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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 26. Mai 2021; 10:53
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Flucht/Justiz/Griechenland:

> Drakonische Strafen für Flüchtlinge

Die griechische Justiz will offensichtlich klarmachen, daß Flucht sehr wohl
ein Verbrechen sei. Dafür kann es schon mal auch lebenslange Haft geben. Und
die EU scheint dafür recht dankbar zu sein.


Mitte März wurden zwei afghanische Jugendliche aus dem abgebrannten Camp in
Moria zu jeweils 5 Jahren Haft verurteilt. Sie sind Teil jener Gruppe von 6
Flüchtlingen und Migranten, denen vorgeworfen wird, für den Brand
verantwortlich zu sein. Der Prozeß auf Lesbos fand unter strengen
Sicherheitsmaßnahmen statt, Beobachter von kritischen NGOs sollten möglichst
nicht dabei sein und wurden auch vor dem Gerichtsgebäude mit
Verwaltungsstrafen eingedeckt. Das Wenige, was vom Ablauf im Saal bekannt
ist, zeugt nicht gerade von einem fairen Verfahren. Die Website
Legalcentrelesvos.org berichtet: "Der Hauptzeuge - der Sprecher der
afghanischen Community - dessen Aussage zur Verhaftung der zwei Angeklagten
geführt hatte, erschien nicht zum Prozess und konnte von den Behörden nicht
ausfindig gemacht werden. Dennoch wurde seine schriftliche Aussage als
glaubwürdig erachtet."

Die beiden zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung 17 Jahre alt gewesenen Afghanen
hätten sogar 15 Jahre ausfassen können, wurden allerdings vom Vorwurf der
"Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" freigesprochen. Übrig
blieb nur der Vorwurf der Brandstiftung. Die beiden waren vor dem
Urteilsspruch schon ein halbes Jahr in der Untersuchungshaft gesessen --
gemeinsam mit vier weiteren Beschuldigten. Diese sind nach letzten
Informationen immer noch in U-Haft und sollen im Juni ihren Prozeß haben.


Haftjahrzehnte für Bootssteuermänner

Eine Jugendstrafe wegen Brandstiftung von 5 Jahren erscheint hart, ist aber
im Kontext mit der griechischen Justiz im Flüchtlingsbereich zu sehen.
Tatsächlich werden schon seit Jahren unter wohlwollender Beobachtung der
mitteleuropäischen Regierungen und weitgehender Ignoranz der hiesigen
Massenmedien Urteile wegen Schlepperei gefällt, die in ihrem Ausmaß für
viele Verurteilte lebenslänglich bedeuten -- und in vielen Fällen nicht
einmal echte Schlepper treffen.

Bereits vor 5 Jahren nahm zumindest die deutsche Öffentlichkeit ein wenig
Notiz von dieser Rechtspraxis, weil ein deutscher Pensionist in die Mühlen
der Justiz geraten war. Seine Frau und er hatten in der Ägäis ein Boot, in
dem sie in den Sommermonaten ihre Pension geniessen wollten, machten aber
2014 den Fehler, eine sechsköpfige syrische Familie von der türkischen Küste
auf eine griechische Insel überzusetzen. Das Paar dachte sich nichts dabei,
es war am hellen Tag und sie luden auf der Insel die Familie noch in einem
Restaurant zum Essen ein. Für die griechische Justiz war das gewerbsmäßige
Schlepperei und der damals 69jährige Pensionist wurde 2016 zu 16 1/2 Jahren
Haft verurteilt. Das Strafausmaß folgt dabei ziemlich genau einer üblichen
Taxe: 10 Jahre Haft als Grundstrafe plus ein Jahr pro Geschlepptem.

Erst nach zweieinhalb Jahren Haft konnte der Rentner ein Berufungsverfahren
erwirken, in dem er prompt freigesprochen wurde. Hilfreich war es da wohl,
daß auch die deutsche Öffentlichkeit an diesem Fall interessiert war. Bei
andere Beschuldigten ist das nicht der Fall -- zum Beispiel wurde im April
2021 auf Lesbos ein Syrer zu 52 Jahren Haft verurteilt. Der typische
Schlepper dürfte aber auch er nicht sein: "Wie er im Prozess schilderte,
floh der Angeklagte K. S. mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien
in die Türkei. Dort weigerte er sich, an dem türkischen Militäreinsatz im
Bürgerkrieg in Libyen teilzunehmen, und wurde daraufhin inhaftiert und
gefoltert. Es gelang ihm mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern
weiter bis in die EU zu fliehen. Als die Familie die griechische Insel Chios
Anfang März 2020 erreichte, wurde ihnen wie allen Menschen, die zu dieser
Zeit in Griechenland ankamen, das Recht auf Asyl für einen Monat verweigert"
(cantevictsolidarity.noblogs.org). Daß er ein Schlepper sei, schließt das
Gericht lediglich daraus, weil er das Schlauchboot gesteuert haben soll --
und selbst diese Behauptung ist schlecht belegt. Damit ist er aber kein
Einzelfall wie ein regelmäßiger Prozeßbobachter der NGO 'Borderline Europe'
erklärt: "In der Praxis bedeutet die Verfolgung von 'Schmugglern', dass
jemandem aus einem ankommenden Schlauchboot angeklagt wird, das Boot
gefahren zu haben, ob er es nun war oder nicht. Sie werden ohne ausreichende
Beweise meist noch vor Ort verhaftet und monatelang in Untersuchungshaft
verwahrt. Wenn ihr Fall schließlich vor Gericht kommt, dauern ihre Prozesse
im Durchschnitt nur 38 Minuten, und sie werden zu hohen Haftstrafen
verurteilt, in einigen Fällen zu über 100 Jahren Gefängnis mit sehr hohen
Geldstrafen."

Diese drakonischen Urteile wegen "Beihilfe zur illegalen Einreise" werden
wohl nicht gegen Flüchtlinge gefällt, weil man sie irrtümlich für Schlepper
hält, sondern, so cantevictsolidarity "stellvertretend, um die Migration
nach Europa im Allgemeinen zu verurteilen".

Das bestätigt auch das jüngste Urteil: Am 13. Mai wurde der Flüchtling
Mohamad H. vom Gericht in Mytilene auf Lesbos zu 146 Jahren Gefängnis
verurteilt. Sein Verbrechen war laut Borderline Europe, daß er ein in Seenot
geratenes und mit 34 Menschen besetztes Schlauchboot an die griechische
Küste gerettet hatte: "Bei der Verhandlung erschienen acht Personen, die mit
Mohamad H. im selben Boot waren, vor Gericht, um für ihn auszusagen. Sie
gaben an, dass Mohamad einer von ihnen ist, der nur versucht hat, das Leben
aller zu retten, dass der Schmuggler ein türkischer Mann war, der sie im
Meer zurückgelassen hat und dass der Schiffbruch durch die Handlungen des
Schmugglers und der türkischen Küstenwache verursacht wurde, die sie nicht
gerettet hat, obwohl sie um Hilfe gerufen haben."

Das Urteil fiel unter anderem deswegen so hoch aus, weil das Gericht der
Meinung war, Mohamad H. hätte die Menschenleben seiner Mitreisenden
gefährdet.
(akin)


Quellen:
https://cantevictsolidarity.noblogs.org/post/2021/03/10/untragbares-gerichtsurteil-willkurliche-verurteilung-zweier-gefluechteter-fur-den-brand-im-moria-lager/
https://taz.de/16-Jahre-Haft-wegen-Schlepperei/!5336068/
http://docplayer.org/70630124-Beitrag-deutscher-rentner-als-schleuser-zu-unrecht-in-haft.html
https://cantevictsolidarity.noblogs.org/post/2021/04/26/presseerklarung-vom-26-4-2021-skandalose-verurteilung-eines-syrischen-gefluchteten-auf-der-griechischen-insel-lesbos-zu-52-jahren-haft-prozessbeobachter_innen-kritisieren-die-kriminalisierung-vo/
https://bordermonitoring.eu/wp-content/uploads/2020/12/report-2020-smuggling-en_web.pdf
https://cantevictsolidarity.noblogs.org/post/2021/05/21/lesbos-erneute-verurteilung-eines-gefluchteten-als-schmuggler-zu-146-jahren-haft/


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