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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 10. Juni 2021; 08:33
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Medien/Soziales/Recht:
> Verfassungsrichterin Edtstadler
Oe24 titelt: "Streit um Mindestsicherung: Edtstadler fordert Verschärfungen
bei Sozialhilfe in Wien. Verfassungsministerin will Umsetzung von
VfGH-Entscheid." Damit hat die ehemalige Richterin sich wohl für höhere
Aufgaben empfohlen.
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Wie sagte Anneliese Rohrer so schön: "Was ich mir denke, ist, das ist
Stinkefingerpolitik, Stinkefinger fürs Parlament, Stinkefinger fürs
Höchstgericht". Jetzt wissen wir auch was Herr Pilnacek vom
Verfassungsgerichtshof hält. Und Pilnaceks Lieblings-VfGH-Richter hat jetzt
auch noch das Handtuch geworfen. Vom Bundesgesalbten himself wissen wir
hingegen, daß es ihm egal ist, wenn das Höchstgericht etwas aufhebt, was eh
nur kurzfristig in Kraft war. Weil das seien ja nur "juristische
Spitzfindigkeiten".
Das Verhältnis der ÖVP zum VfGH ist also nicht so ganz optimal. Das Bild,
das die Schwürkisen da abgeben, ist eher gewöhnungsbedürftig. Also muß
Verfassungsministerin Edtstadler ausrücken, um den Wiener Bürgermeister
auszurichten, er solle nicht soviel an der ÖVP kritisieren, sondern selbst
sich an Urteile des VfGH halten.
Eh, nein, eigentlich ist sie ja Bundeskanzleramtsministerin, zuständig für
den Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt. Aber "Verfassungsministerin"
klingt einfach mehr nach Autorität und die ihr wohlgesonnenen Medien
reproduzieren diese Titulierung gerne. Edtstadler ist es ja gewohnt, leicht
unpassende Titel zu tragen, war sie doch formell Oberstaatsanwältin in der
von ihr jetzt so wenig geliebten WKStA, in Wirklichkeit aber
Strafrechtsreferentin im Kabinett jenes Justizministers, der jetzt als
Verfassungsrichter das Handtuch geworfen hat -- mit mehr Schein als Sein
kennt sie sich also ganz gut aus.
Als Juristin weiß sie aber eigentlich auch, daß ihre jetzige Attacke auf die
Wiener Landesregierung juristisch nicht Hand und Fuß hat -- egal, den
ÖVP-nahen Medien, und die sind, was Reichweite angeht, mittlerweile beinahe
in der Mehrheit, reicht auch hier der Schein.
Denn Edtstadler tritt auf mit der Behauptung, die Wiener Landesregierung
würde es mit der Verfassungskonformität auch nicht so genau nehmen und ein
Erkenntnis des VfGH nicht umsetzen. Darüber ist sie empört.
Moment!?
Der Verfassungsgerichtshof hat etwas entschieden und die Landesregierung ist
verpflichtet, den Entscheid umzusetzen? Warum zwingt der VfGH -- notfalls
mit Hilfe des Bundespräsidenten wie im Fall Blümel -- die Landesregierung
nicht dazu?
Ah so, es ist ja keine Sache der Vollziehung, sondern ein Gesetzesbeschluß
des Landtags, der dem VfGH nicht paßt.
Das heißt, der VfGH hat ein Landesgesetz aufgehoben? Nein, auch nicht, weil
dann müßte die Stadt Wien (Regierung oder Landtag, ist eh alles dasselbe bei
der Edtstadler) das einfach zur Kenntnis nehmen und im Landesgesetzblatt
veröffentlichen.
Nein, auch nicht. Lediglich hat die Volksanwaltschaft in einem Bericht
behauptet, das Wiener Gesetz über die Mindestsicherung sei
verfassungswidrig, weil es nicht der Rahmengesetzgebung des Bundes
entspräche.
Nun, das kann man so sehen. Eigentlich fällt so eine Beurteilung nicht in
die Kompetenz der Volksanwaltschaft, weil die nur zuständig ist für das
Fehlverhalten von Behörden und Gerichten, wenn diese zum Schaden von Bürgern
agieren. Und diesbezüglich wird sie von der Verwaltung in Bund und Ländern
sowieso gerne ignoriert. Denn in diesem Bericht ist hauptsächlich von
Verfehlungen der Wiener Verwaltung die Rede, wenn Antragsteller verspätet
und nur mit gerichtlicher Hilfe die ihnen zustehende Sozialhilfe erhalten --
da müßte sich die Landesregierung tatsächlich bei der Nase und diese Kritik
ernst nehmen.
Das ist Frau Edtstadler aber natürlich egal. Dafür würde sie die Stadt Wien
sogar loben, wenn ihr es nicht so zuwider wäre, an einer SP-dominierten
Regierung irgendetwas gut zu finden.
Aber Edtstadler meint eben, ein Bericht der Volksanwaltschaft sei genauso
gut wie ein VfGH-Erkenntnis. Und dieses gäbe es ja schließlich auch noch.
Nur ist das halt nicht wahr. Der VfGH hat nämlich nicht über das Wiener
Landesgesetz entschieden, sondern über das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz 2019
des Bundes, also das Rahmengesetz. Der Entscheid hob dieses Gesetz in Teilen
auf, erklärte aber, daß der Bund die Kompetenz über die Erteilung von
Sozialhilfe sehr wohl in einer Rahmengesetzgebung an sich ziehen dürfe. Ob
das Wiener Landesgesetz verfassungskonform wäre oder nicht, stand hingegen
gar nicht zur Debatte.
Natürlich könnte die Bundesregierung jetzt beim VfGH eine Normenprüfung des
Wiener Landesgesetzes beantragen. Das wäre ja auch eine gute Gelegenheit,
wiedereinmal die Grünen zu demütigen, weil die das im Ministerrat mittragen
müßten. Nur: Man kann sich nicht sicher sein, ob der VfGH auch wirklich im
Sinne der Bundesregierung entscheidet und tatsächlich das Wiener Gesetz
aufhebt. Und man muß sich dann auch fragen lassen, warum nur Wien geklagt
wird -- denn von neun Bundesländern haben bislang ihre Sozialgesetzgebung
nur zwei an das Bundes-Rahmengesetz angepaßt. Was man übrigens auch im
Bericht der Volksanwaltschaft nachlesen kann. Aber fünf von diesen sieben
Bundesländern haben halt ÖVP-Landeshauptleute.
Also muß die Behauptung von Karoline Edtstadler reichen, das Wiener
Mindestsicherungsgesetz sei verfassungswidrig. Aber was weiß man, bei ihrer
beeindruckend parteitreuen Vita und Rechtskompetenz wäre sie ja geradezu
prädestiniert, derlei in Hinkunft auch bindend mitentscheiden zu können. Die
Nachfolge von Wolfgang Brandstetter im VfGH ist ja noch nicht geklärt. Und
den Pilnacek könnens jetzt wirklich nimmer dorthin setzen.
*Bernhard Redl*
VfGH-Erkenntnis:
https://www.vfgh.gv.at/medien/VfGH_zu_Sozialhilfe-Grundsatzgesetz__Hoechstsatzsyste.de.php#
https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_Erkenntnis_G_164_G_171_2019_12._Dezember_2019.pdf
Volksanwaltschaftsbericht:https://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/64oh3/42%20Wien%20Bericht%202020.pdf
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