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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 7. Januar 2021; 08:30
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  Corona:
  
  > Offener Brief an Rudi Anschober
  
  Und ein paar Anmerkungen
  
  
  Ich leite hier einen (unbeantwortet gebliebenen) Brief weiter, den ich im
  November vorigen Jahres, vor dem 2. Lockdown, an unseren Gesundheitsminister
  geschrieben habe:
  *
  
  Sehr geehrter Herr Bundesminister, mit Freude und großer Hoffnung habe ich
  im Jänner d. J. von Ihrer Ernennung zum Bundesminister für Soziales,
  Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz erfahren.
  
  Ich beneide Sie nicht um diesen Posten - die Ereignisse der letzten Monate
  sind, nehme ich an, auch für Sie eine schwer zumutbare Belastung.
  
  Trotzdem möchte ich einige Kritik, die einschneidenen Beschränkungen der
  persönlichen Bewegungsfreiheit betreffend, zu bedenken geben:
  
  Wenn, wie ich im Radio höre (die meisten Informationrn beziehe ich von Ö1),
  das Corona-Virus kaum durch Schmier-Infektion übertragen wird: warum
  beschränken Sie die Vorkehrungen gegen die Weiterverbreitung nicht auf die
  Vermeidung oraler Kontakte ?
  
  Wenn, wie ich annehme, die meisten Infektionen oral übertragen werden
  (Küssen ist bis jetzt noch nicht verboten, zumindest habe ich noch nichts
  davon gehört, und auf den Straßen eher unüblich, besonders in Zeiten wie
  diesen, mit MNS): warum sollen wir nicht auf die Straße gehen. In einer
  Radio-Diskussion ist das Wort gefallen: "Der einzige Ort, wo man sich von
  Amts wegen infizieren darf, ist die Familie."
  
  Je restriktiver die Einschränkungen werden, desto eher werden sie, fürchte
  ich, missachtet oder umgangen.
  
  Wenn ich höre, wie die Post und andere Paket-zustellende Firmen überlastet
  sind, und wir während des 1. Lockdown erfahren mussten, unter wie
  unhygienischen und oft menschen-unwürdigen Bedingungen die dort
  Beschäftigten leben, dann verstehe ich nicht, warum der Einzelhandel
  zugesperrt wird und die großen Handels-Konzerne (amazon und Konsorten)
  dadurch noch von Amts wegen gefördert werden! Wie groß ist die
  Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung beim Einkauf oder beim Abholen einer
  vorbestellten Ware z. B. in einem Blumen-Geschäft, wie heute [26.11.20] im
  Morgenjournal vorgeschlagen, im Vergleich zu den gedrängten
  Arbeits-Bedingungen in den Hallen der Handels-Ketten?
  
  Sehr geehrter Herr Bundesminister, Sie sind nicht nur für Seuchen-Hygiene
  zuständig, sondern auch für das seelische und das soziale Wohlbefinden der
  in Österreich lebenden Menschen, und nicht nur für die
  Vater-Mutter-Kind-Familien mit Häus'chen und Garten, sondern auch für die
  Familien, die zu sechst in Quarantäne in Zimmer-Küche-Kabinett eingesperrt
  werden, und auch für die sogenannten unvollständigen Familien, und für die
  Kinder, deren Eltern oder andere Bezugspersonen nicht mit ihnen in 1
  Haushalt leben -- so viele Ausnahmen von Ihren Verordnungen können sie sich
  gar nicht ausdenken wie es Lebensformen gibt in diesem Land. Und ich frage
  mich schon seit 8 Monaten, wie Obdachlose es schaffen sollen, ihre nicht
  vorhandene Wohnung nicht zu verlassen, und Geflüchtete oder
  Arbeits-Migrant_inn_en, womöglich ohne Aufenthalts-Erlaubnis.
  
  Ich fürchte, wir werden mit dem Virus leben lernen müssen. Wir werden uns
  abgewöhnen, von der Medizin zu erwarten, dass sie alle Probleme lösen kann:
  wenn der Blutdruck zu hoch ist lassen wir uns ein blutdrucksenkendes Mittel
  verschreiben, wenn wir nicht einschlafen können, ein Schlafmittel, wenn wir
  verkühlt sind: ein Aspirin o. ä., weil wegen ein bisschen Verkühlung bleibt
  man doch nicht zuhause ...
  
  Ich glaube, Menschen, die auf ihre Befindlichkeit achten, auf sich Rücksicht
  nehmen, ihre Schwächen akzeptieren und nicht sich über ihre Kräfte hinaus
  strapazieren (was z. Z. vom Spitals-Personal, von den Reinigungs- und
  Hilfskräften, den Pflegenden und den Ärzt-inn_en verlangt wird, oder sie
  sich selber abverlangen), sind weniger empfänglich für Krankheiten.
  
  Die immer rigoseren Einschränkungen rauben uns die Lust am Leben, machen
  trübsinnig, melancholisch, aggressiv oder auto-aggressiv, und krank.
  
  Hören Sie bitte nicht nur auf ihre virologischen und statistischen Berater
  und Beraterinnen.
  
  Ich wünsche Ihnen alles Gute.
  *
  
  Soweit mein Brief. Dem möchte ich heute hinzufügen:
  
  Zitat Tanja Krones, Ärztin und Soziologin, seit 2009 leitende Ärztin am
  Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte sowie
  Geschäftsführerin des Klinischen Ethikkomitees des Universitätsspitals
  Zürich in Republik.ch: "Corona ist eine soziale Krankheit. Wer stirbt? Es
  ist vorderhand zwar nur ein Erfahrungswert, weil wir in der Schweiz die
  soziale Klasse, das heisst primär die Einkommensklasse der Verstorbenen,
  nicht erheben. Ich bin aber mit vielen Beobachterinnen der festen
  Überzeugung, dass es vorwiegend die Armen sind, die sterben. Man weiss, dass
  bei den hospitalisierten Covid-Patienten im mittleren Alter viele in
  prekären Berufen arbeiten und deshalb besonders exponiert sind, weil sie
  nicht im Homeoffice arbeiten können. Diese Menschen sind auch ganz generell
  in einem schlechteren gesundheitlichen Zustand als der Durchschnitt der
  Bevölkerung. Corona ist weniger eine Pandemie als eine Syndemie: Tödlich
  wird das Virus ganz besonders da, wo es zusammentrifft mit ungünstigen
  sozialen Bedingungen. [...] in den Pflegeheimen [...] vollzieht sich
  übrigens eine Form der stillen sozialen Triage: Bei alten Menschen, die
  vielleicht gebrechlich sind, aber zu Hause leben können, weil sie sich eine
  private Betreuung leisten können, ist die Ansteckungsgefahr geringer als bei
  einer Heimbewohnerin, die von wechselndem Pflegepersonal betreut wird und
  schon deshalb mehr Kontakte hat."
  
  Siehe auch: Standard 18.12.2020: "Corona verschärft Not der prekär
  Beschäftigten": häufiger arbeitslos, zumeist nicht von den sozialen
  Sicherungsnetzen aufgefangen; besonders betroffen: Migrantinnen und
  Migranten: wenig bis kein Arbeitnehmerschutz, Scheinselbstständigkeit,
  Arbeit über digitale Plattformen ...
  
  Und: Puls 24, 18.12.2020, 21.30 h: Wer bringt unsere Pakete ? - Ausbeutung
  frei Haus. Das Leid der Amazon-Paketzusteller: wie Firmen ihre Mitarbeiter
  ausbeuten. (2)
  
  Mit den Lockdowns werden die Großhandelsketten gefördert, die, fürchte ich,
  zu einem großen Teil an der Verbreitung des Corona-Virus schuld sind.
  
  Auch vom Spitals-Personal, von den Reinigungs- und Hilfskräften, den
  Pflegenden und den Ärzt-inn-en wird erwartet, dass sie sich über ihre Kräfte
  hinaus strapazieren (oder sie verlangen es sich selber ab). Mit dieser
  dauernden Überanstrengung machen sie sich empfänglicher für Infektionen!
  Unser Gesundheits-System ist krank.
  
  Immer mehr scheint mir Corona ein Mittelstands-Problem: die meisten Menschen
  sterben nicht an Corona sondern an Staublunge oder ähnlichen vermeidbaren
  Krankheiten, oder verhungern.
  
  Die Infektions-Zahlen steigen trotz Lockdown - es scheint z. Z. nicht das
  geeignete Präventiv-Mittel. Wie wär's mit konsequenter Arbeits-Inspektion?
  
  Meint
  
  *Liesl Fritsch*
  
  
  (1) Interview mit Daniel Binswanger,
  https://www.republik.ch/2020/12/21/am-schlimmsten-ist-die-stille-triage
  
  (2)
  https://www.puls24.at/video/wer-bringt-unsere-pakete-ausbeutung-frei-haus
  
  
  
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