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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 28. Januar 2021; 00:53
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Geschichte/Chemie:
> Tanz den Nowitschok!
Woher die russischen Kampfstoffe stammen, wieso sich britische Militärs so
gut damit auskennen und was das mit einem Döblinger Gymnasium zu tun hat.
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Weiß noch irgendjemand, wer Richard Kuhn war? Er war führend in der
Vitamin-Erforschung tätig. Dafür erhielt der gebürtige Wiener 1938 den
Chemie-Nobelpreis. 1973, 6 Jahre nach seinem Tod, wurde nach ihm ein Weg in
Penzing benannt. Schließlich ist man ja stolz, wenn ein Kind dieser Stadt
einen Nobelpreis bekommt.
Seit 2018 heißt der Weg nicht mehr so und auch die "Gesellschaft Deutscher
Chemiker" verleiht heute nicht mehr die "Richard-Kuhn-Medaille". Die
Nicht-mehr-Ehrung hat einen Grund: Er war nicht nur ein glühender Nazi,
sondern auch einer der "Väter" jener Kampfstoffe, von denen wir erst in den
letzten Jahren in den Medien als "Nowitschok" gehört haben.
Denn so "neuartig", wie die Bezeichnung nahelegt, sind diese sowjetischen
Kampfstoffe -- die in dieser Form erst viele Jahre nach Ende des Zweiten
Weltkriegs bis 1990 entwickelt worden sein sollen -- gar nicht. Und auch
eben nicht nur sowjetisch.
Kuhn entwickelte 1944 zusammen mit seinem Team den Kampfstoff "Soman". Das
bekanntere, aber weniger wirksame "Sarin" wurde schon ein Jahr vorher bei
der Suche nach einem neuen Insektizid von Gerhard Schrader entwickelt. Beide
Stoffe funktionieren aber nach dem selben Prinzip: Ein fluoriertes
Organophosphat blockiert die Acetylcholinesterase.
Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten sich -- vereinfacht gesagt -- die
Alliierten die Forschungsergebnisse auf: Die von Kuhn gingen großteils in
die Sowjetunion, die Briten sicherten sich die von Schrader. Was die
britischen und sowjetischen Chemiker damit machten, war natürlich
jahrzehntelang geheim und bis heute sind da nicht alle Details geklärt.
Etwas Licht in die Sache brachte erst 1991 der Chemiker Wil Mirsajanow, der
aber nur indirekt mit dem Nowitschok-Programm zu tun hatte. Er
veröffentlichte auch einige Formeln der Kampfstoff-Gruppe, die aber aus rund
hundert verschiedenen Verbindungen bestehen soll.
Als 2018 der ehemalige Doppelagent Skripal und dessen Tochter einen
Giftanschlag nur knapp überlebten, wurde von den britischen Behörden
verlautbart, es handle sich um ein Gift aus der Nowitschok-Gruppe. Ermittelt
habe das das Forschungszentrum in Porton Down. Das war auch sehr
glaubwürdig, denn dieses Institut arbeitete offiziell bis etwa 1958 an
Kampfstoffen auf Basis eben des verwandten Sarins -- Menschenversuche
inclusive. Bis heute unterliegt aber die Forschung in Porton Down großteils
strikter Geheimhaltung, auch wenn Teile des Instituts mittlerweile nicht
mehr dem Kriegsministerium sondern der Gesundheitsbehörde unterstellt sind.
Die Forscher von Porton Down machten aber auch keine näheren Angaben
darüber, welches Nowitschok-Gift es denn genau gewesen sei, mit dem die
Skripals vergiftet worden waren. Kein Wunder, denn in den meisten Fällen
läßt sich das Gift nur über seinen Metaboliten Methylphosphonsäure
nachweisen -- und der ist bei allen diesen Stoffen gleich, also auch bei
Sarin. Übrigens auch bei den als V-Kampfstoffen bekannten Substanzen, die
vom britischen Konzern ICI auf der Basis von Schraders Forschungen als
Pestizid entwickelt worden waren, wegen ihrer extremen Giftigkeit schnell
wieder zurückgezogen, aber genau deswegen von Porton Down adoptiert wurden.
Von dort ging diese Entwicklung an die US-Armee, die 1959 im "Edgewood
Arsenal" die Möglichkeiten zur militärischen Anwendung erprobte -- "VX" gilt
bis heute als einer der schlimmsten Nervenkampfstoffe. Ab da verbreiteten
sich diese Giftstoffe in die Arsenale vieler Regierungen weltweit. Manche
hatten ihre Kenntnisse über die Produktion aus Moskau, manche aus Washington
und London, je nach Bündnislage oder Spionagetätigkeit.
Im Fall Nawalny soll aber tatsächlich noch etwas von dem Originalgift
gefunden worden sein -- wenn auch die Berichte darüber doch recht
widersprüchlich sind. Aber selbst wenn das stimmen sollte, ist das noch kein
Beweis für den Urheber. Die Hintergründe sprechen natürlich sehr für die
These russischer Agenten. Wenn Moskauer Stellen behaupten, es könnten auch
andere Geheimdienste für die Vergiftungen verantwortlich sein, klingt das
nach Schutzbehauptung. Praktisch unmöglich wäre sowas aber rein technisch
wohl nicht, denn ein Nowitschok-Nachweis ist eben nicht mit einem
eindeutigen Fingerabdruck zu vergleichen.
Ach ja und vielleicht sollte man doch wieder mehr des
Chemie-Nobelpreisträgers aus Wien gedenken. Nicht unbedingt ehrend, aber
vielleicht auch nicht ignorierend: Der frühere Richard-Kuhn-Weg heißt jetzt
"Stadt-des-Kindes-Weg". Im offiziellen Geschichtewiki der Stadt Wien, das
ansonsten immer sehr ausführlich ist, ist unter diesem Stichwort heute
lapidar zu lesen, daß der Weg seit 2018 eben anders heißt, nicht warum. Das
findet man lediglich unter dem Eintrag "Richard Kuhn", weil man einen
Nobelpreisträger halt doch nicht völlig ignorieren kann.
Dieser Weg hat übrigens auch eine Kreuzung mit der Wolfgang-Pauli-Gasse.
Denn der Physik-Nobelpreisträger ist nicht nur wie Kuhn 1900 in Wien
geboren, sondern besuchte auch das selbe Döblinger Gymnasium. Daher befindet
sich auch auf diesem Gebäude bis heute eine gemeinsame Gedenktafel für
beide: Kuhn und Pauli. Gleichwertig liest man da die Namen von diesem Dr.
Seltsam und dem Physiker, der wegen seiner jüdischen Herkunft in die USA
flüchten mußte.
Irgendwie ist jede Geschichte immer auch ein bisserl eine Nazigeschichte.
Und in Wien will man über solche Geschichten genausowenig reden wie in
London oder Washington. Notfalls sind sowieso immer die Russen schuld an
allem. Da braucht es nun wirklich keinen Beweis.
*Bernhard Redl*
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