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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 17. Dezember 2020; 00:44
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Kommentar:
> Postkapitalistische Behübschung
Der WEF-Gründer will mit Hilfe der Zivilgesellschaft den Kapitalismus vor
sich selbst retten. Kommentar von *Leo Furtlehner* auf seinem Blog:
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"Durch den Fundamentalismus der freien Märkte wurden Arbeitnehmerrechte und
wirtschaftliche Sicherheit abgebaut, ein deregulatorisches Abwärtsrennen und
ein ruinöser Steuerwettbewerb ausgelöst sowie die Entstehung massiver
weltweiter Monopole ermöglicht" (Portfolio, 12/2020). Der das schreibt ist
kein linker Globalisierungs- oder Kapitalismuskritiker, sondern - man lese
und staune - einer der Hohepriester des Neoliberalismus höchstselbst,
nämlich Klaus Schwab, Mister WEF.
Der durch mit einer Fülle von Auszeichnungen hochdekorierte deutsche
Fabriksdirektorssohn steht als Ökonom ad personam für das 1971 gegründete
WEF (World Economic Forum). Dieses macht alljährlich das schweizerische
Davos zum Rummelplatz von Kapital und Politik beim Versuch, die aus der
Sicht der Herrschenden notwendigen Weichenstellungen für die Zukunft des
Weltkapitalismus vorzunehmen. Begleitet wird das jährliche Treffen der
globalen Macher - laut Wikipedia ein "Symbol für die Machtausübung einer
neoliberalen Elite über die Köpfe von Betroffenen hinweg" - regelmäßig von
Protestaktionen.
Keine Revolution, kein Ideologiewechsel
Schon 2012 setzte Schwab höchstpersönlich das Thema Kapitalismuskritik auf
die Tagesordnung des WEF und im Zeichen von Corona will er jetzt einen
"Post-Covid-Kapitalismus" um "unser System zu überdenken". Nicht
überraschend hat er erkannt, dass die Corona-Pandemie eine "Gesundheits- und
Wirtschaftskrise ausgelöst" hat und damit "systemimmanente Probleme wie
Ungleichheit und die Drohgebärden der Großmächte" verstärkt wurden.
Daher gelte es "unsere Volkswirtschaften, Gesellschaften und politischen
Systeme in großem Stil neu zu starten", gleichzeitig aber auch "bestimmte
traditionelle Werte zu verteidigen". Um vorweg klarzustellen "der Neustart
ist keine Revolution und kein Ideologiewechsel", sondern nur "ein
pragmatischer Schritt". Im Klartext geht es Schwab und seinem Anhang um eine
Behübschung des Systems, damit dieses nicht auf die schiefe Bahn eines
"vollständigen Protektionismus" gerät.
Gottgegebene Kapitalherrschaft?
Schwab führt als wesentliche Entwicklung seit dem zweiten Weltkrieg "enorme
Schritte zur Ausrottung der Armut, zur Verringerung der Kindersterblichkeit,
zur Verlängerung der Lebenserwartung und zur Verbreitung der
Alphabetisierung" an. Soweit, so gut, auch wenn keineswegs noch wirklich
vollendet. Auch dass die "vierte industrielle Revolution" durch
Digitalisierung und technische Fortschritte bessere Möglichkeiten zur
Bewältigung von Krisen schuf, hat seine Richtigkeit.
Doch die Behauptung, den "größten Teil unserer sozialen Fortschritte
verdanken wir dem Unternehmertum" zeigt die bornierte Sichtweise eines
"Vordenkers" einer als gottgegeben angenommenen Kapitalherrschaft. Gehört es
doch zum kleinen Einmaleins von Politik- und Geschichtskenntnissen, dass
soziale Fortschritte noch nie ein Geschenk der Herrschenden waren und sind,
sondern stets durch jahrzehntelange harte Kämpfe errungen werden mussten.
Neoliberale Dogmen
Zu diesem Zweck verallgemeinert Schwab den Begriff des "Kapitals" zu einem
"Finanz-, Umwelt-, Sozial- und Humankapital". Und er will glauben machen,
dass die Wünsche der "heutigen Verbraucher" zum "sozialen Wohl und zum Wohl
der Gemeinschaft" umgehend von den Kapitalbesitzern aufgegriffen und
realisiert würden. Ganz so, als ob der Sager des neoliberalen Gurus Milton
Friedman, dass "das Geschäft des Geschäfts das Geschäft" sei, nicht nach wie
vor als weltweites Dogma gelten würde. Friedman war bekanntlich mit seinen
Chicago-Boys 1973 federführend beim Putsch in Chile und machte dieses Land
zum Experimentierfeld des Neoliberalismus schon lange vor Thatcher und
Reagan.
Nun will uns Schwab weismachen, dass die großen Konzerne nur darauf warten,
mit diversen Richtlinien als "Messgrößen des Stakeholder-Kapitalismus" zur
Ordnung gerufen zu werden. Und er appelliert dazu an "Regierungen,
Unternehmen oder zivilgesellschaftliche Gruppen" gemeinsam als
"öffentlich-private Zusammenarbeit" zu handeln, weil sie allein den
"systemischen globalen Herausforderungen nicht die Stirn bieten können".
Also eine globale Public-Private-Partnership, wie sie von den Herrschenden
im Kleinen zur Privatisierung und Auslagerung öffentlicher Aufgaben zum
Wohle von Banken und Konzernen praktiziert wird. Mit dem Aufruf an die
"Vielfalt der Herkünfte, Meinungen und Werte" wird der Klassencharakter des
realen Kapitalismus zusätzlich verwischt. Kein Wunder, wenn das System an
seine Grenzen stößt, gibt man sich stets recht konziliant, um ein Nachdenken
über diese Grenzen hinaus zu verhindern.
Der Kernfrage ausgewichen
Bei all dem fehlt für den "großen Neustart" freilich das Wesentliche:
Nämlich die Hinterfragung des als heilig geltenden Privateigentums an
Produktionsmitteln, heutzutage immer stärker konzentriert bei einigen
hundert globalen Monopolen und deren Aktionär*innen. Und unhinterfragt
bleibt auch das Faktum, dass die Umverteilung nach oben, zur Spitze der
Pyramide immer krasser vor sich geht. Im Ergebnis besitzen die acht
reichsten Männer der Welt bzw. ihr jeweiliger Familienclan so viel wie die
ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.
Fakt ist, dass den vielen Millionen Arbeitskräften, die mit zunehmend hoher
Produktivität geschaffenen Werte nur bedingt zugutekommen. Weil sich
nämlich, wie es zum Wesen des Kapitalismus gehört, die Eigentümer der
Produktionsmittel den Mehrwert ohne eigene Leistung und nur durch das Faktum
des Kapitalbesitzes als Profit unter den Nagel reißen.
Will man also ernsthaft von einem "Neustart" reden, dann darf man über die
Eigentumsfrage nicht schweigen. Ohne das zu thematisieren bleibt es hingegen
bei einer bloßen Behübschung. Aber mehr ist ja bei der "Kapitalismuskritik"
von Schwab und seinem WEF auch nicht zu erwarten. ###
Quelle:
https://furtlehner.wordpress.com/2020/12/14/postkapitalistische-behubschung/
*
Siehe auch:
https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-09/corona-kapitalismus-rezession-wef-neoliberalismus-klaus-schwab
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