**********************************************************
  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 7. Januar 2021; 08:25
  **********************************************************
  
  Zum Geleit:
  
  > Rechtsstaat und Sühne
  
  Der Fall von Julian Assange ist nur die Überhöhung des Alltags üblicher
  Justizpraxis
  
  
  Die Justiz-Farce geht weiter: Julian Assange bleibt in Haft. Und das ist
  rechtsstaatlicherseits auch völlig in Ordnung so. Schließlich hat ein
  Gericht in einer der ältesten Demokratien der Welt so entschieden. In UK
  kann man ja auch zu Recht sagen, daß man bereits mit dem Habeas Corpus Act
  von 1679 rechtsstaatliche Garantien für Inhaftierte eingeführt habe -- rund
  ein Jahrhundert vor der französischen Revolution und der "Bill of Rights" in
  den USA.
  
  Das Problem ist: Der Rechtsstaat an sich ist nicht in Ordnung. Wir kennen
  das aus allen Staaten, die von sich behaupten, Rechtsstaaten zu sein: Wenn
  jemand angeklagt wird, hat er zwar alle Rechte eines Beschuldigten -- mit
  dem Versprechen, nicht zu einer Strafe verurteilt zu werden, wenn sich
  herausstellen sollte, daß er unschuldig sei. Vor dem Verfahren hingegen, das
  oft genug die eigentliche Strafe ist, wird der Beschuldigte nur mangelhaft
  geschützt. In Österreich gilt: Staatsanwälte sind verpflichtet, genau zu
  prüfen, ob Vorwürfe relevant sind. Richter haben die Verpflichtung, in einem
  Verfahren, das offensichtlich nicht zu einer Verurteilung führen kann, schon
  vor der Hauptverhandlung einzustellen. Und Inhaftierte haben das Recht auf
  Haftentschädigung, wenn sie zu Unrecht inhaftiert waren. Außerdem steht
  ihnen ein Kostenersatz für die anwältliche Vertretung zu.
  
  Die Realität sieht anders aus. Erst durch ein Urteil des
  Menschenrechtsgerichtshofs hat sich die Republik genötigt gesehen, auch bei
  Freisprüchen "aus Mangel an Beweisen" Haftentschädigung zu bezahlen.
  Anwaltskosten sind für den Staat gedeckelt, auch wenn sie es für die
  Beschuldigten nicht sind. Und die Vernichtung bürgerlicher Existenzen durch
  ein Verfahren ist nach wie vor kein Entschädigungsthema vor österreichischen
  Gerichten -- siehe das Tierrechtlerverfahren. Polizeibeamte, Staatsanwälte
  und Richter, die sehenden Auges bei diesen Unrechtsverfahren mitgemacht
  haben, sind hingegen praktisch nicht belangbar.
  
  Und so sieht es halt weltweit aus. Womit wir wieder beim Fall Assange wären.
  Wir erinnern uns: Die USA wollten 2010 Assange unter Anklage stellen,
  konnten seiner aber nicht habhaft werden. Darauf konstruierte die
  schwedische Justiz eine Anklage wegen Vergewaltigung und initiierte einen
  internationalen Haftbefehl. Die britische Justiz, auf deren Territorium sich
  Assange gerade aufhielt, exekutierte den Haftbefehl, entließ Assange aber
  gegen Kaution in Hausarrest. Dieser flüchtete 2012 in die ecuadoranische
  Botschaft, weil die USA einen Auslieferungsantrag gestellt hatten. 2019 hob
  Ecuador -- offensichtlich zum Zwecke eines besseren Verhältnisses zu den
  USA -- Assanges Asylstatus auf. Die Briten nahmen ihn wieder in Haft -- und
  zwar in Strafhaft, wegen Kautionsflucht. Das verschaffte den USA die
  Möglichkeit eines neuerlichen Auslieferungsantrags. Die schwedische Justiz
  hingegen strich ihr Verfolgungsbegehren -- schließlich hatte diese Anklage
  ihren Zweck erfüllt. Damit war auch deren Auslieferungsbegehren hinfällig,
  weil Assange ja schließlich für die USA in Haft gebracht werden sollte.
  
  Hier ist mal Folgendes festzuhalten: Assange saß in Haft, weil er sich der
  erneuten Verhaftung entzogen hatte, die auf einer Anklage fußte, die von der
  Strafverfolgungsbehörde später selbst als unbegründet zurückgezogen wurde.
  Assange war also vollkommen im Recht, sich dieser Verfolgung zu entziehen.
  Das ist aber egal, denn die Flucht als solche war strafbar.
  
  Nach vollständigem Ablauf der Strafhaft wurde aber Assange natürlich nicht
  enthaftet, denn die Strafe ging nahtlos in eine Auslieferungshaft über.
  
  Jetzt kam der erste Gerichtsentscheid: Assange wird nicht ausgeliefert --
  nicht, weil es rechtlich nicht angebracht wäre und das Aufdecken von
  Kriegsverbrechen kein Verbrechen sein kann, sondern weil er zu krank für
  eine Auslieferung sei und die Haft in den USA ihn wahrscheinlich umbringen
  würde. Das heißt aber auch, daß Assange nie wieder gesund werden darf, weil
  er dann damit rechnen müßte, doch noch ausgeliefert zu werden.
  
  Wohlgemerkt: Krank ist Assange erst durch die Haft geworden. Heute, am
  6.Jänner, entschied ein Gericht in UK, daß Assange, der zu krank für die
  Haft in den USA sei, in UK weiter in Haft bleiben müsse.
  
  Wie gesagt: Rechtsstaatlich ist das alles völlig in Ordnung. Nur gut, daß
  Franz Kafka nicht mehr erleben mußte, daß seine Mahnung als Anleitung
  mißverstanden worden ist.
  
  *Bernhard Redl*
  
  
  Siehe auch: "Das Verfahren als Strafe" in "Juridicum" 3/1998,
  wiederveröffentlicht 2015 unter:
  https://akinmagazin.wordpress.com/2015/01/28/archiv-das-verfahren-als-strafe/
  
  
  
  ***************************************************
  Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
  Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
  wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
  von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
  Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
  Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
  anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
  Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
  den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.
  
  
  *************************************************
  'akin - aktuelle informationen'
  postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
  redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
  vox: 0665 65 20 70 92
  http://akin.mediaweb.at
  blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
  facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
  mail: akin.redaktion@gmx.at
  bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
  bank austria, zweck: akin
  IBAN AT041200022310297600
  BIC: BKAUATWW