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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Februar 2021; 19:05
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  International:
  
  > Altes Spiel, neue Regeln
  
  *Georg Bauer* über den Widerstand 
  gegen den Militärputsch in der Union Myanmar
  
  
  "Fuck". Die Nachricht in meiner WhatsApp-Chatgruppe, in der einige
  internationale und burmesische Freunde versammelt sind, war klar. Die vier
  Buchstaben standen eigentlich für diese vier: "Coup".
  
  Was sich in den Wochen und dann vor allem in den Tagen davor angedroht
  hatte, aber dennoch von den meisten BeobachterInnen als unwahrscheinlich
  abgetan wurde, wurde in der Nacht zum 1. Februar Realität: Das Militär,
  bekannt als die Tatmadaw, hatte wieder die komplette Macht in der Union
  Myanmar an sich gerissen. Führende PolitikerInnen der Nationalen Liga für
  Demokratie (NLD), darunter Präsident Win Myint und Staatsrätin und de-facto
  Regierungschefin Aung San Suu Kyi, wurden festgenommen, dazu zahlreiche
  bekannte AktivistInnen und Mönche. Nach zehn Jahren des vom Militär selbst
  initiierten "demokratischen Überganges" schien dieser für beendet erklärt.
  
  Auch wenn das Militär selbst versucht, ihre Machtübernahme als
  verfassungkonformen "Ausnahmezustand" darzustellen, der in Neuwahlen enden
  wird, ist dies weder juristisch richtig, noch realpolitisch durchsetzbar.
  Denn mit dem Putsch haben die Generäle unter Oberbefehlshaber Min Aung
  Hlaing wohl das bisschen Vertrauen, das die Bevölkerung in die vom Militär
  selbst geschriebene Verfassung hatte, endgültig verspielt.
  
  Die massiven Proteste die sich in den Wochen seit dem 1. Februar nun
  entwickelt haben, beweisen dies zur Genüge. Will man etwas Positives an dem
  Putsch finden, so ist es die Einigkeit in dem normalerweise zersplitterten
  Land, die sich in absolutem Widerstand zur erneuten Militärdiktatur
  ausdrückt. So mangelhaft und problematisch die letzten zehn Jahre der
  Öffnung und die fünf Jahre der letzten NLD-Regierung auch waren: Zum alten
  Militärregime will niemand zurück.
  
  Und der Probleme waren viele: Demokratische Reformen verliefen schleppend,
  unter der NLD wurde die Lage der Pressefreiheit gar schlechter; der
  Friedensprozess, der den seit über 70 Jahre währenden Bürgerkrieg beenden
  sollte und von Aung San Suu Kyi zum wichtigsten Ziel erklärt worden war,
  geriet nicht nur ins Stottern, sondern in den Rückwärtsgang; überhaupt
  brüskierten Suu Kyi und die NLD die VertreterInnen der kleineren, in den
  Gebirgsregionen ansässigen, Ethnien mit zentralistischer Arroganz und
  Chauvinismus; Landnutzungsrechte wurden weiterhin nicht geachtet, Verbrechen
  des Militärs oft verteidigt - nicht nur gegen die Rohingya, auch gegen die
  Kachin und die Rakhine; durch Suu Kyis Allmacht und Omnipräsenz wurden viele
  nötige Reformen verzögert.
  
  
  Einigkeit nicht für Suu Kyi, aber gegen das Militär
  
  Es ist daher wichtig zu betonen, dass trotz ihres überwältigenden Sieges bei
  den Wahlen im November und der zentralen Stellung, die sie für viele bei den
  Protesten nun einnimmt, Suu Kyi und die NLD sich keineswegs ungetrübter
  Beliebtheit im Land erfreuen. Vor allem in den ethnischen Regionen war auch
  schon vor dem Putsch viel Frustration mit der NLD zu bemerken. Dies ist auch
  bei den jetzigen Protesten sichtbar: Während, gerade in den zentralen
  Regionen des Landes, in denen die Mehrheitsbevölkerung der Bamar ansässig
  sind, die rote Farbe der NLD dominierend ist, tragen viele Protestierende
  bewusst nicht rot, um zu zeigen, dass sie nicht vordergründig für Suu Kyi
  und die NLD, sondern für ihre eigenen Anliegen auf die Straße gehen.
  
  Und dennoch ist die Einigkeit da. Denn alle verstehen, dass all die
  genannten Probleme, die schon vorher schwer lösbar waren, nun komplett
  unlösbar werden, wenn man den Generälen erlaubt, an der Macht zu bleiben.
  Das gemeinsame erste Ziel ist daher klar und einend: Das Militär muss aus
  der Macht getrieben, die Militärdiktatur verhindert werden.
  
  Dass dies kein leichtes und ungefährliches Unterfangen ist, ist auch klar.
  Das Militär hat immer und immer wieder bewiesen, dass ihnen das Leben der
  Leute nichts wert ist. Wurde demonstriert, wurde geschossen, gemordet,
  weggesperrt, gefoltert. Fast alle BewohnerInnen des Landes haben dies
  bereits erlebt, entweder bei den Massenprotesten 1988 und/oder denen 2007,
  oder auch bei vielen früheren Protesten.
  
  Diese Erfahrungen lassen die Menschen nun auch vorsichtig und intelligent
  agieren. Bis jetzt hat sich noch kaum jemand zu Gewalt hinreißen lassen,
  trotz Provokationen. Denn sowohl 1988, als auch 2007, hat das Regime agents
  provocateurs unter die Proteste geschickt, Gewalt angestachelt, um damit
  ihre eigene Gewalt und Herrschaft rechtzufertigen. Gerüchte werden auch
  heute wieder gestreut, um Angst und Verwirrung zu stiften. Damit ist ein
  heikles Katz-und-Maus-Spiel entstanden.
  
  Die Junta versucht die Menschen zu ermüden, indem sie vor allem in den
  letzten Tagen in der Nacht Polizei und jetzt auch Soldaten ausschicken, um
  Leute zu verhaften. Die Menschen wehren sich mit Nachtwachen, sie schlagen
  mit Töpfen, um die Nachbarschaft zu alarmieren. Videos zeigen, wie die Leute
  auf die Straßen strömen um Festnahmen zu verhindern. Am Samstag ging die
  Angst um, dass das Regime - wie schon früher - Häftlinge nicht nur entlassen
  hat, sondern sie auch unter Drogen setzt und bezahlt, um Unfrieden zu
  stiften. Dies ist schwierig zu verifizieren, jedoch durchaus möglich und das
  Ziel, die Leute in Angst zu versetzen, ist jedenfalls erreicht. "Unsere
  Nächte sind schlaflos" posten viele BurmesInnen auf sozialen Medien.
  Tagsüber demonstrieren, Nachts gegen Verhaftungen kämpfen. Das ermüdet und
  treibt die Leute langsam in den Wahnsinn.
  
  Doch bisher sind die Menschen noch in keine Fallen getappt. Trotz
  zunehmender Gewalt der Sicherheitskräfte tagsüber und Angstverbreitung
  während der Nacht, behalten sie die Nerven. Um dies weiter aufrecht zu
  erhalten, wird es auch essentiell sein, dass die Kommunikationswege offen
  bleiben, sowohl innerhalb des Landes, als auch nach außen. Ein drakonisches
  neues Cyber-Security-Gesetz soll dem wohl ein Ende bereiten. Dazu kommen nun
  anscheinend nächtliche Abschaltungen des Internets zwischen 01.00 und 09.00
  Uhr.
  
  Doch solange die Handykameras auf die Soldaten gerichtet sind, nützt auch
  das nur bedingt. Denn die Entwicklung der letzten zehn Jahre lässt eine
  längere, komplette Abschaltung des Internets ohne massiven wirtschaftlichen
  Schaden nicht zu. Dies ist wohl auch eine der größten Unterschiede und die
  stärkste Waffe des Bevölkerung gegen die Generäle. Die Niedertracht des
  Militärs wurde bisher mit Besonnenheit und Kreativität beantwortet, was an
  den zahlreichen Illustrationen und Memes zu erkennen ist, die in Windeseile
  auf jedes Verbrechen folgen, guter Humor inklusive.
  
  
  Non Cooperation
  
  Die andere wichtigste Waffe der Bevölkerung ist die immer stärker werdende
  Bewegung zum zivilen Ungehorsam. Angefangen von Bediensteten des
  Gesundheitssystems legen immer mehr Staatsbedienstete die Arbeit nieder, was
  die Generäle anscheinend zittern lässt - denn ohne Beamtentum lässt sich
  kein Staat und keine Regierung erhalten. AnführerInnen dieser Bewegung
  werden daher auch zunehmend das Ziel von Verhaftungen, was die Bevölkerung
  wiederum zu verhindern versucht.
  
  Ein weiterer wichtiger Faktor sind die zahlreichen ethnischen
  Rebellengruppen im Land. Bisher haben sie sich eher zurückgehalten, doch der
  Druck aus den jeweiligen Zivilbevölkerungen wächst, die ersten Statements,
  dass die Rebellen ihre jeweilige Bevölkerung sie vor Übergriffen durch das
  Militär schützen werde, wurden bereits veröffentlicht.
  
  Der Ausgang all dessen ist völlig offen. Während die Junta auf "altbewährte"
  Mittel setzt, scheinen diese bisher nichts zu nützen: Eine Jugend, die nun
  einige Jahre zumindest in Teilfreiheit leben durfte und diese nicht bereit
  ist, aufzugeben; eine massive Bewegung zum zivilen Ungehorsam; eine
  protesterfahrene Bevölkerung, geeint wie noch nie; und moderne
  Kommunikationsmittel, die das Militär nicht versteht; dazu tausende
  bewaffnete Rebellentruppen, die starken Übergriffen gegen ihre jeweiligen
  Bevölkerungen nicht ewig zusehen können.
  
  
  Internationale Beobachtung dringend erwünscht
  
  Letztendlich wird es darauf ankommen, wie weit das Militär bereit ist, zu
  gehen, um seine Macht zu verteidigen. Ein in die Enge getriebener Diktator
  der über eine riesige Armee herrscht, ist dabei keine gute Aussicht. Der
  Ausgang all dessen liegt vor allem bei der Bevölkerung selbst, die Außenwelt
  kann hier nur eine Nebenrolle spielen.
  
  Diese sollte aber definitiv gut gespielt werden. Die internationale
  Gemeinschaft muss weiterhin gut hinsehen, diverse Mechanismen der
  internationalen Justiz klare Worte finden. In Anbetracht der schwer zu
  überwindenden chinesisch-russischen Blockade gegenüber härterer Mittel wie
  einem Waffenembargo, bleiben nicht viele andere. Ein Nicht-Anerkennen der
  Junta ist eines davon.
  
  Privatpersonen können sich zunächst informieren, Aufmerksamkeit auf die
  Situation lenken, burmesische Medien wie myanmar-now.org oder
  frontiermyanmar.net unterstützen, oder auch direkt mit kleinen Beiträgen die
  Aufrechterhaltung der Kommunikation und der Streikbewegung unterstützen. Und
  damit einen kleinen Beitrag leisten, dass nicht noch weitere Generationen
  ihrer Zukunft durch machtgierige Generäle beraubt werden.
  
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  Wer Beiträge zur Aufrechterhaltung sicherer Kommunikation und der
  Streikbewegung im Land leisten will, ist herzlich eingeladen, über die akin
  Kontakt mit dem Autor aufzunehmen.
  
  
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