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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Februar 2021; 19:20
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  Rechtsstaat/Glosse:
  
  > Wenn die ÖVP entpolitisiert
  
  Bei einem schwürkisen Minister hat es eine Hausdurchsuchung gegeben. Das
  schreit nach Konsequenzen -- für die Justiz.
  *
  
  "Die ÖVP gibt dem Grünen Druck nach & will nun auch eine weisungsfreie
  entpolitisierte oberste Staatsanwaltschaft. In den Koalitionsverhandlungen
  hat sie das noch vehement blockiert, offenbar hat es erst eine
  Hausdurchsuchung fürs Umdenken gebraucht. Auch ok, Hauptsache sie kommt."
  Twittert Sigi Maurer.
  
  Äh, nein! Grünem Druck gibt die ÖVP prinzipiell nicht nach. Die stellt sich
  nur vor, sie könnte so einen Generalstaatsanwalt einführen, der so
  unabhängig ist und sich so aufführt wie Andreas Khol bei "Im Zentrum" im ORF
  am Sonntag. Da waren vier Gäste eingeladen, von denen drei sehr seriös über
  die Probleme in Österreichs Anklagebehörden diskutierten und ein formal
  pensionierter Parteipolitiker, der die ÖVP von jeglicher Schuld freisprechen
  und lieber über SPÖ-Skandale reden mochte. Außerdem vertraue er generell der
  Staatsanwaltschaft -- außer einigen einzelnen in Wien. Überhaupt hätte er
  gerne, daß Hausdurchsuchungen vorher angekündigt würden. Und ja, deswegen
  will er jetzt seit Neuestem doch sowas wie einen "entpolitisierten"
  Generalstaatsanwalt.
  
  Natürlich kann man das verstehen. Die ÖVP hatte jetzt bis 2019 ein Jahrzehnt
  das Justizministerium besetzt und war recht froh über das politische
  Weisungsrecht. Seither hat sie es aber nicht mehr und dann wird auch noch
  der schwarze Lieblingsoberjurist Pilnacek "abgeschossen", wie Herr Khol das
  nennt. Eine Hausdurchsuchung bei einem ÖVP-Minister geht aber gar nicht. Da
  ist Handeln angesagt, schließlich wäre das unter einer schwürkisen
  Weisungsspitze nicht passiert. Nur: Große Hoffnungen kann sich die ÖVP aber
  auch nicht machen, so bald wieder den Justizminister zu stellen. Denn die
  Grünen wollen partout diese Regierung nicht aufgeben und danach wird wohl --
  egal, wie die nächste Koalition aussehen wird -- kaum jemand mehr der ÖVP
  das Justizministerium überlassen wollen. Also will man den Justizminister
  entmachten und einen neuen obersten Weisungsweisen installieren -- der
  natürlich so parteifern und objektiv wie der Herr Pilnacek sein muß. Damit
  dieser Weise auch völlig unbeeinträchtigt von Interventionen sein kann,
  braucht er natürlich eine sehr lange Amtszeit -- die lang genug ist, um die
  Phase zu überstehen, in der die ÖVP nicht den Justizminister stellt.
  
  Oder wie Stefan Petzner (ja, genau der!) auf Twitter obzitiertes
  Maurer-Statement kommentiert: "oida, grüne laufen in nächste falle. wer
  glaubt türkis wolle weisungsfreie entpolitisierte oberste
  staatsanwaltschaft, ist ein echtes traummännchen. hier weibchen. die övp
  will einen zweiten pilnacek installieren und justiz wieder unter ihre
  kontrolle bringen. um nix anderes gehts!"
  
  
  Exkurs: Der Anwalt des Staates und die EU
  
  Es gibt nämlich einen Grund, warum in den meisten Rechtssystemen zumindest
  ein eingeschränktes Weisungsrecht durch einen politischen Mandatar gegeben
  ist: Staatsanwälte -- der Namen sagt es schon -- sind die Anwälte des
  Staates im Strafrecht und der Staat wird von politischen Mandataren
  kontrolliert. Diese Exekutiv-Mandatare tragen -- zumindest theoretisch --
  eine politische Verantwortlichkeit. Ein weisungsfreier Beamter hingegen muß
  sich gar nicht verantworten -- bestellt wird er aber selbstverständlich
  politisch.
  
  Der immer wieder angeführte Vergleich mit Deutschland geht völlig daneben.
  Der dortige Generalbundesanwalt ist eher mit der hiesigen Finanzprokuratur
  vergleichbar oder vielleicht auch mit der Generalprokuratur, aber
  Weisungsbefugnis hat er keine. Die deutschen Generalstaatsanwaltschaften
  hingegen sind Sache der Länder -- und dem jeweiligen Landesjustizminister
  weisungsgebunden.
  
  In Frankreich hat man nach mehrfacher Kritik durch den EGMR im vergangenen
  Jahrzehnt mehrere Reformen durchführen müssen, um zu so etwas Ähnlichem wie
  unabhängigen Staatsanwälten zu kommen -- ganz weisungsungebunden sind sie
  aber dort immer noch nicht. In Belgien kann der Justizminister ein Verfahren
  nicht niederschlagen lassen, er kann aber eines initiieren.
  
  Laut EU-Justizbarometer 2020 -- das allerdings selbst von einer politischen
  Institution, nämlich der EU-Kommission, herausgegeben wird -- soll es zwar
  in 20 der 27 EU-Staaten keine formelle Weisungsbefugnis durch
  Regierungsverantwortliche mehr geben. Allerdings gilt das auch nur für
  konkrete Fälle. Wie allgemein oder unkonkret Weisungen sein müssen, um doch
  zulässig und bindend zu sein, ist da aber natürlich fraglich. Und informelle
  Weisungen wird es wohl auch geben: Wenn man liest, daß beispielsweise auch
  in Orbans Ungarn ein selbst völlig weisungsungebundener höchster Beamter die
  Kontrolle über Anklage und Niederschlagung hat, sind Zweifel über solche
  EU-Einschätzungen wohl erlaubt.
  
  Der Hintergrund, daß die EU-Kommission so genau auf formal saubere
  Weisungsregime pocht (und möglicherweise bei informellen Strukturen
  wegschaut) ist dabei die rechtliche Notwendigkeit, daß nur offiziell
  weisungsunabhängige Staatsanwälte Europäische Haftbefehle ausstellen können.
  Das Interesse der EU ist also das Plazet des EuGH für die Ermächtigung der
  Strafverfolgungsbehörden auf Unionsebene, weniger deren Unkorrumpierbarkeit
  auf nationaler Ebene.
  
  
  Die Quadratur der Gewaltentrennung
  
  In Österreich wurde jahrzehntelang sowohl unter Gewaltentrennung als auch
  unter "Check and Balances" verstanden, daß immer ein Schwarzer einen Roten
  kontrollieren muß und umgekehrt. Das hängt dem hiesigen Rechtsstaat
  natürlich nach. Aber generell ist die Gewaltentrennung in sich als
  demokratisch verstehenden Staaten ein fast unlösbares Problem: Will man
  politische Verantwortlichkeit in allen Gewalten, müßte man jedes Amt wählen
  lassen. Oder wie der einzige Nicht-Jurist der Im-Zentrum-Gäste, der
  Politologe Filzmayer formulierte: "Wenn man versucht über Strukturen zu
  sprechen, im Parteiengesetzbereich, bei der Führungsspitze im
  Justizbereich -- das ist alles sinnlos, wenn sie nicht entsprechend gelebt
  werden. ... Ich kann einen Bundesstaatsanwalt machen, ich kann den sogar wie
  in den USA wählen lassen vom Volk; hat sich nicht bewährt, weil dann
  Wahlkampf mit Verurteiltenzahlen geführt wird. ... Man kann natürlich das
  auch beim Minister belassen, aber da schwingt dann schon mit, da hält man
  die Leute für naiv (wenn nicht blöd), das würde es in Österreich nicht
  geben, daß, wenn nicht schon direkt, dann über Kabinette versucht wird,
  Einfluß zu nehmen. ... Ich kann das natürlich machen: Ich mache sehr lange
  Amtszeiten ... weil dann kann ich sagen, diese Person wird unabhängig, ...
  weil sie kein anderes Amt mehr anstrebt -- dann kanns aber auch eine
  Verselbständigung geben! ... All diese juristischen Konstruktionen kann ich
  rechtlich natürlich argumentieren. Wenn sie aber nicht politisch mit dem
  entsprechenden demokratischen Grundkonsens erfüllt werden, dann scheitert
  jedes dieser Modelle."
  
  Um das zu vermeiden gäbe es ja in der Zweiten Republik sogar Ansätze -- wenn
  vielleicht auch nicht aus demokratischem Grundkonsens sondern eher aus
  wechselseitigem rot-schwarzem Mißtrauen und Skandalgeprügeltheit, aber doch
  mit dem gleichen Effekt: In der Großen Koalition von 1986 bis 2000 achtete
  man darauf, daß das Justizressort von einem Unabhängigen besetzt wurde. Als
  2009 die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft ins Leben gerufen wurde, setzte
  man als Leiter Walter Geyer ein, einen ehemaligen Grün-Abgeordneten, wo man
  sich sicher sein konnte, daß er keine Nähe zu einer der beiden
  Regierungsparteien hatte. Von 1964 bis 1992 waren die Präsidenten des
  Rechnungshofs ganz selbstverständlich Leute, die weder SPÖ noch ÖVP lieben
  konnten -- weil sie von der (zum Zeitpunkt der Präsidentenbestellung) noch
  unbedeutenden FPÖ kamen.
  
  
  Entpolitisieren ist Einschwärzen
  
  Sowas ist aber nicht möglich, wenn allein die ÖVP den Ton in Regierung und
  Parlament angibt. Es erinnert frappant an die Verfassungsnovelle von 1929,
  als die Christlich-Sozialen die Sozialdemokratie erpreßte, die Bestellung
  der Verfassungsgerichtshofsmitglieder so zu "entpolitisieren", daß die
  parlamentarische Opposition kaum mehr Richter stellen konnte. (Was es vier
  Jahre später Dollfuß erleichterte, den VfGH auszuschalten, in dem alle
  regierungsnahen Mitglieder zurücktraten und damit keine Beschlußfähigkeit
  mehr gegeben war.)
  
  Einen Dollfuß werden wir ja wohl so bald nicht wieder haben, aber die
  Gefahr, daß ein ähnlicher Coup der Schwarzen gelingt, an entscheidenden
  Stellen der Justiz die genehmen Leute zu installieren, ist gegeben. Und zu
  befürchten ist ebenfalls, daß Grüne und Sozialdemokratie bei einer solchen
  Reform, die vielleicht auch einer Verfassungsmehrheit bedarf, gerne
  mitmachen und das dann als ihren Erfolg verkaufen. Schließlich haben sie das
  ja immer gefordert. Siehe Maurer-Tweet.
  *Bernhard Redl*
  
  
  
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