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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 1. April 2021; 03:30
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  Fremd/Arbeit:
  
  > Systemerhalter*innen ohne Papiere: Arbeiten in der Corona-Krise
  
  *undok - Verband zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert
  Arbeitender* fordert: solidarische Zugänge für alle, die hier leben und
  arbeiten - während und nach der Covid-19-Pandemie.
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  Mit der Covid-19-Pandemie haben neue Begriffe Eingang in die öffentliche
  Debatte gefunden, die benennen, wer in Krisenzeiten für unsere Gesellschaft
  unverzichtbar ist. So arbeitet in Österreich rund eine Million Menschen -
  mehrheitlich Frauen - in "systemrelevanten" Berufen [1]: Sie pflegen, ernten
  oder liefern Essen, transportieren Pakete, arbeiten am Bau und putzen Büros
  und Wohnungen.
  
  Immer finden sich unter den "Systemerhalter*innen" auch undokumentiert
  Arbeitende, also Menschen, die ohne Arbeits- und/oder Aufenthaltspapiere
  informell beschäftigt sind. UNDOK, der Verband zur gewerkschaftlichen
  Unterstützung undokumentiert Arbeitender, zeigt laufend die gravierenden
  Folgen der Corona-Krise für die Betroffenen auf. Denn: Je prekärer die
  Menschen vor der Pandemie beschäftigt waren, desto härter treffen sie die
  Auswirkungen der aktuellen Corona-Situation. Und je unsicherer ihre Arbeits-
  und Lebensbedingungen sind, desto höher ist für sie das Risiko, sich mit dem
  Corona-Virus zu infizieren.
  
  Problembereich Lohnarbeit
  
  Auch über ein Jahr nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie ist die Lage von
  Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Österreich kein Thema. Die
  verantwortliche Politik klammert Lohnarbeit als Problembereich für
  Infektionen weitestgehend aus. [2]
  
  Während mit Einschränkungen des Privatlebens die Corona-Krise bewältigt
  werden soll, müssen viele Menschen weiterhin in die Arbeit fahren, um ihre
  prekäre Existenz zu sichern. Dies gilt vor allem für undokumentiert
  arbeitende Kolleg*innen. Oft werden sie von ihren Arbeitgeber*innen nicht
  über die Ansteckungsrisiken am Arbeitsplatz informiert oder in den
  jeweiligen Schutzkonzepten der Unternehmen mitgedacht. Und obwohl sie in
  Berufen tätig sind, die nicht oder nur schwer von zu Hause ausgeführt werden
  können, werden ihnen weder kostenlose Schutzkleidung noch FFP2-Masken zur
  Verfügung gestellt.
  
  Ohne Ausweisdokumente und e-card gibt es für sie keinen niederschwelligen
  Zugang zu gratis Testungen. Unklar bleibt, ob und wann sich Menschen ohne
  Papiere impfen lassen können. Insgesamt werden undokumentiert Arbeitende nur
  ungenügend geschützt bzw. medizinisch versorgt - das Menschenrecht auf
  Gesundheit und Sicherheit wird somit nicht eingehalten.
  
  Die Not wächst
  
  Die verschärfte Situation für undokumentiert und prekär Beschäftigte
  spiegelt sich auch in der Beratung der UNDOK-Anlaufstelle wider. Seit März
  2020 registrieren wir eine steigende Zahl an Anfragen: Sie kommen von
  un(ter)dokumentiert arbeitenden Kolleg*innen aus Branchen wie Bau und
  Transport, vermehrt auch aus dem Pflege- und persönlichen
  Dienstleistungsbereich. Viele von ihnen haben während der Corona-Krise ihren
  Job und damit ihre gesamte Existenzgrundlage verloren. Auch
  Sexarbeiter*innen, derzeit mit einem Berufsverbot belegt, sind seit den
  Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 akut von Armut bedroht, wie etwa die
  UNDOK-Mitgliedsorganisation LEFÖ aufzeigt.
  
  Da undokumentiert Arbeitende vielfach keinen Zugang zu Sozial- oder
  Unterstützungsleistungen haben, erreichen uns viele Fragen zur
  Existenzsicherung. Zudem hat sich der Kreis der un(ter)dokumentiert
  Arbeitenden in der Corona-Situation erweitert. Die Beobachtungen aus unserer
  Beratungspraxis der letzten Monate belegen die zunehmend angespannten
  Lebens- und Arbeitsbedingungen:
  · Un(ter)dokumentiert Arbeitende sind aufgrund der Corona-Krise häufiger von
  Kündigungen betroffen.
  · Die Auswirkungen der Krise bekommen nicht nur Arbeitende in
  Niedriglohnbranchen, sondern auch jene in hochqualifizierten Berufen zu
  spüren wie Kolleg*innen mit einer Rot-Weiß-Rot-Karte. Bricht der Job weg,
  ist auch der Aufenthalt in Österreich gefährdet.
  · Auf Baustellen erhalten Kolleg*innen wenig Information zur
  Corona-Situation, und es gibt keine sicheren Arbeitsbedingungen.
  · Vermehrt wenden sich 24-Stunden-Personenbetreuer*innen an uns, die mit
  Hürden beim Zugang zum Härtefallfonds zu kämpfen haben.
  
  Solidarische Politik ist möglich
  
  Wie eine solidarische Politik in der Corona-Krise aussehen kann, zeigt
  Portugal, wo letztes Jahr Migrant*innen ohne Papiere und Asylsuchenden volle
  Aufenthaltsrechte und damit der Zugang zu Sozialleistungen und
  gesundheitlicher Versorgung gewährt wurden. In Italien wurde eine
  Legalisierung bzw. Regularisierung zumindest für einen Teil undokumentiert
  Arbeitender im Land umgesetzt. Dort und in anderen Ländern wurden Maßnahmen
  getroffen, um undokumentierten Migrant*innen Zugang zu COVID-19-bezogener
  Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, zudem sind sie ausdrücklich in die
  jeweiligen Impfstrategien einbezogen.
  
  Ideen für eine gesellschaftlich solidarische Gestaltung der Corona-Politiken
  kommen von der Kampagne #ZeroCovid, die u. a. die Schließung nicht dringend
  benötigter Bereiche der Wirtschaft und einen solidarischen europäischen
  Shutdown fordert. Allerdings darf dabei nicht auf prekär und undokumentiert
  beschäftigte Kolleg*innen vergessen werden, deren Arbeit für die
  Gesellschaft unverzichtbar ist. Daher sind - neben dem Ausbau der sozialen
  Gesundheitsinfrastruktur - eine solidarische Finanzierung der Maßnahmen und
  ein umfassendes Unterstützungspaket für alle notwendig, also etwa auch für
  Menschen mit niedrigem Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen und
  Wohnungslose.
  
  Gesundheit für alle
  
  UNDOK fordert anonyme und hürdenfreie Testmöglichkeiten für Menschen ohne
  Papiere in Österreich. Zudem fordert der Verband den Zugang zur Impfung für
  alle, die hier leben und arbeiten, unabhängig vom Aufenthaltstitel und von
  einer Krankenversicherung. Damit Betroffene Testungen und Impfungen
  tatsächlich in Anspruch nehmen können, braucht es nicht nur mehrsprachige
  und leicht zugängliche Angebote, sondern auch die Sicherheit, keine
  aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen befürchten zu müssen. Dabei geht es um
  mehr als Impfpläne und Lockdowns: Behörden und Regierung sind aufgerufen,
  systemische Barrieren zur medizinischen Grundversorgung für Menschen ohne
  bzw. mit prekärem Aufenthaltstitel sowie für jene ohne
  Krankenversicherungsschutz zu beseitigen und so sicherzustellen, dass
  niemand in der Covid-19-Pandemie zurückgelassen wird.
  
  Wir brauchen einen solidarischen Strategiewechsel in der Pandemiebekämpfung,
  damit Migrant*innen nicht in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Armut und
  Krankheit gedrängt werden. Der UNDOK-Verband bekräftigt daher einmal mehr
  die Forderung nach einem uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang für alle, die
  einen Asylantrag gestellt haben, nach längstens drei Monaten Wartezeit,
  einem erleichterten Zugang zum Härtefallfonds und existenzsichernden
  Sozialleistungen, nach sicheren Wohnverhältnissen für von Armut bedrohte
  Menschen sowie der Evakuierung von Heimen und Lagern für Geflüchtete. Denn
  das Ziel kann nicht sein, zur alten "Normalität" zurückzukehren, wenn die
  Pandemie überwunden sein wird. ###
  
  Anmerkungen
  [1] Laut Arbeitsklima-Index der AK Oberösterreich, https://bit.ly/38peHGV,
  23.11.2020.
  [2] Eine Studie https://bit.ly/2O6Zy6p zeigt auch für Österreich ausgeprägte
  soziale Unterschiede im wahrgenommenen Corona-Infektionsrisiko bei der
  Arbeit, insbesondere zum Nachteil von Frauen und Migrant*innen.
  
  
  
  Quelle:
  https://undok.at/blog/2021/03/23/undok-statement-systemerhalterinnen-ohne-papiere-arbeiten-in-der-corona-krise/
  
  
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