Von:  akin <akin.redaktion@gmx.at>
Sende-Uhrzeit:  12.17.2020 02:09:53 AM
An:  akin.redaktion@gmx.at
Betreff:  Flucht: Die Hölle auf Lesbos
 
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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 17. Dezember 2020; 01:39
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Flucht:

> Die Hölle auf Lesbos

Zelte, die Wind und Wetter nicht standhalten. Noch immer keine Duschen.
Unter den Menschen viele Familien mit Kindern. Und Europa und Österreich
schauen zu. (11.12.2020)

Viele haben sicher *Christoph Riedls* Statements in den ORF-Nachrichten über
die Zustände in Kara Tepe gesehen und gehört. Allerdings hat der
Diakonie-Vertreter noch einiges mehr zu sagen. Vor allem was die
Jenseitigkeit der österreichischen "Hilfsgüter" angeht, ist bemerkenswert.
Geklaut vom Diakonie-Blog:
*

Hier mein Bericht aus der neuen Hölle auf der Insel Lesbos, dem
Flüchtlingslager Kara Tepe. Ich konnte die Insel Anfang Dezember 2020
gemeinsam mit österreichischen JournalistInnen und der Schauspielerin
Katharina Stemberger besuchen. Die Diakonie unterstützt die von Katharina
Stemberger initiierte Initiative "Courage - Mut zur Menschlichkeit".

Was uns von den Flüchtlingen und den Hilfsorganisationen und
Menschenrechtsorganisationen vor Ort geschildert wurde, ist schwer in Worte
zu fassen. Unfassbar ist auch, dass diese Zustände offensichtlich
absichtlich herbeigeführt werden und sowohl von der griechischen Regierung
als auch der EU Kommission geduldet werden.

Zumindest bis zum heutigen Tag. Es geschieht vor den Augen der europäischen
Öffentlichkeit, da die EU mit mehreren ihrer Agenturen permanent vor Ort
ist. Daran kann auch der Versuch der griechischen Regierung, JournalistInnen
und NGOs, die über die Zustände berichten wollen, auszusperren und mit hohen
Strafen zu bedrohen, nichts ändern.

"Unser Zelt ist zusammengebrochen."

Das Lager Kara Tepe steht an der windigsten Stelle der Insel. Rasch wird uns
klar: Die Idee an dieser Stelle etwas Anderes als feste Gebäude errichten zu
wollen, ist keine besonders gute Idee.

In der Nacht vom 10. auf 11. Dezember fegte ein orkanartiger Sturm mit
stundenlangem Starkregen über die Insel. In unserem geschützten und warmen
Hotel erreichten uns die Hilferufe von Flüchtlingen, die wir zuvor getroffen
hatten, per Handymessenger.

Eine Mutter schrieb: "Unser Zelt ist zusammengebrochen. Wir haben unser zwei
Wochen altes Baby und die Kinder im Nachbarzelt untergebracht. Mein Mann und
ich versuchen unser Zelt wieder aufzustellen." Und einige Zeit später, als
die Versuche offensichtlich gescheitert waren: "Wir sind jetzt auch bei den
Nachbarn."

Die Zelte des Lagers wurden inzwischen angeblich "winterfest" gemacht, wobei
das nur bedeutet, dass sie eine Unterkonstruktion aus Holz bekommen haben,
damit die Menschen nicht mehr nach jedem starken Regen im Schlamm liegen.
Wenn das Zelt allerdings davonfliegt oder zusammenbricht, hilft das wenig.


"Hilfe", die nicht funktioniert

Winterfest bedeutet aber nicht, dass es auch eine Heizmöglichkeit gäbe. Die
österreichische Hilfe vor Ort bestand auch in der Lieferung von Heizgeräten.
Sie sind strombetrieben und verbrauchen pro Gerät bis zu 3.000 Watt.

Das Problem: Es gibt im Großteil des Lagers überhaupt keine Stromleitungen
und auch kein Licht. Wenn man nicht einmal eine Glühbirne anschließen kann,
wird das mit den Heizstrahlern schwierig.

Das Lager steht auf einem Gelände, das über keinerlei Infrastruktur verfügt.
Es gibt keine Stromleitungen, keine Wasserleitung und keinen Kanal.

Das ist auch der Grund, warum es drei Monate nach der Inbetriebnahme noch
immer keine Duschen gibt. Weder könnte das Wasser gewärmt werden, noch das
Abwasser abfließen.

Bilder, die uns von BewohnerInnen des Lagers geschickt wurden, zeigen
Holzverschläge mit einem Quadratmeter Grundfläche, die mit Plastikplanen
umhüllt sind. Das sind die derzeit verfügbaren "Notduschen". Sie verfügen
nicht einmal über eine Möglichkeit die Kleidung außerhalb auszuziehen. Für
die Frauen ein Riesen Problem. Drinnen hängt ein Kübel mit kaltem Wasser,
den man sich über den Kopf leert. Im Dezember ist das auch für sehr
abgehärtete Menschen nicht gesundheitsfördernd. Insbesondere dann, wenn die
gesamte Kleidung von den ständigen Regenfällen ohnehin schon feucht und
klamm ist und nicht mehr richtig trocknet.

An einigen Stellen gibt es Wasserstellen: aufgehängte große Wasserflaschen.
Daneben hängt eine Flasche mit Desinfektionsmittel.

"Die Corona-Quarantäne" ist ein mit Stacheldraht abgezäuntes Gelände.
Zerfurchter blanker Erdboden, immer feucht vom letzten Regen. Dort stehen
jetzt die 25 Zelte aus Österreich, die aufgestellt wurden. Es ist der
windigste Teil des Lagers.


Vergifteter Boden

Für die Kinder gibt es keine Tagesstruktur und keine Schule. Das Lager steht
auf einem ehemaligen Schießplatz. Die Eltern wollen ihre Kinder nicht am
Boden spielen lassen, weil sie Angst haben, dass sie Munition finden
könnten. Zudem befürchtet die Menschenrechtsorganisation "Human Rights
Watch", dass auch dieses Gelände, das vor 100 Jahren als Schießplatz
eingerichtet wurde, mit Blei aus der Munition verseucht sein könnte.

Eine Untersuchung des Bodens hat es nicht gegeben, nur Beteuerungen der
Regierung, wonach alles in Ordnung sei. Bei Blei gibt es keine Grenzwerte.
Insbesondere für Kinder und stillende Mütter können aber auch geringste
Dosen gefährlich werden.

Die großen Hilfsorganisationen die von der griechischen Regierung hier
eingesetzt wurden, können nichts Anderes tun als das Elend so gut wie
möglich zu verwalten. Sie kämpfen sich langsam vorwärts mit keinen
Verbesserungen, aus denen aber niemals ein akzeptabler Zustand werden kann.

Für Zustände, wie sie seit Jahren auf den griechischen Inseln herrschen,
darf in der Europäischen Union kein Platz sein.

Die permanente Inszenierung eines Notstandes ist unmenschlich und
gesetzeswidrig

Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die griechischen Inseln auf
europäischem Boden befinden und Griechenland ein EU-Mitgliedsstaat ist.
Katastrophen-Hilfseinsätze, wie sie hier durch die professionellen
Hilfsorganisationen geleistet werden, können und dürfen nur
Erste-HilfeMaßnahmen sein.

Das Asyl-Aufnahmesystem eines EU-Staates permanent als Katastropheneinsatz
zu betrachten, ist ein unzulässiger Ansatz. Flüchtlingsunterkünfte müssen
auf dem Boden der Europäischen Union menschenwürdig sein und sie müssen auf
besonders schutzbedürftige Menschen Rücksicht nehmen.

Für Zustände, wie sie seit Jahren auf den griechischen Inseln herrschen,
darf in der Europäischen Union kein Platz sein. Flüchtlingsunterkünfte in
Griechenland dürfen sich von der Ausstattung und der Betreuung nicht von
Unterbringungseinrichtungen in Deutschland oder Österreich unterscheiden.
Die Zustände in griechischen Lagern müssten nicht so sein. Die permanente
Inszenierung eines Notstandes ist unmenschlich und gesetzeswidrig.

Zum Abschluss unseres Besuches haben wir die mit dem internationalen
UNHCR-Nansen-Preis ausgezeichnete Menschenenrechts-Aktivistin Efi Latsoudi
gefragt, wie sie die Zustände im neuen Lager Kara Tepe bezeichnen würde.
Ihre Antwort fiel knapp und deutlich aus: "Es ist Folter!" ###

Quelle: https://blog.diakonie.at/die-hoelle-auf-lesbos-1teil


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