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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 17. Dezember 2020; 02:07
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Waffen/Europa:
> Der digital-militärische Komplex
Die EU-Kommissionspräsidentin sprach bei ihrem Antreten davon, daß Europa
seine militärischen "Muskeln entwickeln" solle. Dabei ist die europäische
Rüstungszusammenarbeit ja nun wirklich nichts Neues. Lediglich
Partikularinteressen von Einzelstaaten und Rüstungskonzernen behindern den
Friedensnobelpreisträger derzeit noch bei der Entwicklung der Waffen der
nächsten Generation.
Der Blog *German Foreign Policy* berichtet:
*
Berliner Regierungsberater warnen vor einem Scheitern der gemeinsamen
deutsch-französischen Entwicklung eines Kampfjets der nächsten Generation.
Das "Future Combat Air System" (FCAS), das neben dem Kampfjet Drohnen und
Drohnenschwärme umfassen und mit Hilfe einer "Air Combat Cloud" gesteuert
werden soll, sei "Europas bedeutendstes Rüstungsvorhaben", heißt es in einer
aktuellen Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Gefährdet sei
es jedoch von zahllosen deutsch-französischen Differenzen. Dasselbe trifft
auf Arbeiten an einem neuen deutsch-französischen Kampfpanzer ("Main Ground
Combat System", MGCS) zu. Beide Systeme sollen die Streitkräfte nicht nur
Deutschlands und Frankreichs, sondern möglichst vieler Staaten Europas für
künftige High-Tech-Kriege mit einem hohen Grad an Automatisierung rüsten und
ab 2040 einsatzbereit sein. Dabei weisen Experten darauf hin, dass die
Entwicklung vor allem des FCAS exklusive digitale Fähigkeiten erforderlich
macht: Sie könne für die EU als "Katalysator ziviler digitaler Technologien"
nützlich sein.
Air Combat Cloud mit Künstlicher Intelligenz
Wichtigster Baustein der deutsch-französischen Rüstungskooperation ist das
Future Combat Air System (FCAS), ein Luftkampfverbund, der um einen neuen
Kampfjet der "sechsten Generation" zentriert ist und weitere Elemente
beinhaltet, insbesondere Drohnen bzw. Drohnenschwärme. Die unterschiedlichen
Elemente sind online über ein Cloudsystem ("Air Combat Cloud") verbunden,
das präzise abgestimmte Kampfhandlungen des gesamten FCAS ebenso ermöglicht
wie die Einbindung weiterer Flugzeuge - etwa des Eurofighter - oder
sonstiger Waffensysteme. Das FCAS wird in der Air Combat Cloud nicht zuletzt
Künstliche Intelligenz (KI) nutzen und damit "einen hohen Grad an
Automatisierung" erreichen, wie Dirk Hoke äußert, Vorstandsvorsitzender von
Airbus Defence and Space; "die entscheidende Frage" in diesem Zusammenhang
werde sein, "wie wir sicherstellen können, dass eine automatisierte
Entscheidung eine menschliche Entscheidung bleibt".[1] Hoke deutet damit
nicht bloß die Möglichkeit einer weitestgehend automatisierten Kriegführung
mit Hilfe des FCAS an; er weist auch darauf hin, dass die Entwicklung des
Systems "zivile Kompetenzen in den Bereichen Künstliche Intelligenz und
Cloud-Technologien stärkt"; es könne sich damit als militärischer
"Katalysator ziviler digitaler Technologien" erweisen. Deren forcierte
Weiterentwicklung ist aktuell ein weiteres Ziel Berlins und der EU.[2]
Kampfsysteme als Technologietreiber
Die enge Verbindung zwischen dem FCAS und offiziell zivilen EU-Vorhaben wird
auch in einer aktuellen Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und
Politik (SWP) thematisiert. Dem Think-Tank zufolge sind Entwicklung und
Produktion des FCAS nicht nur "ein Lackmustest dafür, inwiefern Europa in
der Lage ist, sicherheitspolitisch zusammenzuarbeiten, eigene Fähigkeiten zu
entwickeln und zu diesem Zweck nationale Interessen in den Hintergrund zu
stellen".[3] Das Hightech-Kampfsystem habe zudem "den Anspruch, innerhalb
Europas technologische Exzellenz zu entwickeln und zu kultivieren, die
geeignet" sein solle, "weit über den militärischen Sektor hinaus zu wirken",
erläutert die SWP. "Anwendungen wie sichere europäische Cloud-Services" -
Berlin und Paris treiben zur Zeit mit ihrer Initiative "Gaia-X" den Aufbau
einer "europäischen" Cloud voran [4] - "oder unbemannte autonome
Flugsteuerung" seien "Technologie-Treiber, deren Potenziale gleichermaßen
für eine zivile Nutzung von hoher Relevanz sind". Es gelte daher, das "FCAS
als Gesamtsystem zu betrachten": Es sei nicht lediglich ein beliebiges
"weiteres teures Rüstungsvorhaben" - "es ist viel mehr".
Ab 2040 kriegsbereit
Die Vorarbeiten für das FCAS, dessen Entwicklung offiziell im Juli 2017
beschlossen wurde [5], schreiten unterdessen - wenngleich mit nicht nur
pandemiebedingter Verzögerung - voran. So steht die Zuteilung von
Teilaufträgen an die Industrie mittlerweile im Grundsatz fest. Das
FCAS-Kernelement - Entwicklung und Bau des Kampfjets - wird federführend von
Dassault (Frankreich) unter Mitwirkung von Airbus (Deutschland, Spanien)
organisiert; auch bei den Triebwerken soll Frankreich (Thales) die Führung
innehaben. Bei den Begleitdrohnen und den Cloudlösungen wiederum wird die
Leitung bei Airbus Defence and Space (Ottobrunn bei München) liegen. In den
Bereichen Sensorik (Indra Sistemas) und Tarnung (Airbus) stehen spanische
Firmen an der Spitze, während die siebte Säule (Simulation) von Unternehmen
der drei beteiligten Staaten gemeinsam in Angriff genommen wird. Ein erster
Prototyp des Kampfjets soll bis 2026 oder 2027 fertiggestellt werden und
anschließend Probeflüge durchführen. Den Abschluss der Entwicklungsarbeiten
haben Berlin und Paris für das Jahr 2035 im Visier. In Betrieb genommen
werden, also für Kriege zur Verfügung stehen soll das FCAS in den Jahren ab
2040.
Interventionen vs. Kontinentalkrieg
Ebenfalls ab 2040 einsatzbereit sein soll das deutsch-französische
Gegenstück zum FCAS für die Landstreitkräfte: das Main Ground Combat System
(MGCS), das um einen Kampfpanzer der nächsten Generation zentriert ist und
gleichfalls in einem vernetzten System, möglicherweise mit Kampfrobotern,
operieren soll. Nach längeren Vorbereitungen inklusive anhaltender
Streitigkeiten [6] haben im Dezember die deutschen Panzerbauer Krauss-Maffei
Wegmann und Rheinmetall sowie die französische Waffenschmiede Nexter Systems
eine "Arbeitsgemeinschaft" ("ARGE") gegründet, die das MGCS entwickeln sowie
produzieren soll. Jedes der drei Unternehmen hält ein Drittel der Anteile an
der ARGE [7], die im Mai den offiziellen Auftrag erhalten hat, binnen 18
Monaten eine Studie zu erstellen, die alle bisherigen Vorarbeiten bündeln
sowie anschließend eine gemeinsame "Architektur" für das Landkampfsystem
vorschlagen soll. Die Anteile an der Studie entfallen dabei je zur Hälfte
auf Deutschland und Frankreich, ein erneuter Beleg, wie nationale Interessen
das vorgeblich "europäische" Projekt dominieren. Eine aktuelle Analyse des
Comité d'études des relations franco-allemandes (Cerfa) aus Paris weist
darauf hin, dass die französische Seite gezielt auf "Interventionsfähigkeit
... etwa in Nordafrika" setze - "also eher leichtes Gewicht für die
Verlegbarkeit" -, während die deutsche Seite für "einen europäischen
Kontinentalkrieg" plane. Wie daraus "ein gemeinsames System entstehen"
solle, sei noch recht unklar.[8]
Die Frage der nuklearen Bewaffnung
Derlei Differenzen sind nicht neu. Die deutsch-französische
Rüstungskooperation sei zwar "schon lange intensiv", heißt es in der
Cerfa-Analyse; dennoch seien "viele Großprojekte gescheitert oder haben
erhebliche Probleme bereitet". So sei die Bundesrepublik im Jahr 1982 aus
dem deutsch-französischen Projekt "Kampfpanzer 90" ausgestiegen - wegen
Differenzen, die denjenigen stark ähnelten, die heute Entwicklung und Bau
des MGCS überschatteten.[9] Frankreich wiederum habe sich schon einmal aus
einem gemeinsamen Kampfjetprojekt verabschiedet - dem Eurofighter. Es gebe
heute nicht nur Auseinandersetzungen um das MGCS, sondern auch um das FCAS,
etwa darum, ob sein Export künftig locker (Frankreich) oder eher restriktiv
(Deutschland) gehandhabt werden solle. Die SWP wiederum konstatiert, dass
das FCAS aus französischer Perspektive in der Lage sein müsse, französische
Atomwaffen zu transportieren, was für die deutsche Seite eventuell mit Blick
auf die "nukleare Teilhabe" von Bedeutung sei; beides führe allerdings zu
verschiedenen, sich gegenseitig ausschließenden technischen
Anforderungen.[10] Vor allem aber weist die SWP darauf hin, dass dringend
Fragen des geistigen Eigentums geklärt werden müssten; dieses solle im
günstigsten Fall geteilt werden: Es gelte, "Black Boxes in der Technik ...
möglichst gering zu halten", sie "im Idealfall ganz zu vermeiden". Dass die
beteiligten Konzerne sich darauf einlassen, ist allerdings wenig
wahrscheinlich.
Verzögerungen
Die SWP warnt mit Blick auf die andauernden deutsch-französischen
Differenzen vor Illusionen: "Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass es
selbstverständlich zu Verzögerungen kommen wird."[11] Allerdings müsse ein
Scheitern insbesondere des FCAS - es handle sich um "Europas bedeutendstes
Rüstungsvorhaben" - dringend verhindert werden. "Gelingt es nicht, dieses
Projekt im europäischen Rahmen zu realisieren", urteilt die SWP, dann könne
sich dies als Präzedenzfall auswirken: "Größere gemeinsame
Rüstungsanstrengungen in Europa" könnten dann "zunehmend unwahrscheinlich"
werden. ###
Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8471/
[1] Dirk Hoke: Wie die militärische Zusammenarbeit in Europa künftig
aussehen kann. handelsblatt.com 19.11.2020.
[2] S. dazu Kampf um "digitale Souveränität"
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8389/ und Kampf um
"digitale Souveränität" (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8470/.
[3] Dominic Vogel: Future Combat Air System: Too Big to Fail. SWP-Aktuell
Nr. 98. Berlin, Dezember 2020.
[4] S. dazu Die europäische Cloud.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8296/
[5] S. dazu Deutscher und europäischer Erfolg.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7349/
[6] S. dazu Führungskampf in der EU-Rüstungsindustrie.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8075/
[7] Gerhard Heiming: Deutsch-französische Panzerindustrie mit Auftrag für
erste MGCS-Studie erteilt. esut.de 22.05.2020.
[8], [9] Detlef Puhl: Deutsch-Französische Rüstungszusammenarbeit. Ein Ding
der Unmöglichkeit? ifri, Visions franco allemandes Nr. 31. Paris, November
2020.
[10], [11] Dominic Vogel: Future Combat Air System: Too Big to Fail.
SWP-Aktuell Nr. 98. Berlin, Dezember 2020.
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