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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 11. März 2021; 00:11
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  Corona/Kultur/Demos/Leitgesuder:
  
  > Seid einsam!
  
  Persönliche Kontakte sind auf die Dauer nicht verzichtbar. Durch Corona wird
  das vielen erst jetzt bewußt. Und "Hygiene-Demos" funktionieren einfach
  nicht.
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  Also auf Demos gehe ich derzeit gar nicht. Auf corona-konnotierte sowieso
  nicht, weil da gibt es nur die Wahl zwischen Demos gegen die
  Regierungspolitik, die von Nazis und Patridioten verseucht sind, und linken
  Aktionen, die fordern, die Polizei möge doch bitte die Antiregierungsdemos
  niederprügeln wie sie es ja sonst gerne bei linken Demos macht. Da bleibe
  ich dann doch lieber zuhause.
  
  Aber auch andere Demos sind derzeit uninteressant. Denn das, was da derzeit
  offiziell zugestanden wird, hat nichts mehr mit Demonstrationsrecht zu tun.
  Es hat nämlich einen guten Grund, warum die Menschen auf den
  Antiregierungsdemos ohne Maske und Abstand rumlaufen und der -- ich wage da
  mal eine Vermutung -- ist wohl weniger, daß sie die Maßnahmen als solche
  ablehnen, sondern vor allem darin zu suchen, daß eine brave "Hygiene-Demo"
  witzlos ist.
  
  Exkurs: Demokultur
  
  Denn worum geht es bei einer Demo? Historisch waren Demos nicht etwas
  gesetzlich Geregeltes, sondern vollkommen illegale Aufmärsche, um
  irgendeinen Potentaten abzusetzen oder zumindest zu zwingen, seine Politik
  zu ändern -- durchaus nicht friedlich und symbolisch, sondern halt eher doch
  physisch und sehr direkt. Generell ging es darum, ein bestimmtes Anliegen
  konkret durchzusetzen. Deswegen waren auch weder der Sturm auf die Bastille
  noch der Lynchmord am österreichischen Kriegsminister Latour polizeilich
  genehmigte Veranstaltungen. Wie sehr man solcherlei Demos auch noch in der
  Zweiten Republik fürchtete, wird klar, wenn man sich das Versammlungsgesetz
  in seiner Stammfassung von 1953 ansieht: Die Bannmeile betrug 38 Kilometer!
  Wenn also Nationalrat, Bundesrat oder einer der beiden damals in Wien
  befindlichen Landtage gerade tagten, mußte man nach Wiener Neustadt,
  Hainburg oder Neulengbach auspendeln, wenn man eigentlich in Wien
  demonstrieren wollte.
  
  Heutige Demos sind da ganz anders: Die kann man nämlich ignorieren -- wenn
  es nicht gerade zu einer wilden Prügelei dank übereifriger Polizisten kommt
  oder der Autoverkehr in der halben Stadt lahmgelegt wird oder wenigstens
  eine relevante Oppositionspartei das Ganze unterstützt, interessiert das
  niemanden. Da geht der politische Impact gegen Null.
  
  Welchen Zweck erfüllen also Demos? Sie sind vor allem Orte der Kommunikation
  und der Selbstversicherung -- es geht darum, selbst zu sehen, daß man mit
  einem Anliegen nicht allein ist, und vor allem darum, sich mit
  Gleichgesinnten auszutauschen. Demos sind vor allem Social Events -- und die
  funktionieren halt nicht vermummt und auf zwei Meter Distanz, schon gar
  nicht, wenn man schon seit Monaten ständig dazu angehalten wird, nur ja mit
  keinem anderen Menschen in Kontakt zu kommen.
  
  Es ist so wie mit der jetzt versprochenen Teilöffnung der Gastronomie:
  Gasthäuser sind nicht primär Stätten der Nahrungsaufnahme, sondern
  Kommunikationsorte -- wer interessiert sich schon dafür, nur mit Test sich
  in einen wahrscheinlich eiskalten Schanigarten zu setzen, um schnell ein
  Schnitzel runterzuwürgen, bevor es zu regnen anfängt oder die Sperrstunde um
  20 Uhr zuschlägt, während neben einem nur jemand sitzen darf, den man eh
  ständig sieht, weil er im selben Haushalt mit einem wohnt?
  
  Einsamkeit macht rabiat
  
  Welche Folgen das hat, kann man derzeit sowohl auf der Straße erleben, wo
  Maskierte und Nichtmaskierte sich gegenseitig anbrüllen -- auch eine Form
  der direkten Kommunikation, wenn auch keine amikale --, als auch auf Social
  Media, wo der Ton immer rauher wird, und Menschen, von denen man das
  eigentlich nicht erwartet hat, frei von der Leber weg ihre Gewaltphantasien
  gegenüber der jeweils anderen Fraktion zum Besten geben. Das immer wieder
  behauptete Gespenst der Spaltung der Gesellschaft wird plötzlich real. Wenn
  es nimmer menscheln darf, wird es brutal.
  
  Regierung kein Vorbild
  
  Ja, vielleicht ist es im Endeffekt wichtiger, die Pandemie zu bekämpfen als
  den sozialen Frieden zu wahren. Ja, eine Regierung kann sagen, daß
  menschliche Kommunikation jetzt einfach nur mehr online, also "virtuell",
  also eben nicht wirklich passieren darf. Dann muß aber man dafür sorgen, daß
  alle diese Möglichkeit auch haben. Man muß die Gasthäuser inclusive
  Schanigärten geschlossen halten und die Wirte und ihr Personal zu 100%
  entschädigen sowie ein absolutes Demonstrationsverbot verhängen und dieses
  auch durchsetzen. Dann muß man auch aber bereit sein, dazu zu stehen, die
  Prügel der Opposition hinzunehmen, auf große Wählergruppen zu verzichten und
  darf nicht irgendwas daherreden, daß man sich eh um die "psychosozialen
  Bedürfnisse" auch kümmern werde. Eine solche Regierung muß aber auch mit
  gutem Beispiel vorangehen, Pressekonferenzen nur mehr online machen und sich
  auch nicht mehr in Wirklichkeit mit Landeshauptleuten treffen. Von
  Flugreisen in andere Länder, um einem befreundeten Regierungschef in seinem
  Wahlkampf zu helfen, schon gar nicht zu reden. Sprich: Ab ins Home-Office
  mit der Regierung! Man kann bei einem dergestalten vorbildhaften Verhalten
  zwar immer noch nicht erklären, wie man im Supermarkt einen
  Zwei-Babyelefanten-Abstand einhalten soll, aber vielleicht, warum eine
  Tarockpartie im Park eine bewilligungspflichtige Veranstaltung werden soll.
  Aber nur dann!
  
  Selbst wissend, wie wichtig persönliche Kontakte sind, aber den Untertanen
  vorzuschreiben, daß sie sich im wirklichen Leben nicht austauschen sollen,
  ist schofel. Und wird sich bald rächen.
  *Bernhard Redl*
  
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