 45.000
in Österreich lebenden Afghanen rund 1 Promille, also 45 Personen, in den
letzten 5 Jahren eine Vergewaltigung begangen haben. Eine bloße
Unterstellung ist diese Annahme aus zwei Gründen: einerseits überschätzt sie
die tatsächliche Anzahl einschlägiger Straftaten, weil die Kriminalstatistik
nur Verdächtigungen (also keine durch Gerichtsurteil bestätigten
Tatbestände) zählt. Andererseits sind in ihr die bereits vor 2019
gerichtlich bestätigten Vergewaltigungen nicht mehr enthalten.

Ferner geht die Modellierung davon aus, dass die seit dem Abschluss eines
Rückführungsabkommens mit der afghanischen Regierung im Oktober 2016
durchgeführten rund 1.500 Abschiebungen von Afghanen weitere fünf
Vergewaltigungen verhindern konnten. Diese Zahl ist natürlich nicht
empirisch belegbar, da ja kriminelle Handlungen, die nicht stattgefunden
haben, nicht beobachtet bzw. gezählt werden können. Sie resultiert vielmehr
aus der Annahme, dass in der Gruppe der Abgeschobenen eine im Vergleich zur
Gesamtheit aller Afghanen deutlich höhere Tendenz zum Begehen einer
Vergewaltigung besteht. Setzt man einen auf das Dreifache erhöhten Wert an,
dann resultieren (bei entsprechender Rundung) die genannten fünf durch
Abschiebung verhinderten Straftaten.


Der so modellierten Entwik-klung der vergangen fünf Jahre stelle ich nun
zwei alternative Abläufe gegenüber, die eingetreten wären, wenn entweder die
Sicherheitsfetischisten oder die Gutmenschen vermehrt Einfluss auf das
Geschehen genommen hätten.

Bei der ersten Variante wäre die Anzahl der Abschiebungen im allerbesten
Fall doppelt so hoch gewesen, wodurch man nicht bloß fünf, sondern zehn
Vergewaltigungen verhindert hätte, sodass statt 45 nun 40 Verbrechen des
genannten Typs zu beklagen wären.

Bei der zweiten Variante hätte man die Integrationsbemühungen derart
intensiviert und verbessert, dass bei der Gesamtgruppe der in Österreich
lebenden Afghanen ein leichtes Sinken der Wahrscheinlichkeit von
Vergewaltigungsdelikten eingetreten wäre - vielleicht von derzeit 1 auf 0,9
oder 0,8 Promille. Die relative Häufigkeit dieses Delikts bei den Afghanen,
die aktuell rund 10 Mal so hoch ist wie bei der inländischen Bevölkerung,
wäre damit zwar auf das bloß 9- bzw. 8-fache des Vergleichswerts bei den
Inländern reduziert. Beim Zählen der absoluten Häufigkeiten würde das aber
nur einem Rückgang von 45 auf 41 bzw. 36 einschlägige Delikte entsprechen.

Selbstverständlich hätte keine der zwei hier verglichenen Strategien das an
Leonie begangene Verbrechen mit Sicherheit verhindert. Das Ergebnis dieser
Gegenüberstellung zeigt jedoch, dass im Prinzip beide Vorgehensweisen die
Wahrscheinlichkeit für das Auftreten derartiger Untaten in ähnlichem Ausmaß
reduzieren können. Zumindest kurz- und mittelfristig ist dieses Ausmaß
leider auch bei der die Probleme an ihrer Wurzel packenden
Integrationsstrategie nicht sehr groß. Deren wesentlicher Vorteil gegenüber
der Abschiebe-Variante besteht allerdings darin, dass es bei ihr
ausschließlich an uns selbst liegt, in welchem Ausmaß wir unsere
Sicherheitsbemühungen intensivieren. Während wir nämlich jederzeit eine
Verstärkung unserer Integrationsanstrengungen beschließen können, wird unser
Aktionsspielraum bei den Abschiebungen ganz wesentlich von der politischen
Entwicklung im jeweiligen Herkunftsland der Asylwerber und von den durch die
Menschenrechte gesetzten Schranken eingeengt. In diesem Sinn ist es höchst
zweifelhaft, ob es überhaupt möglich gewesen wäre, die in der ersten
Variante unterstellte Verdoppelung der Abschiebehäufigkeit zu realisieren.


Ebenso wichtig wie die unmittelbaren Resultate einer bestimmten Strategie
zur Kriminalitätsbekämpfung ist das jeweilige Bündel an gesellschaftlichen
Nebeneffekten. Und hier stoßen wir dann auf drei weitere große Vorzüge der
Integrationsstrategie.

Der erste zeigt sich beim Blick auf die Empfänger der Gelder, die jeweils
fließen müssen, um die gewünschte Ausweitung der Sicherheitsaktivitäten in
die Wege zu leiten. Bei der Beschleunigung von Abschiebungen fließen diese
Gelder in die Kassen jener oft sehr düsteren Gestalten, welche die
Herkunftsländer der abzuschiebenden Asylwerber regieren. Handelt es sich
dabei um Afghanen, werden das schon demnächst die kurz vor der
Machtübernahme stehenden Taliban sein. Im Fall vermehrter
Integrationsbemühungen kommen die zusätzlich fließenden Gelder dagegen zur
Gänze unserem eigenen Wirtschafts- und Sozialgefüge zugute. Daran sind vor
allem die Anhänger von Herbert Kickl zu erinnern, aus dessen Feder der
Slogan "Unser Geld für unsere Leut'" stammt.

Der zweite Vorteil der Integrationsstrategie wird deutlich beim Blick auf
die sozialen und ökonomischen Effekte, welche mit den bei beiden Strategien
einzusetzenden Finanzmitteln erzielt werden. Während diese Effekte bei der
Abschiebestrategie ausschließlich in den jeweiligen Herkunftsländern der
Abgeschobenen zum Tragen kommen, profitieren im anderen Fall wir selbst.
Denn hier werden Potentiale des sozialen Zusammenhalts auf verschiedensten
Ebenen mobilisiert und die Einkommensmöglichkeiten von in Österreich
lebenden Menschen verbessert, sodass sich die in der aktuellen Krisenzeit so
wichtige Widerstands- und Regenerationsfähigkeit unserer Gesellschaft
erhöht.

Der dritte Vorteil der Integrationsstrategie folgt unmittelbar aus dem
zweiten: Wo sich die Integration von Zuwanderern und der soziale
Zusammenhalt einer Gesellschaft verbessern, sinkt auch die Gefahr von
islamistischer Radikalisierung, was in weiterer Folge zu einem
entsprechenden Rückgang der Terrorgefahr führt.

Damit muss ich aber am Schluss nun doch noch einmal auf den Streit zwischen
linken Gutmenschen und rechten Sicherheitsfetischisten zurück kommen. Zeigt
doch die Gesamtbilanz des nüchternen Effizienzvergleichs, dass erstere die
bei weitem effizienteren Sicherheitsmanager sind.

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