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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 10. Juni 2021; 08:20
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  Recht:
  
  > Schutzhaft light
  
  Sind wir nicht alle irgendwo Terroristen?
  
  Es war ein Dreifachschlag der Regierung. Zuerst war da die Geschichte mit
  der israelischen Fahne, dann die Islamlandkarte. Beides sorgte für gehörige
  Aufregung, hierzulande und international. Dazwischen war etwas, was nicht
  viel Aufregung verursachte, weil es als menschenrechtliche Verbesserung
  daherkam und mit neuem Wording: Die an sich schon lang überfällige Reform
  des "Maßnahmenvollzugs". Allerdings könnte das einen weitaus größeren Impact
  haben als die Fahnen- und die Kartengeschichte. Denn es läßt sich deuten,
  daß damit die von der ÖVP im Regierungsübereinkommen genauso wie nach dem
  Allerseelenmassaker geforderte Schutzhaft auf den Weg gebracht wird.
  
  Zum einen ist da der nette Teil dieser Reform, den die grüne
  Justizministerin präsentieren durfte: Ab Rechtskraft der Reform werden die
  Hürden für eine solche Einweisung deutlich erhöht -- bislang konnte es ja
  ausreichend sein, wenn jemand in Rage "I bring eich olle um!" geschrieen
  hat, um in der Maßname zu landen und dort für lange Zeit zu verbleiben.
  
  In den Bereichen "entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher" (§168 StVG) und
  "geistig abnorme Rechtsbrecher" (§164 StVG) soll es also in Hinkunft humaner
  zugehen. Und Alma Zadic präsentierte sogar auf Facebook auch die
  "sprachliche Änderung", daß in Hinkunft es nicht mehr "Anstalt für geistig
  abnorme Rechtsbrecher" heissen solle sondern "forensisch-therapeutisches
  Zentrum" -- mit der Begründung: "Sprache beeinflußt unser Denken".
  Eingesperrt werden die Leute aber wohl trotzdem dort sein.
  
  Die andere Seite dieser Reform ist die, die der Oberleutnant im
  Innenministerium bei der Pressekonferenz vorstellte: Künftig sollen auch
  terroristische Straftäter als "gefährliche Rückfalltäter" eingestuft werden
  können und somit im Maßnahmenvollzug untergebracht werden können. "Zum
  ersten Mal in der Zweiten Republik" werde so etwas möglich sein, so
  Nehammer. Damit sei die "Möglichkeit gegeben, besonders gefährliche
  Terroristen länger hinter Gittern zu belassen."
  
  Da stimmt dann aber so einiges nicht. Erstens einmal war das schon bisher
  möglich -- galt nur seit einer Reform von 1987 als praktisch totes Recht: In
  den letzten Jahren saß so gut wie niemand mehr als "gefährlicher
  Rückfallstäter" in der Maßnahme. Theoretisch besteht diese Möglichkeit aber
  nach wie vor.
  
  Und zweitens: Welche Terroristen? Der einzige Terroranschlag der letzten
  Jahrzehnte war der zu Allerseelen und der Attentäter ist tot. Wenn Nehammer
  aber über "terroristische Straftäter" redet, meint er alle, die wegen einer
  der nach §278c StGB so definierten "terroristischen Straftaten" verurteilt
  worden sind. Da finden sich aber auch Straftatbestände wie etwa die
  Gutheißung ebensolcher Taten -- wer das Logo des IS im Web postet, ist dann
  schon ein Terrorist. Derlei Urteile hatten wir hierzulande schon. Auch wenn
  der obzitierte Rufer von "I bring eich olle um!" davor noch ein "Allahu
  Akbar!" gesetzt hat, kann das schon ausreichen. Diese Taten müssen auch gar
  nicht ausgeführt worden sein, es reicht ein wie auch immer nachzuweisendes
  Vorhaben. Und sie müssen auch nicht in Österreich passiert sein: Auch wenn
  jemand sich in einem befreundeten Staat nach der dortigen Definition als
  Terrorist betätigt haben soll, kann es hier zu einem Urteil führen. Wir
  erinnern uns an den Razzien bei den zumindest als solchen angesehenen
  Muslimbrüdern in Österreich -- vor allem auf Auftrag der Militärmachthaber
  in Ägypten, Hauptvorwurf: Terrorismusfinanzierung (§278d StGB). Das reichte
  zu keiner Anklage, aber immerhin waren diese Anti-Terror-Paragraphen ein
  guter Hebel, um Oppositionelle von anderswo hierzulande einzuschüchtern.
  
  Mit Realisierung der jetzigen Vorhaben -- noch gibt es ja nur Ankündigungen,
  wodurch die genaue Ausgestaltung der Gesetzesreform unklar ist -- wären die
  Hürden für eine Einweisung in die Maßnahme allerdings auch noch recht hoch.
  Es braucht zuerst eine Verurteilung zu einer Unbedingten von mindestens
  einem Jahr und dann eine zweite mit mindestens 18 Monaten, um eine
  "Maßnahme" zu begründen. Aber: Die Höchststrafen sind für Delikte mit
  Terrorismusbezug sowieso schon deutlich höher als ohne und der politische
  Druck auf die Richterschaft, ordentlich in den Schmalztopf zu greifen
  wächst. Gleichzeitig werden immer wieder Strafverschärfungen in diesem
  Bereich "angedacht". Und außerdem: Wenn einmal eine prinzipielle Neuregelung
  eines Gesetzes passiert ist, kann man recht leicht an solchen Hürden etwas
  ändern.
  
  Irgendwann sind wir dann alle Terroristen und dürfen im Maßnahmenvollzug
  darüber diskutieren, was wir falsch gemacht haben. Aus geschichtlichen
  Erfahrungen wissen wir, wie schnell so etwas gehen kann.
  *Bernhard Redl*
  
  
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