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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 24. Juni 2021; 06:14
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  Sport/Kultur/Staat/Prinzipielles:
  
  > Die immer noch gefickten Proleten
  
  Zu Fußball, Wahlrecht, dem dreckigen Wien und den besseren Leuten
  
  
  Zwei Themen der letzte Woche in den Massenmedien haben mehr miteinander zu
  tun, als man auf den ersten Moment glauben möchte: Die Diskussion um
  Erleichterungen zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und der Ausraster von
  Marko Arnautovic.
  
  Dabei geht es nicht darum, daß bei Fußballern und anderen Stars Einbürgerung
  und Doppelstaatsbürgerschaft so völlig unproblematisch sind, während es für
  normale Menschen ein Spießroutenlauf ist, einen österreichischen Paß zu
  bekommen -- oder sogar unmöglich.
  
  Arnautovic ist ein gebürtiger Floridsdorfer mit österreichischer Mutter,
  väterlicherseits über den Vater aber "Balkaneser" (wie das ein anderer
  großer Ballesterer, der Schwede Zlatan Ibrahimovic einmal über sich sagte).
  Arnautovic meinte eben jetzt in jenem balkanesisch-südslawischen Idiom, das
  man früher Serbokroatisch nannte und das seit den Kriegen keine Namen mehr
  hat, zu einem anderen Balkaneser: "Ich ficke deine Mutter!" und gab mit
  Handzeichen zu verstehen, daß er ihn für ein Arschloch hält. Bekannt ist
  auch, daß der andere Balkaneser vorher schon ähnliches von sich gegeben
  hatte, nur das halt nicht live im Fernsehen. Nach dem Spiel haben sich die
  beiden versöhnt und umarmt, wie man das am Balkan eben so macht.
  
  Das hat aber noch einen ganz anderen Aspekt. In den Sozialen Netzwerken
  meinten die meisten Wiener -- bis auf ein paar PC-Bobos --, daß die
  Aufregung bei der UEFA nur deppat gewesen sei, weil bei uns redt ma hoit a
  so. Und am Fußballplatz erst recht. Wenn da einer von der Tribüne schreit:
  "Du schworze Sau, i waaß, wo dei Auto steht!" käme ja selbst der
  angesprochene Schiedsrichter nicht auf die Idee, daß das eine ernsthafte
  Drohung sein könnte, sondern würde verstehen, daß es sich dabei lediglich um
  eine mit erdigem Charme vorgetragene Kritik an seinem Gepfeife handelt.
  Fußball generell ist ein Ersatzkrieg, wo es möglich ist, dementsprechende
  Emotionen zu kanalisieren -- und zwar im positiven Sinn.
  
  Wien gehört eben unzweifelhaft auch zum Balkan. Was von der Politik gerne
  als genant angesehen wird, aber diese Stadt erst lebenswert macht. Dieses
  Balkanische in Wien hat aber noch einen anderen Aspekt: Einen proletarischen
  eben. Denn wenn auch Arnautovic und Co. heute Millionäre sind, so entstammen
  sie doch Arbeiter-Traditionen wie die meisten Fußballer. Das ist aber in
  Wirklichkeit das, was man im offiziellen Fußball wegbekommen möchte.
  Verwandt damit ist das Verbot für Teamtrainer, bei Fernsehübertragungen in
  der Betreuungszone zu rauchen, weil das ein schlechtes Vorbild abgäbe. Oder
  die Stadionverbote für Fußballfans, wenn sie kritische Transparente
  aufhängen. Da gehts dann auch gar nicht um Sauberkeit oder Bekämpfung von
  Hooliganismus, sondern darum, daß man die Bandenwerbung ungestört im
  Fernsehen zeigen kann. (1)
  
  Es scheint, als wollten die hohen Herren in dieser Sportindustrie Fußball zu
  einem Upper-Class-Sport wie Golf oder Polo stilisieren, ohne aber dabei auf
  die proletarischen Fans verzichten zu müssen, auf die man in Wirklichkeit
  aber herunterschaut.
  
  Und genau hier ist der Berührungspunkt mit der Staatsbürgerschaftsdebatte.
  Man kann der SPÖ dankbar sein, daß sie dieses Thema jetzt aufs Tapet
  gebracht hat. Allerdings ist ihr Vorschlag recht mutlos -- die
  Mindesteinkommensregeln und einiges andere sollen bleiben, anstatt darauf zu
  dringen, wieder zu den Bestimmungen vor den zahlreichen Verschärfungen seit
  2006 zurückzukehren. Wenn Herr Wöginger meint, dies wäre ja nur dazu da, die
  Mehrheitsverhältnisse in Österreich zu verändern, kann man ihm zwar nicht
  zustimmen, weil das nicht die Intention der SPÖ sein kann, da man dort nicht
  davon ausgehen kann, daß Eingebürgerte mehrheitlich sozialdemokratisch
  wählen würden. Allerdings ist Wögingers Statement insofern nicht ganz
  falsch, weil das Staatsbürgerschaftsrecht heute so aussieht, daß man
  eigentlich nur Menschen einbürgert, die die meiste Affinität zu der ÖVP
  haben und ansonsten höchstens noch Grüne oder NEOS wählen würden, denn am
  Leichtesten haben es westeuropäische EU-Bürger mit gutem Einkommen. Proleten
  vom Balkan, aus Polen oder aus Anatolien haben da deutlich schlechtere
  Chancen.
  
  Darum geht es aber sehr wohl: Die Arbeiterschaft ist heute zu einem nicht
  unerheblichen Teil migrantisch geprägt -- die Erschwernisse, zu
  Staatsbürgerschaft und Wahlrecht zu kommen wirken hier also wie das
  Zensuswahlrecht in der Monarchie.
  
  Jörg Leichtfried ist zu danken, daß er diesen Aspekt bei "Im Zentrum"
  wenigstens andeutete, in dem er meinte: "Das Frauenwahlrecht wäre nie
  gekommen, wenn man dazu vorher Umfragen gemacht hätte." Genau das ist es:
  Man fragt Menschen, die das Wahlrecht haben, ob es auch andere haben
  sollen -- das ist nicht nur klassisches divide et impera, sondern ganz
  typisch für das Machtgefüge sogenannt demokratischer Systeme: Diejenigen,
  die von einem bestimmten politischen System profitieren sind die gleichen,
  die darüber entscheiden können, ob es geändert wird. Das Wahlrecht der
  Arbeiterklasse genauso wie das Frauenwahlrecht oder auch die Republik als
  solche sind erkämpft worden -- freiwillig hätten die jeweils Hohen Herren
  das nicht gewährt.
  
  Darum geht es letztendlich: Um die Unterdrückung der Rechte und der Kultur
  der proletarischen Klassen -- und genau deswegen erscheint es nötig, die
  Hackler mit und ohne Staatsbürgerschaft gegeneinander auszuspielen.
  
  Diese Sauberkeitsphantasien der UEFA passen dazu aber wunderbar. Bei mir
  zuhaus in Hernals neben der Mannerfabrik steht auf einer Parkbank: "Wien
  bleibt dreckig!" Darum gehts, denn das ist eine Kampfansage an die noblen
  Chefitäten in der Republik und der EU, die -- mit dem, was sie für Stil
  halten -- auf die Unterschichten scheissen. Wie lange sie das noch weiter
  so nonchalant können, bleibt abzuwarten.
  
  *Bernhard Redl*
  
  
  
  (1) siehe auch akin 9/2004, Fußball im Kapitalismus,
  https://akin.mediaweb.at/2004/09/09fussba.htm
  
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