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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 20. Mai 2021; 03:04
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  Glosse:
  
  > Hoch die Fahnen! Hurra! Hurra!
  
  Erdogan verflucht den österreichischen Staat, da der scheinbar wolle, "dass
  die Muslime den Preis dafür zahlen, dass er die Juden einem Genozid
  unterzogen hat". Dieser wenig sympathische Mann hat nicht ganz unrecht in
  seinem Zorn. Die historische Letztschuld am Konflikt zwischen Palästinensern
  und Juden liegt tatsächlich bei uns. Denn die Idee des Zionismus entstand
  hierzulande. Unmittelbaren Anstoß zur Publikation seines Buchs "Der
  Judenstaat" erhielt der österreichisch-ungarische Journalist Theodor Herzl
  zwar durch die französische Dreyfus-Affäre, den Boden dafür bereitete aber
  unsere jahrhundertealte Tradition des Antisemitismus.
  
  Wie alle Ideen war selbstverständlich auch die Idee des Zionismus ein Kind
  ihrer Zeit. Und da sie im Zeitalter des Kolonialismus entstand, war sie von
  kolonialistischem Geist geprägt. Dass diese Idee sich dann in den Dreißigern
  und Vierzigern des vorigen Jahrhunderts erfolgreich entfalten konnte,
  schließlich zur Basis eines von der Weltgemeinschaft anerkannten Staates
  wurde und dessen Selbstverständnis bis zum heutigen Tag mit
  kolonialistischen Tendenzen belastet, ist abermals zu einem guten Teil unser
  'Verdienst'. Denn jetzt kommt der von Erdogan erwähnte Genozid ins Spiel, an
  dem wir Österreicher in vorderster Reihe und nicht bloß als Mitläufer
  beteiligt waren. Erst im Lichte der Holocaust-Erfahrung etablierte sich
  nämlich weltweit und vor allem im Judentum selbst die Überzeugung, dass eine
  dauerhafte Lösung der sogenannten "Judenfrage" nur in einem eigenen, äußerst
  wehrhaften Staat bestehen könne, der sich im Zweifelsfall lieber auf
  militärische Gewalt verlässt, als das Risiko eines Zugehens auf seine Gegner
  zu wagen.
  
  Doch die Geschichte meinte es offenbar gut mit uns Verursachern der
  humanitären Nah-Ost-Katastrophe. Denn schon vor einigen Jahren erteilte sie
  uns an einer ganz wichtigen Frontlinie zwischen Israel und seiner
  feindlichen Umgebung die Rolle des Gastgebers für diplomatische
  Friedensbemühungen. Es handelt sich dabei um die Wiener Gespräche über einen
  Atomdeal mit dem Iran. Sie haben im Jahr 2015 zu einem Atomwaffenabkommen
  geführt, das den Iran im Gegenzug gegen die Aufhebung von davor geltenden
  Sanktionen verpflichtete, sein Atomprogramm zu beschränken und keine
  Atomwaffen zu bauen. Das mittlerweile durch Trumps Querschüsse nahezu
  gescheiterte Abkommen soll nun gerettet werden durch Neuaufnahme der Wiener
  Gespräche. Eine wunderbare Gelegenheit für Österreich, als vorbildlicher
  neutraler Gastgeber einen winzig kleinen Wiedergutmachungsbeitrag zu
  leisten.
  
  Und was tut die völlig vertrottelte heimische Diplomatie in dieser
  Situation? Man zieht Fahnen auf den Dächern des Bundeskanzleramts und des
  Außenministeriums auf, die für die iranischen Gesprächspartner und die
  gesamte muslimische Welt Symbole eines Besatzungsregimes sind. Weil man
  nicht begreift, dass der wichtigste Dienst, den Österreich aktuell für das
  wohlverstandene Interesse der jüdischen wie auch nichtjüdischen Bevölkerung
  Israels leisten kann, nicht in toxischen Solidaritätsgebärden besteht,
  sondern in besonnenem Spiel der Gastgeberrolle bei den Atomgesprächen.
  
  *Karl Czasny*
  
  
  
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