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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 14. Januar 2021; 02:57
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  Flucht / Offener Brief:
  
  > Weihnachtsgruß aus Moria
  
  Selbstorganisierte Flüchtlingsgruppen aus dem neuen Moria wenden sich zu
  Weihnachten an Europa. Sarkastisch bitten sie darum, wie Tiere behandelt zu
  werden. Ihren Brief verbreitete die NGO *medico international*:
  
  
  Liebe Europäerinnen und Europäer, sehr geehrte Frau von der Leyen,
  wir wünschen Ihnen ein frohes Weihnachtsfest aus dem neuen Flüchtlingslager
  auf Lesbos. Wir hoffen, dass Sie trotz der Schwierigkeiten, die wir alle
  aufgrund der Corona-Pandemie haben, schöne Feiertage haben werden.
  
  Wir sind vor drei Monaten, nachdem das alte Camp in Moria niedergebrannt
  ist, in ein neues Lager umgezogen und leben hier mit 7000 Flüchtlingen. Im
  September wurden uns bessere Bedingungen im neuen Lager versprochen und wir
  haben diese Versprechen gerne gehört und darauf gewartet, dass sie erfüllt
  werden.
  
  Leider ist seitdem nicht wirklich etwas passiert. Noch immer warten wir auf
  genügend warme Duschen. Wenn es regnet, wird das Lager überflutet und Zelte
  werden nass. Wir haben keine Heizungen, die uns und unsere Kinder warm
  halten, keine Schulen oder Kindergärten. Wenn wir krank werden, warten wir
  stundenlang auf medizinische Behandlung und das Essen, das wir bekommen, ist
  zwar ausreichend, aber nicht gesund.
  
  Auch wurde uns versprochen, dass unsere Asylverfahren endlich beschleunigt
  würden, aber immer noch warten zu viele von uns, einige seit mehr als einem
  Jahr auf ihre Interviews. Stattdessen sitzen wir hier in der Vorhölle und
  haben nichts anderes zu tun als zu warten.
  
  Die Situation ist teilweise noch schlimmer als vor dem großen Brand. Nur die
  Sicherheit ist besser geworden, aber trotzdem gibt es nachts kein Licht im
  Lager. Im alten Moria konnten wir uns selbst organisieren, wir hatten kleine
  Schulen, Läden und viele andere Aktivitäten betrieben. Im neuen Lager ist
  das nicht möglich.
  
  Wir stimmen mit dem deutschen Entwicklungsminister Herrn Müller überein, der
  letzte Woche sagte, dass die Situation in diesem Lager schlimmer ist als in
  jedem afrikanischen Krisenland. Wir wollen ihm für seine klaren Worte
  danken, aber wir fragen uns: Wie kommt es, dass wir nach drei Monaten und so
  vielen Millionen von Regierungsspenden und von NGOs gesammelten Geldern
  immer noch an einem Ort ohne fließendes Wasser, heiße Duschen und ohne ein
  funktionierendes Abwassersystem sitzen? Warum können unsere Kinder immer
  noch nicht in einen Unterricht gehen und warum sind wir auf den guten Willen
  einiger Organisationen angewiesen, die gebrauchte Kleidung und Schuhe an uns
  verteilen?
  
  Haben wir keine Rechte als Menschen und Flüchtlinge in Europa, die eine
  Grundversorgung für jeden beinhalten? Oft lesen und hören wir, dass wir in
  diesen Lagern wie Tiere leben müssen, aber wir denken, dass das nicht
  stimmt.
  
  Wir haben die Gesetze zum Schutz der Tiere in Europa studiert und wir haben
  herausgefunden, dass sogar sie mehr Rechte haben als wir. Jedes Tier sollte
  diese Rechte haben:
  
  · "Freiheit von Hunger oder Durst
  
  · Freiheit von Unbehagen durch Bereitstellung einer angemessenen Umgebung,
  einschließlich eines Unterschlupfs und eines bequemen Ruhebereichs
  
  · Freiheit von Schmerzen, Verletzungen oder Krankheiten durch Vorbeugung
  oder schnelle Diagnose und Behandlung
  
  · Freiheit, (die meisten) Regungen und ein normales Verhalten zeigen und
  leben zu können durch die Bereitstellung von ausreichend Platz, geeigneten
  Einrichtungen und sozialer Gesellschaft
  
  · Freiheit von Angst und Bedrängnis durch Gewährleistung von Bedingungen und
  einer Behandlung, die psychisches Leiden vermeiden."
  
  Genießen wir hier im neuen Camp diese Rechte? Sorry: Nein. Vielleicht haben
  wir keinen Hunger, aber wir leben in keiner "angemessenen Umgebung", wir
  haben keine Freiheit von Schmerz und Not. Keiner von uns ist in der Lage,
  normales Verhalten zu zeigen, weil wir den ganzen Tag darum kämpfen müssen,
  etwas Wasser zum Reinigen und Essen zu organisieren und um ein warmes
  Plätzchen zu bekommen. Wir alle leben in Angst und Not. Eine neue Studie
  besagt, dass Flüchtlinge auf griechischen Inseln so deprimiert sind, dass
  jeder Dritte an Selbstmord denkt.
  
  Deshalb fragen wir Sie ganz ehrlich: Würden wir auch so behandelt werden,
  wenn wir Tiere wären? Also haben wir beschlossen, Sie zu bitten, uns die
  einfachen Rechte zu gewähren, die Tiere haben. Wir würden uns freuen, wenn
  wir diese erhalten und versprechen Ihnen, dass Sie keine Klagen mehr von uns
  hören werden. Wir wollen nicht mehr hören, dass unsere Situation nicht so
  schlimm ist. Wir laden alle, die so denken, ein, nur für eine Nacht in
  unserem Camp zu bleiben.
  
  Nach einem schrecklichen Jahr, in dem wir hier leben mussten, ist dies unser
  Wunsch für Weihnachten. Er ist einfach und wir denken, dass es nicht länger
  als drei oder vier Wochen dauert, ihn zu erfüllen.
  
  Wir bitten nicht um weitere Spenden oder Geld für die Instandsetzung der
  Infrastruktur. Wir haben in den Zeitungen gelesen, wie viele Millionen
  bereits ausgegeben wurden und viele von uns sind Ingenieure, Elektriker,
  Ärzte und wir wissen, dass es nicht sehr viel Geld braucht, um ein solches
  Lager in Stand zu setzen.
  
  Wenn Sie uns helfen wollen, fragen Sie stattdessen bitte: Wo ist das ganze
  Geld geblieben? Warum hat es uns nicht erreicht?
  
  Wir sind bereit, uns selbst zu helfen und hart zu arbeiten, wenn man uns nur
  lässt und vertraut, dass wir diesen Ort besser machen können. Wir haben es
  in der Vergangenheit bewiesen und auch jetzt wird die meiste Arbeit hier
  entweder von Flüchtlingen, die ehrenamtlich für NGOs arbeiten, oder von
  Selbsthilfeorganisationen der Flüchtlinge geleistet. Wir wollten immer
  zeigen, dass das Bild, das viele Menschen von uns haben, falsch ist: Wir
  sind nach Europa gekommen, um Asyl zu beantragen und um Bürger:innen und
  nützliche Mitglieder Ihrer Gesellschaften zu werden.
  
  Wir betrachten dieses Lager als unser Lager und wir wollen die Unterstützung
  haben, es zu reparieren. Was wir brauchen, ist professionelle Hilfe von
  Expert:innen, aber was wir sehen, sind viele Freiwillige voller guten
  Willens, aber ohne die Fähigkeiten, die Kanalisation, die Unterkünfte und
  die Wasserversorgung zu reparieren. Was wir fordern ist, als Partner:innen
  ernst genommen zu werden und uns darüber aufzuklären, was geplant ist und
  wie viel Geld vorhanden ist und ausgegeben wird.
  
  Wir sehen viele Spendenaufrufe und Versprechungen und wir sehen unsere
  Realität und das macht uns frustriert und wütend.
  
  Lassen Sie uns ganz klar sagen: Wir alle können die Vorstellung nicht
  ertragen, dass ein neues Jahr für uns und die Flüchtlinge in den anderen
  Lagern wie auf Samos und Chios so beginnt.
  
  Wir bitten Sie, das nicht geschehen zu lassen. Wir bitten Sie um einige sehr
  einfache und leichte Schritte:
  
  · eine ausreichende Wasserversorgung und Duschen zu ermöglichen,
  
  · ordentliche sanitären Anlagen zu installieren,
  
  · eine ordentliche Drainage zu legen, damit unser Camp bei Regen nicht
  überflutet wird,
  
  · die Versorgung mit Elektrizität, Heizung und Zelten für den Winter
  sicherzustellen,
  
  · Plätze für Kinder zu schaffen,
  
  · genügend Zelte für Schulen, Klassen und Werkstätten bereitzustellen,
  
  · Licht auf den Hauptstraßen des Camps zu installieren,
  
  · die medizinische und psychologische Versorgung zu verbessern,
  
  · Orte für Treffen und Freizeit zu haben.
  
  Wir bitten Sie, uns zu helfen, dies zu ermöglichen. Im Frühjahr war noch von
  Evakuierung die Rede, aber zu Weihnachten bitten wir Sie nur darum, dieses
  provisorische Lager zu reparieren und uns nicht den Rest des Winters an
  diesem Ort weiter leiden zu lassen.
  
  All unsere besten Wünsche
  
  *Omid Deen Mohammed für das Moria Corona Awareness Team (MCAT)*
  *Raed al Obeed für die Moria White Helmets (MWH)*
  
  
  Quelle: https://www.medico.de/moria-brief
  
  
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