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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 11. März 2021; 00:54
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Afrika/Geschichte:

> Der Kampf um die Unabhängigkeit des Kongos

Zum 60.Jahrestag der Ermordung von Patrice Lumumba und dessen Bedeutung für
den gesamten Kontinent
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In der Nacht zum 17. Jänner 1961 wurde Patrice Lumumba ermordet. Nur ein
knappes Jahr zuvor war er - nach fast 80 Jahren brutaler
Kolonialherrschaft - zum ersten Premierminister des Kongo (Demokratische
Republik, zwischenzeitlich Zaire) gewählt worden. Bis heute gilt er als
einer der wichtigsten Freiheitshelden der Dekolonisierungs-Ära der 1960er
Jahre. Sein tragischer Tod markiert eine Zäsur in der jüngeren afrikanischen
Geschichte.

Von *Alexander Behr*, Europäisches BürgerInnenforum Österreich,
zuerst veröffentlicht in Archipel 299 und 300.

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Lumumba wurde unter aktiver Mitwirkung der ehemaligen Kolonialmacht Belgien
und verschiedener westlicher Geheimdienste gefoltert und hingerichtet. Um
jegliche Erinnerung an ihn zu unterdrücken, vernichteten belgische
Polizisten seine Leiche. Der Mord an Lumumba bleibt bis heute ungesühnt.
Keiner der Drahtzieher, keiner der Geheimdienste, keiner der beteiligten
Staaten, keiner der Mörder kam je vor Gericht.

Nach dem kurzen Aufbruch in Unabhängigkeit, Frieden und Prosperität folgten
Jahre des Krieges und viele Jahrzehnte der Diktatur, toleriert und
unterstützt vom Westen. Für Befreiungsbewegungen rund um den Globus wurde
Lumumba in besonderem Masse beispielgebend: Seine Ermordung gilt bis heute
als Symbol für koloniale und neokoloniale Unterdrückung, sein Erbe als
Versprechen auf zukünftige Emanzipationsbestrebungen.


Die Zeit vor der Unabhängigkeit

Das Jahr 1885 markierte einen brutalen Einschnitt in die Geschichte des
Kongo: Damals fand die Berliner Afrika-Konferenz statt, bei der sich die
damaligen Kolonialmächte grosse Teile des Kontinents praktisch untereinander
aufteilten. König Leopold II von Belgien gelang es, sich den Kongo als
Privatbesitz anzueignen und mit der Ausbeutung von Kautschuk astronomische
Profite zu erzielen. Laut Adam Hochschild, dem Verfasser des Buches
"Schatten über dem Kongo", fielen dem Terror von König Leopold zwischen acht
und zehn Millionen Menschen zum Opfer. Im Jahr 1905 wurde der Kongo zur
offiziellen belgischen Kolonie. Dem vorangegangen war eine Skandalisierung
der Verbrechen von König Leopold II, die oft als die erste internationale
Menschenrechtskampagne bezeichnet wird. Doch auch unter offizieller
belgischer Kolonialherrschaft ging die Ausbeutung der Ressourcen des Landes
unvermindert weiter.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Unabhängigkeitsbewegungen überall auf dem
Kontinent immer mehr Zulauf gewinnen, sticht im Kongo vor allem ein Mann
hervor: Patrice Emery Lumumba, Mitgründer des "Mouvement National
Congolais", der Nationalbewegung des Kongo. Geboren am 2. Juli 1925 in der
Provinz Kasai, ist er zunächst Postbeamter und Gewerkschafter. Schnell macht
er sich als talentierter und charismatischer Redner einen Namen. Er spricht
sich für einen geeinten Kongo jenseits von ethnischen Barrieren aus und ist
ein vehementer Gegner der Kolonialherrschaft. Im Dezember 1958 reist er in
die ghanaische Hauptstadt Accra zur "All-African Peoples' Conference", einer
grossen Panafrikanischen Konferenz, an der auch Frantz Fanon teilnimmt. Im
Gegensatz zu anderen Parteiführern strebt Lumumba nicht nur die formelle
Unabhängigkeit an, sondern will das Land auch in die wirtschaftliche
Unabhängigkeit führen.

Im Jänner 1959 kommt es in der Hauptstadt Leopoldville, dem heutigen
Kinshasa, zu Massendemonstrationen gegen die Kolonialherrschaft, die blutig
niedergeschlagen werden. Die Unruhen breiten sich in die ländlichen Gebiete
aus und erfassen das ganze Land. Im April ruft Lumumba die politischen
Parteien des Kongo zu einem Kongress in Luluabourg, dem heutigen Kananga,
zusammen. Mittlerweile ist auch den Belgier·inne·n klar: Die Unabhängigkeit
des Kongo lässt sich nicht länger hinauszögern. So beginnen am 20. Januar
1960 in Brüssel die Unabhängigkeitsverhandlungen - zunächst ohne Lumumba;
der sitzt wegen so genannter "antikolonialer Umtriebe" im Gefängnis. Doch
die kongolesischen Delegierten solidarisieren sich mit ihm und fordern seine
Befreiung. Die Kolonialregierung lenkt ein, er kommt nach Brüssel - mit noch
verletzten Handgelenken. So kann er am berühmten "table ronde", den
Verhandlungen am "Runden Tisch", teilnehmen. Die kongolesischen Delegierten
agieren geschlossen, Belgien gibt dem Druck nach: Am 30. Juni 1960 soll der
Kongo unabhängig werden. Nach Beendigung der Verhandlungen finden am 25. Mai
1960 im Kongo Parlamentswahlen statt, von denen Lumumbas Partei MNC als
Sieger hervorgeht. Kurz vor den Unabhängigkeitsfeiern sagt Lumumba zu einem
Freund: "Endlich werde ich mich ausruhen." Er sollte sich auf tragische
Weise irren...


Der Tag der Unabhängigkeit und die Rede Lumumbas

1. Juni 1960, Palais de la Nation, Léopoldville. Die Kongolesinnen und
Kongolesen feiern die Unabhängigkeit, müssen aber die arrogante und
herablassende Rede des belgischen Königs Baudouin, Onkel des heutigen Königs
Philippe, hören, in der er die angeblichen Wohltaten von König Leopold II
rühmt. Kein Wort zu den unvorstellbaren Gräueltaten an der kongolesischen
Bevölkerung, kein Wort zu den Millionen Opfern von Ausbeutung und
Unterdrückung. Ein Schlag ins Gesicht der Kongoles·inn·en. Während der König
spricht, notiert Patrice Lumumba in Windeseile eine Rede. Ohne dass es im
Protokoll vorgesehen wäre, ergreift er das Wort. Was dann folgt, ist eine
spektakuläre Abrechnung mit Belgien und ein flammendes Bekenntnis zur
Überwindung der Kolonialherrschaft. König Boudoin ist erzürnt. Obwohl
Lumumba beim Empfang, der auf die offizielle Zeremonie folgt, eine zweite,
viel versöhnlichere Rede hält, bahnt sich bereits zu diesem Zeitpunkt an,
dass die ehemalige Kolonialmacht brutal zurückschlagen wird. Denn allen ist
klar: Lumumba schickt sich ernsthaft an, der Ausbeutung des Kongo ein Ende
zu bereiten. Ein Schreckensszenario für Belgien, für die mächtige
Bergbauunion "Union Minière" und die Konzessionäre... Der kongolesische
Autor und Aktivist Emmanuel Mbolela erklärt: "Die Kolonialmächte wussten,
dass es für sie nicht mehr möglich sein würde, sich ohne Wenn und Aber den
Ressourcen des Landes zu bedienen, wenn Lumumba an der Spitze des Staates
stünde. Sie wussten, dass Lumumba alle bisherigen Wirtschaftsbeziehungen neu
verhandeln würde. Das war inakzeptabel, denn das hätte die Entwicklung
Europas viel zu sehr gebremst."

Nur zwei Tage nach den Unabhängigkeitsfeiern erheben sich die Soldaten in
Leopoldville gegen das belgische Offizierskorps. Neben Lohnerhöhungen
fordern sie, dass die Spitze des Militärs, das ausschliesslich aus Belgiern
besteht, ebenfalls entkolonialisiert wird. Es kommt zu Morden an weissen
Siedler·inne·n und zu einem Exodus der Belgier·innen. Die Lage spitzt sich
immer mehr zu. Gegen den Widerstand der kongolesischen Regierung landen
belgische Truppen im Kongo. Am frühen Morgen des 10. Juli 1960 steigen vom
Luftstützpunkt Kamina Maschinen der belgischen Luftwaffe auf, über
Luluabourg werden Fallschirmspringer abgesetzt. Belgische Soldaten
entwaffnen unter Zwang kongolesische Militärangehörige.

Doch es kommt noch schlimmer: Moishe Tschombé, Präsident der Provinz
Katanga, erklärt an diesem Tag die Abspaltung des riesigen und
rohstoffreichen Landesteils. In seinen separatistischen Bestrebungen wird er
augenblicklich von Belgien unterstützt. Die belgische Presse giesst Öl ins
Feuer und diskreditiert Lumumba. Er sei ein Kommunist und trage Schuld an
den Aufständen in der Bevölkerung und in der Armee. In kolonialer und
rassistischer Manier schreibt die Presse: "der Urwaldpolitiker",
"Poltergeist Lumumba", "halb Scharlatan, halb Missionar" - ein Schock nach
dem Erfolg der Verhandlungen in Brüssel vom Frühjahr.


Die letzten Monate

Nur wenige Tage nach den Unabhängigkeitsfeiern vom 30. Juni 1960 landen
gegen den Widerstand der kongolesischen Regierung belgische Truppen im
Kongo. Kongolesische Militärangehörige werden entwaffnet, Belgien
unterstützt die Abspaltung des rohstoffreichen Landesteils Katanga. Lumumba
versucht zu retten, was zu retten ist: Als er von der Abspaltung Katangas
erfährt, fliegt er mit Präsident Kasavubu dorthin - doch der belgische
Kommandant Weber, der später in die Ermordung Lumumbas involviert sein wird,
erteilt ihnen keine Landeerlaubnis für den Flughafen der Provinzhauptstadt
Elisabethville. Somit erreicht der Konflikt eine weitere Eskalationsstufe:
Den höchsten Politikern des Landes wird durch einen Belgier der Zugang zur
zweitgrössten Stadt ihres Landes verwehrt! Gleichzeitig entwickelt sich
grosses Einvernehmen zwischen den katangesischen Führern, den belgischen
Militärs und der Leitung der Union Minière, welche die mineralischen
Rohstoffe der Region kontrolliert. Belgische und amerikanische Geheimdienste
beginnen mit dem Armeechef und späteren Langzeitdiktator Mobutu
zusammenzuarbeiten. Die Teile-Und-Herrsche-Strategie wirkt: Der
Handlungsspielraum von Lumumba wird immer enger.

Am 12. Juli, einen Tag nach der Sezession Katangas, rufen Lumumba und
Kasavubu die Vereinten Nationen um Hilfe an. UN-Generalsekretär Dag
Hammarskjöld, der wie Lumumba in der Kongo-Krise ums Leben kommen wird (1),
beruft noch am selben Abend in New York eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats
ein. Doch die verabschiedete Resolution ist zahnlos: Belgien wird nirgendwo
im Text verurteilt, die Sezession Katangas mit keinem Wort erwähnt. So kommt
es, dass Lumumba jenes Land um Unterstützung bittet, das im Sicherheitsrat
der UNO das grösste Verständnis für sein Anliegen zeigt: die Sowjetunion. In
der aufgeheizten Stimmung des Kalten Krieges schrillen bei den westlichen
Geheimdiensten die Alarmglocken.

Nach einem Schlagabtausch mit Präsident Kasavubu wird Lumumba im September
zu Hausarrest in Léopoldville verurteilt. UNO-Soldaten bewachen sein
Anwesen, da zu diesem Zeitpunkt bereits sein Leben in Gefahr ist. Am 27.
November, nach zweieinhalb Monaten Arrest, beschliesst Lumumba zu fliehen
und heimlich Kinshasa zu verlassen, um zu seinem Verbündeten Antoine Gizenga
im Norden des Landes zu stossen. Doch Armeechef Mobutu lässt ihn von
Soldaten verfolgen und mit zwei seiner Mitstreiter verhaften. Er wird in
eine Kaserne bei Thysville im Westen des Landes gebracht. Als er ankommt,
ohne Brille und gefesselt, stopft ihm jemand ein zusammengeknülltes Stück
Papier in den Mund: den Text seiner berühmten Rede. Lumumba wird auf
Betreiben des belgischen Ministers d'Aspremont nach Katanga gebracht,
mehrere Stunden verhört und gefoltert. Im Beisein von vier belgischen
Polizisten, zwei Ministern Katangas und Moishe Tschombé, dem Präsidenten der
abtrünnigen Provinz, werden Lumumba und seine Mitstreiter erschossen.

Um alle Spuren zu beseitigen, gräbt ein belgischer Polizeibeamter die Leiche
kurze Zeit später wieder aus, zerstückelt sie mit einer Säge und löst sie in
Säure auf. Der kongolesische Autor Emmanuel Mbolela zu diesen Ereignissen:
"Stellen Sie sich einmal vor, man hätte General de Gaulle auf Betreiben
eines afrikanischen Landes auf diese Weise ermordet... Unvorstellbar!
Stellen Sie sich vor, ein schwarzer Polizist würde sich in Fernsehinterviews
damit brüsten, den leblosen Körper eines europäischen Staatsführers
zerstückelt und in Säure aufgelöst zu haben - unvorstellbar..." So
unbeschreiblich diese Taten sind, so klar ist auch: Der Mord an Lumumba
wurde nicht nur vom US-amerikanischen Präsidenten Eisenhower, vom CIA, von
belgischen Militärs und Beratern bis hin zum belgischen König, gebilligt,
gefördert und organisiert. Die Tat wurde auch von Belgiern mit durchgeführt.


Weltweite Proteste

Lumumbas Tod löst wütende Proteste rund um den Globus aus. In Belgien kommt
es zu hunderten Festnahmen. In Belgrad, Warschau und Kairo werden die
belgischen Botschaften gestürmt. Währenddessen gleitet der Kongo in einen
brutalen Bürgerkrieg ab. Mobutu festigt mit der Hilfe von Belgien und den
USA schrittweise seine Macht. Moishe Tschombé rekrutiert ab dem Jahr 1964
unverhohlen weisse Milizen. Diese streben von Südafrika und Rhodesien aus
eine Ausweitung der Apartheid und der weissen Vorherrschaft an. Das wohl
berüchtigtste Beispiel eines weissen rassistischen Söldners ist Siegfried
Müller, ein ehemaliger Soldat der Wehrmacht, der im Kongo furchtbare
Massaker begeht. In den DEFA-Filmen "Kommando 52" und "Der lachende Mann"
aus den Jahren 1965 und 1966 werden Müllers Verbrechen kritisch
portraitiert. Mit unvorstellbarer Brutalität bekämpfen die Söldner die
Anhänger Lumumbas, die so genannten Mulelisten. Pierre Mulele, nach dem die
Bewegung benannt ist, setzt entschlossen das Erbe von Lumumba fort, doch
wenige Jahre später fällt er wie viele andere dem Terror Mobutus zum Opfer.
Eine Zeit lang kämpft auch Ché Guevara an der Seite der Aufständischen. Im
Jahr 1965 sichert sich Mobutu die alleinige Macht. Jeglicher Widerstand wird
gebrochen.

Ein Aspekt, der oft vergessen wird, ist die Rolle der Frauen, die im
antikolonialen Widerstand kämpften. Jamila Amadou, Vertreterin der
Afro-Deutschen Community aus Frankfurt, sagt: "Häufig wird über Patrice
Lumumba, Thomas Sankara und andere Ikonen gesprochen - Menschen, die sich
nicht aussuchten, dass sie zu Märtyrern werden. Doch man darf nicht
vergessen, dass diese politischen Anführer meist von weiten Netzwerken
umgeben waren, die von genauso engagierten Menschen getragen wurden. Diese
Graswurzelbewegungen wurden und werden häufig von Frauen organisiert und
vorangetrieben. Frauen waren vielleicht nicht in gleichem Mass auf
politischen Bühnen und an Mikrophonen präsent, aber sie spielten im Aufbau
des Kampfes und im Alltag eine entscheidende Rolle. Ich finde es ungemein
wichtig, dass im Jahr 2021 diese Arbeit endlich gewertschätzt, sichtbar und
hörbar wird."

Eine Frau, die für die Unabhängigkeit des Kongo sehr wohl auf zahlreichen
Bühnen und vor Mikrophonen stand, war Andrée Blouin. Von westlichen Medien
wurde sie häufig als die "Frau hinter Lumumba" charakterisiert - eine
Bezeichnung, die ihr nicht gerecht wird. Andrée Blouin betonte stets, dass
Dekolonisierung eng mit der Freiheit und Unabhängigkeit von Frauen
zusammenhängt. Nachdem sie nach der Ermordung von Lumumba zum Tode
verurteilt worden war, floh sie nach Paris, wo sie im Jahr 1986 starb.


Das Erbe Lumumbas

Nicht selten wird die Politik Patrice Lumumbas als "naiv" bezeichnet. Es sei
unrealistisch und utopisch gewesen, die wirtschaftliche Unabhängigkeit
durchsetzen zu wollen. Lumumba habe sich unbotmässig verhalten und
US-Präsident Eisenhower vor den Kopf gestossen. Diese These vertritt auch
David Van Reybrouck in seinem bahnbrechenden Buch "Kongo. Eine Geschichte".
Doch wie kann ein wacher Gerechtigkeitssinn als "utopisch" bezeichnet
werden? Ist es nicht die Aufgabe eines Premierministers, nach Massstäben von
Demokratie und Gerechtigkeit zu handeln? Oft wird auch ins Feld geführt,
Lumumba habe ein sowjetisches Wirtschaftsprogramm verfolgt. Das entspricht
nicht den Tatsachen, wie auch der renommierte US-amerikanische
Politikwissenschaftler Stephen Weissman festhielt - Lumumbas
Wirtschaftsprogramm war nach heutigen Massstäben eher keynesianisch und
sozialdemokratisch inspiriert. Und wenn schon: Keine ausländische Macht
hatte nach der Unabhängigkeit das Recht, eigenmächtig militärisch
einzugreifen. Lumumba wollte die Schlüsselindustrien verstaatlichen; doch
war das nicht auch in vielen westeuropäischen Ländern gang und gäbe? Sein
zentrales Anliegen war es, der unbegrenzten Ausbeutung der Ressourcen des
Landes ein Ende zu setzen.

Der Tod Lumumbas wirkt bis heute in Form von neokolonialer Unterdrückung und
Ausbeutung fort. Emmanuel Mbolela erklärt: "Damit Europa sich entwickeln
kann, muss die Eigenständigkeit Afrikas gebrochen werden. Deshalb fliehen
die Leute. Alle Reichtümer wurden ins Ausland geschafft - bis heute! Was zur
Zeit von Leopold II die Baumwolle war, war zur Zeit des zweites Weltkriegs
das Uran. Bis zum heutigen Tag werden Diamanten, Gold und Kupfer
ausgebeutet - oft steuerfrei. Der Westen braucht das wertvolle Kobalt für
die Herstellung von Elektroautos genauso wie das Coltan für Handys und
Computer. Die Ausbeutung geht also weiter. Und dann wundert man sich, dass
die Menschen ihre Länder verlassen? Wenn man die strukturellen Hintergründe
für Flucht und Migration verstehen will, muss man zurückgehen in die Zeit
von Lumumba."

Lumumba lebt auch in Kunst und Literatur fort. Miriam Makebas Song "Lumumba"
wurde weltbekannt, der Komponist Paul Dessau schuf im Jahr 1963 das "Requiem
für Lumumba". William Kentridge hat ihn in einem eindrucksvollen
Bilderzyklus ein Denkmal gesetzt. Raoul Peck und Cheick Oumar Sissoko haben
ihn mit Filmen gewürdigt. Die deutsche Erstaufführung des Theaterstücks "Im
Kongo" von Aimé Césaire am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg am 24.
Februar 1968 wurde Gegenstand lebhafter Debatten. Jean Paul Sartre sagte
einst: "Seit Lumumba tot ist, hört er auf, eine Person zu sein. Er wird zu
ganz Afrika."


Black Lives Matter

Wird es Gerechtigkeit für Lumumba geben? Auf Betreiben seines ältesten
Sohnes, François Lumumba, setzte das belgische Parlament 2001 eine
Untersuchungskommission ein, die zu dem Schluss kam, dass selbst der
damalige belgische König Baudouin von dem Mordkomplott wusste und es
billigte. Die Kommission legte schliesslich fest, dass Belgien eine
"moralische Verantwortung" trägt. Doch aufgearbeitet sei der Fall damit noch
lange nicht. Zwei der zwölf Personen, die den Mord durchgeführt haben, sind
noch am Leben und müssten vor ein Gericht gestellt werden. Aktuell läuft
eine Diskussion, ob ein Zahn, den der belgische Polizist Gerard Soete vom
leblosen Körper Lumumbas entfernt und nach Belgien verschleppt hatte, an die
Familie zurückgegeben werden soll. Juliana Lumumba, die Tochter von Patrice
Lumumba und Journalistin, war zum Zeitpunkt der Ermordung ihres Vaters
fünfeinhalb Jahre alt. Sie klagt an: "Wir, die Kinder von Lumumba, fordern
die gerechte Rückgabe der Reliquien von Patrice Emery Lumumba in das Land
seiner Vorfahren, damit wir als Kinder unseren Tribut der Trauer bezahlen
können." Doch geschehen ist bisher nichts.

Im Juni vergangenen Jahres, zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit, wurden im
Zuge der Black- Lives-Matter-Demonstrationen in Brüssel Statuen von König
Leopold II beschädigt, Strassenschilder mit seinem Namen wurden übermalt.
Vor der Brüsseler Kathedrale wurde ausserdem ein Denkmal für König Baudouin
mit roter Farbe übergossen. Petitionen mit zehntausenden Unterschriften
fordern, dass die Statuen König Leopolds weichen müssen. Die Vergangenheit
reicht bis in die Gegenwart und greift nach der Zukunft. Denn an der
Ausbeutung des Kongo hat sich kaum etwas geändert. Das Erbe Lumumbas lebt
indes fort - und zwar bei weitem nicht nur in afrikanischen Debatten,
sondern letztlich als globale, universalistische Gerechtigkeitsperspektive,
die nichts an Aktualität eingebüsst hat.
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Anm. akin:
(1) Der Tod des UN-Generalsekretärs am 17. September 1961 ist offiziell
überhaupt nie geklärt worden. Erst 2019 erschienen ein UN-Bericht und eine
dänische Doku, die einen Abschuß seines Flugzeugs über Sambia nahelegen,
wohin Hammarskjoeld in einer Vermittlungsmission im Kongo-Konflikt unterwegs
war. Die SZ schreibt in einer Zusammenfassung: "Der belgische Söldner und
Kampfpilot Jan van Risseghem, bekannt als 'Lone Ranger', attackiert als Teil
der winzigen Luftwaffe Katangas in jenen Wochen UN-Truppen. Hammarskjöld bat
daher um Luftunterstützung, die ihm jedoch Großbritannien und die USA
verweigern. Stattdessen wird versichert, dass der Belgier an diesem Tag
nicht fliegen werde." Allen Anschein nach hat der "Lone Ranger" die
UN-Maschine abgeschossen. Und höchstwahrscheinlich mit Wissen und Gutheißung
von MI6 und CIA. Aber auch 60 Jahre danach schweigt man sich bei den
Geheimdiensten darüber aus. Denn der Mord an einem schwarzen Politiker ist
eine Sache und fällt in der Kolonialpolitik leider wohl unter läßliche Sünde
im Kalten Krieg, aber der Abschuß einer Maschine einer UN-Delegation mit dem
aus Schweden stammenden Generalsekretär an Bord mit zumindest Unterstützung
von US- und UK-Geheimdiensten wäre sogar nach so langer Zeit noch eine
diplomatische Katastrophe.
https://www.sueddeutsche.de/politik/dag-hammarskjoeld-1.4698113


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