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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 20. Mai 2021; 02:24
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Bücher:
> Die Selbstgerechte
Rezension von *Gerhard Hager*
Sarah Wagenknecht
Die Selbstgerechten
Mein Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammenhalt
Hardcover, 345 Seiten, Campus Verlag, 2021, EUR 25,60
ISBN 9783593513904
Sahra Wagenknecht (im folgenden SW) hat (NICHT?!) recht. Wo fang ich an?
Beim Lesen des neuen Buchs von Sahra Wagenknecht (Titel "Die
Selbstgerechten") hab ich mir so viele Anmerkungen gemacht, dass es den
Rahmen sprengen würde, detailliert auf alles einzugehen.
Daher werde ich komprimieren und einzelne Beispiele anführen. Vieles in
ihrer Analyse stimmt. Die Rückschlüsse, die sie zieht, sind oft falsch.
Sie bellt den falschen Baum an. Ihr Lieblingsfeind und Hauptschuldiger an
den kritisierbaren Umständen sind die linksliberalen "Lifestyle-Linken":
"Dominiert wird das öffentliche Bild der gesellschaftlichen Linken heute von
einem Typus, den wir im Folgenden den Lifestyle-Linken nennen werden, weil
für ihn im Mittelpunkt linker Politik nicht mehr soziale und
politökonomische Probleme stehen, sondern Fragen des Lebensstils, der
Konsumgewohnheiten und moralische Haltungsnoten. Er sorgt sich ums Klima und
setzt sich für Emanzipation, Zuwanderung und sexuelle Minderheiten ein. Zu
seinen Überzeugungen gehört, den Nationalstaat für ein Auslaufmodell und
sich selbst für einen Weltbürger zu halten. Generell schätzt der
Lifestyle-Linke Autonomie und Selbstverwirklichung mehr als Tradition und
Gemeinschaft. Also, man wünscht sich schon eine gerechte und
diskriminierungsfreie Gesellschaft, aber der Weg zu ihr führt nicht mehr
über die drögen alten Themen aus der Sozialökonomie, also Löhne, Renten,
Steuern oder Arbeitslosenversicherung, sondern vor allem über Symbolik und
Sprache.
Den Mindestlohn zu erhöhen oder eine Vermögensteuer für die oberen
Zehntausend einzuführen ruft natürlich ungleich mehr Widerstand hervor, als
die Behördensprache zu verändern, über Migration als Bereicherung zu reden
oder einen weiteren Lehrstuhl für Gendertheorie einzurichten."
"Die Frage ist: Nützt es einer Supermarktkassiererin, wenn jetzt überall
politisch korrekt gegendert wird? Ich glaube, dass das die Gesellschaft eher
spaltet und auch dem eigentlichen Anliegen, sich gegen Rassismus zu wehren,
sehr abträglich ist".
SW negiert damit nicht nur, dass die Sprache, unser Wortschatz und deren
Verwendung wichtig und bestimmend für unser Denken, für unsere Kultur und
unser Zusammenleben sind, sondern auch, dass es sich da um die 2 Seiten
einer Medaille handelt - die symbolische und materielle Verknüpfung der
Emanzipation. Sie spielt das eine gegen das andere aus.
Sie schreibt weiter: "Sie (die Lifestyle-Linken) haben den Aufstieg der
Rechten ökonomisch vorbereitet, indem sie soziale Absicherungen zerstört,
die Märkte entfesselt und so die gesellschaftliche Ungleichheit und die
Lebensunsicherheit extrem vergrössert haben".
Also nicht etwa Thatcher oder Reagan, sondern die BoBo(Bohemian
Bourgeois)-Sozis sind schuld.
SW hat damit insoweit recht, als es ein Teil der Wahrheit ist, dass
Schröder, Blair & Co Mitschuld tragen und sich nicht standhaft genug gegen
die Macht und Gier der Konzerne gewehrt haben. Oder sogar, wie
Ex-SPÖ-Bundeskanzler deutlich sagen: Ich bin kein Linker und unter dem
Mäntelchen Arbeitszeitflexibilisierung den 12-Stunden-Arbeitstag
propagieren. Man könnte sie somit durchaus als Kollaborateure bezeichnen,
aber der "Klassenfeind" sieht anders aus.
Die Dreifaltigkeit des Neoliberalismus - Privatisierung, Steuersenkung,
Sozialabbau.
Namentlich etwa die Hayeks, die Friedmans, die Kochers, die Mahrers, die
Zuckerbergs, die Buffetts dieser Welt.
"Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der
Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen" -- Warren Buffett
Im zweiten Teil des Buches liefert SW unter dem Titel "Gemeinsamkeit,
Zusammenhalt und Wohlstand" einen Programmentwurf den man wohlwollend als
"links-konservativen" Gegenentwurf bezeichnen könnte. Ich bin da weniger
wohlwollend und sehe da sehr viel von einer (anti)sozialen Heimatpartei. Ein
vereinigtes Europa der Vaterländer?
SW vergisst dabei auch, dass "Die EU" letztlich genau das Ergebnis und die
Summe jener nationalen Regierungen sind, die sie wieder als bestimmenden
Faktor für die Zukunft als Lösung sieht. Aktuelles Beispiel aus
österreichischer Sicht ist die Ablehnung eines EU-weiten Mindestlohnes durch
Arbeitsminister Kocher.
Festzuhalten ist also: Es gibt ausreichend Kritikpunkte an der aktuellen
Politik der EU. Ausstehende Demokratisierung, fehlende Sozialpolitik,
neoliberale Wirtschaftspolitik usw.
Re-Nationalisierung wird diese Probleme aber nicht lösen.
In da Oabeit muss ma ollas gem
Sahra Wagenknecht skizziert im Buch eine "Arbeiterklasse" als
erstrebenswert, die es so nicht mehr gibt und auch nicht mehr geben wird. Es
wird die Sehnsucht nach einer "Leistungsgesellschaft" artikuliert in der
sich "Leistung" wieder lohnen muss. Ein Arbeitsbegriff, den Herr Kurt
Ostbahn treffend so beschreibt: A Liad üba mein Vodan. Der hot sei lebtag
goabeit. Daun is a gstuabn
SW schreibt auch: "Kritik am Leistungsgedanken geht auf die 68er-Bewegung
zurück". Herbert Kickl kann dem sicher zustimmen. Wollen wir wirklich an
einem derartigen Arbeitsbild für alle Zukunft festhalten?
Postwachstum und bedingungsloses Grundeinkommen finden sich im Buch unter
"Ideen die keiner braucht". Transparenz kommt nicht einmal in diesem
Zusammenhang vor.
Das alles, angesichts der Veränderungen bei Klima oder Digitalisierung? SW
übersieht, dass Klimafragen nicht national lösbar sind und Klimapolitik
nicht an nationalen Grenzen enden kann und darf. Fridays for Future zitiert
SW im Zusammenhang als "hochtrabende Welterrettungsrethorik".
SW vermischt Fluchtbewegungen mit Migrationspolitik. Und sie desavouiert
immer wieder ihre eigentlich berechtigte und richtige Kritik am System mit
rückwärtsgewandten Vorschlägen. Sie redet einer Re-Globalisierung das Wort,
kritisiert dabei die EU und widerspricht sich dabei selbst, indem sie
(richtigerweise) europäische Lösungen verlangt.
Interessant auch ihr Ansatz "gerechte Zinsen" zu fordern. Es irritiert, wenn
Linke für höhere Zinsen eintreten und die Mär von der dadurch entstehenden
Enteignung der Mittelschicht erzählen. Hohe Zinsen dienen immer und
ausschliesslich den Besitzenden.
Die derzeitige Situation von niedrigen Zinsen bis zum Negativzins für die
Staatsverschuldung dagegen hilft gerade jenen um die sich Wagenknecht
vorgeblich sorgt - den Besitzlosen. D.h. die grosse Mehrheit profitiert von
diesen niedrigen Zinsen, weil kaum bis keine Zinslast für den Staat
entsteht, die anderenfalls ja über höhere Steuern oder Einsparungen beim
Staat (Sozialausgaben) auszugleichen wären.
Epilog
"Die wichtigste Ursache der politischen Rechtsentwicklung ist das Versagen
der linksliberalen Linken" Dieses Zitat aus dem Buch erinnert sehr stark an
die Kritik Doszkozils als er meinte: "Wir dürfen keine grün-linke
Fundi-Politik betreiben. Da schaffen wir uns selbst ab."
Vermarkten kann sie, die Frau Wagenknecht. Immerhin ist dieses Buch ein
Bestseller mit dementsprechenden Tantiemen. Keine "linksliberale Zeitung"
ohne Interview. Vom Standard über die NZZ oder die Süddeutsche. Das könnte
man dann schon fast als Publikumsbeschimpfung verstehen. Die Frage ist:
Hilft das der oben zitierten Supermarktkassiererin?
Auch hab ich beim Lesen immer so ein klein wenig den subjektiven Eindruck
gewonnen, dass SW beleidigt ist ob der fehlenden Anerkennung durch die von
ihr geschmähten Life-Style-Linken. Drum holt sie sich diese Anerkennung von
der anderen Seite.
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(Leicht gekürzt, verfaßt für die Facebook-Seite der KPÖ Wien, Rubrik "Left
Comments", und auch wiedergegeben auf Hagers Blog:
https://www.hagerhard.at )
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