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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 24. Juni 2021; 06:11
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  Ö/Demokratie:
  
  > Das Führerprinzip
  
  Es kann gar keine demokratischen Parteien geben
  
  
  Generell ist Demokratie zumeist eine Chimäre -- man sehe sich die
  Präsidentwahlen im Iran oder den USA an. In beiden Staaten sorgt das
  politische System dafür, daß es keine wirkliche Auswahl gibt. Im Iran ist
  man da allerdings ehrlicher und sagt klar, wer Präsident werden darf und wer
  nicht, während man in den USA behauptet, daß jeder Mensch, der dort geboren
  worden sei, in das höchste Amt gewählt werden könnte, selbst dann, wenn er
  nicht von einer der beiden Staatsparteien nominiert worden wäre.
  
  Was es aber gar nicht gibt und auch nicht geben kann, ist parteiinterne
  Demokratie. Das haben die Grünen auf ihrem Bundeskongress gerade wieder
  vorgeführt. Sie haben sich da zwar gerade wieder selbst gelobt, wie
  demokratisch sie seien, weil ein einzelner Antrag nicht beschlossen worden
  ist, aber wenn man genau hinsieht, war dem wohl nicht so.
  
  Was war der Inhalt dieses Antrags? Erstens sollte der Parteichef direkt in
  einer Urwahl bestimmt werden.
  
  Daß so etwas ausgeht wie das Hornberger Schießen ist klar -- der
  Prominenteste gewinnt. Auf denjenigen haben sich üblicherweise auch schon
  vor der Wahl die Spitzenleute der Partei geeinigt, wenn sie nicht sowieso
  schon selbst für dessen Prominenz gesorgt haben. Denn um in diese
  Spitzenfunktionen aufzusteigen, gibt es ein informelles Mentorensystem, das
  sich die zu ihnen passenden Leute holt -- das ist in jeder Partei so,
  deswegen natürlich auch bei den Grünen. Es ist auch verständlich, denn wer
  will schon gezwungen sein, mit Leuten zusammenarbeiten zu müssen, die von
  irgendeiner Basis delegiert wurden. Da kann man dann einfach keine
  einheitliche Linie mehr fahren.
  
  Wenn man aber doch zumindest versucht, da andere Wege zu gehen, und einen
  ernsthaften Wahlkampf ohne Vorgaben zu führen, endet das meist unschön.
  Bislang glimpflich verlaufen ist es bei der deutschen Sozialdemokratie --
  der bisherige Parteizampano und Vizekanzler Olaf Scholz wollte neuer
  Vorsitzender werden, es gelang ihm aber nicht, weil die Urwahl anders
  ausging. So, jetzt ist er dafür Kanzlerkandidat der SPD, weil das der
  Apparat halt so wollte. Aber gut, bei der SPD gibt es ja durchaus die
  Tradition einer Trennung von Parteivorsitz und Spitzenkandidatur. Zumindest
  ist das eine schöne Ausrede.
  
  Wo es mit Ausreden nicht mehr zu beschönigen war, war das Experiment einer
  Urwahl bei der britischen Labour Party. Jeremy Corbyn wurde vom Parteivolk
  gewählt und von den Abgeordneten offen abgelehnt. Letztlich hat man ihn
  rausgeekelt -- von der Warte der Partei aus betrachtet auch zu Recht, denn
  ein Vorsitzender, der in essentiellen Fragen eine andere Meinung hat als der
  Großteil der Fraktion ist unbrauchbar, weil man dann nicht mehr weiß, wofür
  die Partei steht.
  
  Das beste Beispiel für die Unmöglichkeit einer demokratischen Urwahl
  allerdings haben die hiesigen Grünen selbst geliefert -- mit wirklich viel
  Aufwand wurde auf Wiener Landesebene 2018 ein durchaus egalitärer Wahlkampf
  geführt, die Kandidaten durften sich so präsentieren, daß keine Frage offen
  blieb, und so trat das diesbezügliche Wahlvolk an die Urne. Das Ergebnis der
  Wahl kennen wir alle und wir wissen auch wie es Birgit Hebein nach der
  Landtagswahl erging -- wenn der Apparat nicht will, ist alles vergebens.
  
  Daher kann man wohl davon ausgehen, daß bei einer Urwahl in der Bundespartei
  der Apparat schon dafür sorgen würde, daß da nicht die falsche Person
  gewählt wird. Abgesehen davon hat sich ja bei diesem Entwurf der Apparat
  auch das Vorrecht gesichert, in einer von ihm selbst definierten
  Notsituation den Vorsitzenden auch durch den Erweiterten Bundesvorstand
  (EBV) wählen zu können. Und damit das nicht schiefgeht, hat man auch schon
  vorher in einem sehr wohl durchgedrückten Antrag dafür gesorgt, daß es keine
  Basisdelegierten mehr im EBV gibt.
  
  Wohlgemerkt ist auch das nur richtig und konsequent für eine Partei in einem
  politischen System, wie es hierzulande aufgesetzt ist -- Leute, die von der
  Basis gewählt worden sind, haben in einem solchen Spitzengremium nichts
  verloren, wenn man eine schlagkräftige geeinte Partei sein will. Da braucht
  man Leute, die dank eben dieses Mentorensystems einigermaßen eines Sinnes
  sind.
  
  Der zweite Teil dieses Antrags hätte im Gegenzug mehr formale Macht für den
  Bundesvorsitzenden bedeutet: Er hätte sich zwei Kandidaten für die
  Bundesliste nach eigenem Gutdünken aussuchen dürfen -- ganz ohne jede Wahl.
  Faktisch wäre damit aber auch nichts anders geworden, denn genau das
  passiert ohnehin: Platz 2 und 3 bei der letzten Wahl wurden bereits
  frühzeitig öffentlich vorgestellt und es hätte eine Blamage für die
  Bundesspitze bedeutet, wenn diese beiden abgelehnt worden wären -- und das
  wollte dann halt auch niemand. Die Tatsache aber, daß der erste Listenplatz
  vom Vorsitzenden selbst eingenommen wird, ist überhaupt niemandem mehr
  aufgefallen, genausowenig wie bei der EU-Wahl knapp davor, wo auch von oben
  herab bestimmt wurde, wer Platz 2 auf der Liste bekommt. Das Interesse, daß
  diese Bestimmung einer offiziellen Kandidatenbestellung von oben durchgeht,
  war also nur darin gelegen, eine bisherige Praxis zu legitimieren und die
  Optik zu verbessern.
  
  Der dritte Teil des Antrags betraf die Bestimmung, daß für die Bundesliste
  überhaupt nur gewählt werden dürfte, wer vorher ebenfalls an
  aussichtsreicher Stelle der Landeslisten gewählt worden ist. Das allerdings
  führte zum meisten Protest -- denn damit hätte man das "10.Bundesland", also
  die Organisation der ethnischen Minderheiten bei den Grünen, die den selben
  Status wie eine Landesorganisation haben, krass benachteiligt. Denn
  schließlich haben die keine Landesliste.
  
  Der Antrag wurde also abgelehnt -- sehr zur Frustration der
  Statutenarbeitsgruppe, deren Vertreter ständig betonten, wie anstrengend
  doch der Entscheidungsfindungsprozeß gewesen sei und man jetzt erst von
  Argumenten gehört habe, die man doch schon vorher einbringen hätte können.
  Auch hier zeigt sich das sich selbst versichernde System einer Partei:
  Offensichtlich wollte man bestimmte Argumente nicht hören oder nicht mit
  bestimmten Leuten reden. Das ist auch nur logisch, denn eine wie auch immer
  geartete Basis hat die Spitzen zu unterstützen und nicht zu stören.
  
  Nach diesem Beschluß kamen dann noch in geraffter Form ein paar Anträge, von
  denen die meisten sehr kritisch gegenüber der Regierungspolitik waren und
  auch ohne weiteres angenommen wurden. Das allerdings nahm die Spitze einfach
  hin, weil diese Art von Beschlüssen nicht die geringste Bedeutung haben --
  denn sie sind nicht bindend und können es auch gar nicht sein, weil die
  Spitzen und da vor allem die Ministerriege sowieso wissen, daß die
  Parteimehrheit etwas anderes will, sie aber entweder nicht Willens oder
  nicht in der Lage sind, das umzusetzen.
  
  
  Das soll jetzt kein Grün-Bashing sein, nur wurde das Prinzip autoritärer
  Strukturen auf diesem Parteitag einfach sehr deutlich. Bei den Plena anderer
  Parteien merkt man das nur kaum mehr, weil das sowieso Feierstunden sind,
  und diese undemokratischen Strukturen dort auch von den Delegierten voll
  akzeptiert sind. Allen Beteiligten ist dort klar, daß das politische System,
  das sich Demokratie nennt, auf Führerparteien abstellt -- direkte Demokratie
  gibt es nicht, Abgeordnete haben faktisch kein freies Mandat und in der
  Öffentlichkeit sind lediglich einige wenige Spitzen präsent. Sprich: In
  Wirklichkeit geht es nur so, denn in der Wahlzelle interessiert den
  Kreuzerlmachberechtigten, welche Partei ihm am glaubwürdigsten das meiste
  von dem verspricht, was er auch möchte, und dann vielleicht auch noch, ob
  diese Partei tatsächlich eine Chance hat, das auch durchzusetzen. Hingegen:
  Ob die Partei innere Demokratie auch wirklich lebt, ist ihm so ziemlich
  scheißegal.
  
  Will man Parteien, die demokratisch nach innen wie nach außen sind, müßte
  man das politische System ändern. Nur beißt sich auch hier die Katze in den
  Schwanz: Das müßten genau diese Parteien nämlich tun, die von diesem System
  profitieren und gar keine Interesse an einer Änderung haben.
  
  
  Für die Grünen ist das Ganze natürlich besonders blöd -- denn die heften
  sich ja so gerne auch ihre interne Demokratie auf ihre Fahnen. Würden die
  Parteispitzen offen zugeben, daß diese Demokratie nur hinderlich ist und zu
  einer hierarchischen Top-Down-Struktur stehen, würden sie wohl doch noch
  demokratische Zustände in ihrer Partei evozieren, allerdings die letzten in
  ihrer eigenen Parteikarriere. Deswegen müssen sie bei ihrer Lebenslüge
  bleiben.
  
  Dennoch müssen wir, das Wahlvolk, aber noch lange nicht von jenem Kakao
  trinken, den Erich Kästner einst so schön beschrieben hat.
  
  *Bernhard Redl*
  
  
  
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