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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 29. April 2021; 05:38
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Festung Europa:
> "120 Tote - oder 130? Wir werden es nie erfahren."
Bericht von *Alessandro*, Mitglied des Such- und Rettungsteams auf der Ocean
Viking (SOS Mediterranee) - 23. April 2021
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Mehr als 24 Stunden suchte die Ocean Viking nach zwei Booten in Seenot, die
weit voneinander entfernt waren. Von dem ersten konnten wir keine Spur
finden und können nur hoffen, dass es entweder an Land zurückgekehrt ist
oder die Menschen einen sicheren Ort erreicht haben.
Das zweite versuchten wir mitten in einem Sturm zu erreichen, bei Nacht und
sechs Meter hohen Wellen.
Ich gebe gerne zu, dass ich einige Stunden im Badezimmer verbringen und mich
übergeben musste. Die Mittel Promethazin und Dimenhydrinat und die Hälfte
der letzten drei Jahre, die ich auf See verbracht hatte, konnten hier nicht
helfen. Ich war erschöpft, dehydriert, schaffte es kaum zurück ins Bett. Und
das, obwohl ich von einem mächtigen Schiff geschützt wurde, das mit
tausenden von Tonnen an Gewicht den Wellen trotzt.
Draußen, irgendwo in denselben Wellen, war ein Boot mit 120 Menschen an
Bord. Oder 100, oder 130. Wir werden es nie erfahren, denn sie sind alle
tot.
Im Morgengrauen nahmen wir die Suche wieder auf, zusammen mit drei
Handelsschiffen, ohne Koordination oder Hilfe von irgendeinem Staat. Wäre
ein Flugzeug in derselben Gegend abgestürzt, wären die Seestreitkräfte von
halb Europa vor Ort gewesen, aber es waren "nur Migrant*innen". Sie ließen
die Menschen auf dem Schlauchboot und uns allein.
Am Nachmittag entdeckte ein Frontexflugzeug das Wrack des Schlauchbootes.
Als wir uns ihm näherten, trieb es in einem Meer von Leichen. Buchstäblich.
Vom Boot war nicht mehr viel übrig und von den Menschen sind nicht einmal
die Namen geblieben.
Machtlos hielten wir eine Schweigeminute ab, die an Land widerhallen sollte.
Die Dinge müssen sich ändern, die Menschen müssen es erfahren.
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https://sosmediterranee.de/log/120-tote-oder-130/
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Selbstdarstellung der NGO:
SOS MEDITERRANEE ist eine europäische, maritime und humanitäre Organisation
zur Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer. Sie wurde von Bürgerinnen und
Bürgern im Mai 2015 gegründet - in Reaktion auf das Sterben im Mittelmeer
und der Untätigkeit der Europäischen Union diesem ein Ende zu setzen. SOS
MEDITERRANEE arbeitet im europäischen Verbund mit Teams in Deutschland,
Frankreich, Italien und der Schweiz zusammen. Gemeinsam finanzierten wir von
Februar 2016 bis Dezember 2018 den Betrieb des Rettungsschiffes Aquarius und
seit Juli 2019 den Einsatz der Ocean Viking. Seit Beginn unseres Einsatzes
konnten wir 31.799 Flüchtende an Bord unserer Rettungsschiffe willkommen
heißen.
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