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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 10. Juni 2021; 07:26
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  VERWORTET
  
  "Straße"
  
  "Da sitzt einer auf der Straße und spielt Flöte!" So oder ähnlich muß 1988
  ein Telefonanruf geklungen haben, der bei der Polizei einging. Die Beamten
  rückten aus und retteten die nach Dienstjargon "irrsinnige Person" vor sich
  selbst -- so dachten sie jedenfalls.
  
  Der vermeintlich Irrsinnige war ich. Der Anruf war auch korrekt: Ich saß auf
  der Straße. Aber eben nicht auf der Fahrbahn, sondern vom Autoverkehr völlig
  ungefährdet auf einer Böschung oberhalb. Der Anrufer wollte keinen
  Selbstgefährder melden, sondern lediglich jemanden, der seinem Ordnungssinn
  nicht entsprochen hatte. Oder weil ihn mein tatsächlich schauderhaftes Spiel
  empörte. Die Beamten hingegen waren schlicht der Meinung gewesen, mit Straße
  sei die Fahrbahn gemeint.
  
  Diese Begrifflichkeit von "Straße" ist mittlerweile Allgemeingut. Vor rund
  hundert Jahren war eine Straße einfach nur eine lange Verkehrsfläche -- der
  Siegeszug des Autos hat das völlig verändert. Der alte Ausdruck
  "Autostraße", wie in die StVO immer noch kennt, klingt heute seltsam -- denn
  wofür sollte denn eine Straße sonst gut sein als für Autos? Denn für die
  Nichtmotorisierten gibt es keine Straßen; für die gibt es Wege: Gehwege,
  Radwege, Reitwege -- also niederrangige Verkehrsflächen, die
  selbstverständlich Nachrang gegenüber dem "Straßenverkehr", also den
  Motorisierten, haben.
  
  So ist auch klar, daß eine Autobahn eine Straße ist, wo sich Autos ihre Bahn
  durch die Landschaft brechen können, während eine Radbahn eine Einrichtung
  in einem Sportstadion ist.
  
  Ganz so einfach ist das mit den Autobahnen und -straßen aber auch nicht. Das
  hängt nämlich davon ab, wen man fragt oder besser: welches Gesetz man liest.
  Autobahnen und Schnellstraßen sind Bundesstraßen. "Bundesstraßen" hingegen
  nicht. "Bundesstraßen" waren einmal Bundesstraßen, sind aber seit 2002
  Landesstraßen und werden als "Landesstraßen B" bezeichnet. Außer in Wien und
  Vorarlberg, jenen zwei Bundesländern, die immer Extrawürschteln haben: In
  Vorarlberg bekommen sie statt einem B ein L und in Wien heissen sie
  "Hauptstraßen B". Alles klar?
  
  Autostraßen hingegen gibt es nur in der StVO. Denn während eine Autobahn
  nach ASFINAG-Definition immer auch straßenverkehrsrechtlich eine Autobahn
  ist, kann eine Autostraße auch eine Schnellstraße nach ASFINAG sein. Oder
  eine Landesstraße B. Die dann oft eher ausschaut wie eine Autobahn.
  
  Was hingegen eine "Stadtstraße" sein soll, ist noch nicht geklärt. Es
  scheint sich dabei um einen euphemistischen Neologismus aus der PR-Schmiede
  des Wiener Rathauses zu handeln. Das klingt nämlich so schön harmlos -- und
  natürlich nicht wie eine Verbindungsstraße zwischen zwei Autobahnen. Sonst
  könnte man ja auch auf die Idee kommen, die Stadtstraße Aspern hätte
  irgendwas mit dem Lobautunnel zu tun.
  
  Schon 2016 sagte dazu die damalige Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou zur
  'Wiener Zeitung': "Wir arbeiten in der Wirklichkeit. Für eine Debatte ist es
  zu spät."
  
  Aber wenigstens kann man sprachlich die Autoparadiese downgraden und so wird
  aus einer Ringautobahn eine Schnellstraße und aus einer Zubringerautobahn
  eine Stadtstraße.
  
  Würde ich aber dann auf dieser Stadtstraße Flöte spielen, hätte ich
  Verständnis dafür, von der Polizei für eine "irrsinnige Person" gehalten zu
  werden. Bleibt nur noch die Frage zu klären, wer da sonst noch irrsinnig
  ist. -br-
  
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  In der Rubrik VERWORTET stellt die akin regelmäßig Wörter oder Phrasen vor,
  deren allgemeiner Gebrauch nicht ganz koscher ist. Wer dabei mitmachen will,
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